Nun, fragte Franz, was Neues? Man weist unser Anerbieten zurück?
Im Gegenteil, erwiderte Gaetano, der Anführer, dem man gesagt hat, Sie seien ein junger französischer Edelmann, lädt Sie zum Abendbrot zu sich ein.
Gut! Tiefer Anführer ist ein sehr höflicher Mann, und ich weiß nicht, warum ich seiner Einladung nicht entsprechen sollte, um so mehr, als ich meinen Teil zum Abendbrot mitbringe.
Oh, das ist es nicht, denn es findet sich dort genug zum Abendbrot; aber er stellt eine sonderbareBedingung, unter der er Siebei sich empfangen will.
Bei sich! versetzte der junge Mann; er hat sich also ein Hausbauen lassen?
Nein, erbesitzt aber darum nichtsdestoweniger ein sehrbehagliches Heim, wenigstens wie man mir versichert hat.
Ihr kennt also diesen Anführer?
Ich habe von ihm sprechen hören.
Und wie heißt dieBedingung, die er mir stellt?
Sie sollen sich die Augen verbinden lassen und dieBinde nicht eher abnehmen, alsbis er Sie selbst dazu auffordert.
Franz schaute forschend in Gaetanos Augen, um zu erfahren, was hinter diesem Vorschlage verborgen sein könnte.
Ah! bei Gott! sagte dieser, auf FranzensBlick antwortend, ich weiß wohl, die Sache verdient Überlegung.
Was würdet Ihr an meiner Stelle tun? fragte der junge Mann.
Ich, der nichts zu verlieren hat, ginge hin, und wär's nur aus Neugierde. Es ist also etwas Merkwürdigesbei diesem Anführer zu sehen?
Hören Sie, sagte Gaetano, die Stimme dämpfend, ich weiß nicht, obdas, was man sagt, wahr ist. Er schwieg und schaute umher, obkein Fremder ihnbehorchte. Man sagt, dieser Anführerbesitze einen unterirdischen Palast, im Vergleich zu dem der Palast Pitti gar nichts sei.
Welche Phantasie! rief Franz.
Oh, es ist keine Phantasie, es ist Wahrheit. Cama, der Lotse des Ferdinando, ist einmal darin gewesen; er kam voll Verwunderung zurück und sagte, dergleichen Schätze finden sich nur in Feenmärchen.
Franz dachte einen Augenblick nach, erbegriff, daß ein so reicher Mann gegen ihn, der nur ein paar tausend Frankenbei sich hatte, nichts im Schilde führen konnte; und da ihm im Augenblick vor allem an einem