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Jacopo glaubte zu träumen. Edmond erzählte ihm, er sei aus Eigensinn, und weil ihm seine Freunde das Geld zu seinem Unterhalt verweigerten, Seemann geworden, aberbei seiner Ankunft in Livorno habe er die Erbschaft eines Oheims empfangen, der ihn zu seinem alleinigen Erben eingesetzt. Dantes' überlegeneBildung verlieh der Erzählung solche Wahrscheinlichkeit, daß Jacopo seine Angabe keinen Augenblick in Zweifel zog.

Am andern Morgen ging Jacopo nach Marseille unter Segel; er sollte Edmond auf Monte Christo wiederfinden. An demselben Tage reiste Dantes, ohne zu sagen, wohin, nach Genua ab.

In dem Augenblick, wo er hier ankam, machte man eine Probefahrt mit einer kleinen Jacht, die ein Engländerbestellt hatte. Der Erbauer hatte dafür vierzigtausend Franken gefordert; Dantesbot ihm sechzigtausend unter derBedingung, daß ihm das Schiff noch am selben Tage übergeben würde. Man wurde einig, und der Schiffsbauer erbot sich, Dantes auch eine Mannschaft anzuwerben; aber Dantes dankte und erwiderte, er pflege allein zu schiffen; er wünschte nur, daß man in der Kajüte, oben amBette, einen Geheimschrank anbringe, in dem sich drei geheime Fächer fänden; dieser Auftrag wurde auch nach den von ihm gegebenen Maßen am andern Tage ausgeführt.

Zwei Stunden nachher verließ Dantes den Hafen, von denBlicken einer Menge von Neugierigenbegleitet, die den spanischen Herrn sehen wollten, der allein zu schiffen pflegte. Dantes machte seine Sache vortrefflich; mit Hilfe des Steuerruders ließ er sein Schiff alleBewegungen ausführen, die er wollte, und er gestand, daß die Genueser ihren Ruf als die ersten Schiffsbauer der Welt verdienten. Niemand wußte, wohin der fremde Schiffer fahren würde. Sein Reiseziel war jedoch Monte Christo, wo er gegen das Ende des zweiten Tages ankam. Das Schiff war ein vortrefflicher Segler und hatte die Entfernung in 35 Stunden durchlaufen. Dantes hatte sich die Lage der Küste sehr gut gemerkt, und statt in dem gewöhnlichen Hafen zu landen, warf er in der kleinenBucht Anker. Die Insel war öde, niemand schien seit Dantes' Abreise gelandet zu sein. Erbesuchte seinen Schatz; alles war in dem Zustand, wie er es verlassen hatte. Am andern Abend war das ungeheure Vermögen anBord der Jacht gebracht und in den drei Fächern des Geheimschrankes eingeschlossen. Dantes wartete noch acht Tage. Während dieser Zeit ließ er seine Jacht um die Insel manövrieren und studierte sie, wie der Stallmeister ein edles Pferd. Am achten Tage sah er ein kleines Schiff, das mit vollen Segeln auf die Insel zusteuerte; er erkannte JacoposBarke, machte ein Signal, das dieser erwiderte, und zwei Stunden nachher lag dieBarke neben der Jacht. Auf diebeiden Fragen erhielt Edmond eine traurige Antwort; der alte Dantes war tot, Mercedes war verschwunden.

Edmond vernahm diese Nachrichten mit ruhiger Miene; aber er stieg an das Land, wohin ihm keiner folgen durfte. Nach zwei Stunden kam er zurück und nahm nun zwei Mann von JacoposBarke auf seine Jacht über, die ihmbeim Manövrieren helfen sollten. Sodann gaberBefehl, nach Marseille zu segeln. Den Tod seines Vaters hatte er vorhergesehen; aber was war aus Mercedes geworden?

Ohne sein Geheimnisbekannt werden zu lassen, konnte Dantes einem Agenten keine genügenden Instruktionen geben; überdies wollte er noch andere Erkundigungen einziehen, wobei er sich nur auf sich selbst verließ. Sein Spiegel hatte ihn in Livornobelehrt, daß er keine Gefahr lief, erkannt zu werden; auch standen ihm alle Mittel, sich zu verkleiden, zu Gebote. Eines Morgens lief also die Jacht, nebst der kleinenBarke, kühn in den Hafen von Marseille ein und legte sich gerade vor der Stelle vor Anker, wo man Dantes an jenem Abend unseligen Andenkens nach dem Kastell If eingeschifft hatte.

Nicht ohne ein gewissesBeben sah Dantes in dem Sanitätskahne einen Gendarmen auf sich zukommen. Doch mit der vollkommenen Sicherheit, die er erlangt hatte, reichte er ihm einen in Livorno erkauften englischen Paß, und mittels dieses fremden Ausweises, der in Frankreich viel mehr geachtet wird als der französische, stieg er ohne Schwierigkeit ans Land. Das erste, was er erblickte, als er den Fuß auf die Cannebière setzte, war einer von den ehemaligen Matrosen des Pharao. Er schritt gerade auf ihn zu und richtete mehrere Fragen an ihn, die der Matrosebeantwortete, ohne nur entfernt durch seine Worte oder sein Gesicht vermuten zu lassen, daß er sich erinnerte, den Fremden je gesehen zu haben.

Dantes setzte seinen Weg fort; jeder Schritt, den er tat, brachte eine neue Erschütterung in seinem Herzen hervor; alle Erinnerungen aus seiner Kindheit, unvertilgbare Erinnerungen, erhoben sich auf jedem Platze, an jeder Straßenecke. Als er an das Ende der Rue de Noailles gelangte und die Allées de Meillan erblickte, fühlte er, wie ihm die Knie versagten, und er wärebald unter die Räder eines Wagens gefallen. Er kam zu dem Hause, das sein Vaterbewohnt hatte. Hier lehnte er sich an einenBaum und schaute einen Augenblick nachdenkend den obersten Stock des armseligen Häuschens an; endlich ging er auf die Tür zu, überschritt die Schwelle, fragte, obkeine Wohnung frei sei, und drang, obgleich das Hausbesetzt war, so lange in den Hausverwalter, bis dieser hinaufstieg und die Personen, die den obersten Stockbewohnten, im Namen eines Fremden um die Erlaubnisbat, ihre zwei Zimmer sehen zu dürfen.

Die Personen, die den kleinen Raumbewohnten, waren ein junger Mann und eine junge Frau, die sich erst acht Tage vorher geheiratet hatten. Als Dantes diese jungen Leute sah, stieß er einen tiefen Seufzer aus. Nichts erinnerte ihn indessen an die Wohnung seines Vaters. Nur die Wände waren dieselben. Dantes kehrte sich nach demBette um; es stand an derselben Stelle wie das des früheren Mieters; Dantes' Augenbefeuchteten sich unwillkürlich mit Tränen; auf diesem Platze mußte der Greis gestorben sein. Die zwei jungen Leute schauten voll Erstaunen den Mann mit der ernsten Stirn an, über dessen Wangen zwei große Tränen flossen, ohne daß sich sein Gesicht nur im geringsten veränderte. Aber da jeder Schmerz etwas Heiliges an sich hat, so richteten die jungen Leute keine Frage an den Unbekannten; sie zogen sich nur etwas zurück, um ihn ungestört weinen zu lassen, und da er sich entfernte, begleiteten sie ihn und sagten ihm, er könne wiederkommen, wann er wolle, und ihr armes Haus würde ihn jederzeit gastfreundlich aufnehmen. Als er am untern Stocke vorbeikam, blieber vor einer Tür stehen und fragte, obder Schneider Caderousse immer noch hier wohne; der Hausverwalter antwortete ihm jedoch, der Mann, von dem er spreche, habe schlechte Geschäfte gemacht und führe gegenwärtig die Gastwirtschaft zum Pont du Gard zwischenBellegarde undBeaucaire.

Dantes ging hinab, fragte nach der Adresse des Eigentümers des Hauses der Allées de Meillan, begabsich zu ihm, ließ sich als Lord Wilmore melden (auf diesen Namen lautete sein Paß) und kaufte ihm das Häuschen für die Summe von 25 000 Franken ab, was wenigstens 10 000 Franken mehr war, als es wert sein mochte. Aber Dantes würde eine halbe Millionbezahlt haben, wenn man so viel dafür gefordert hätte.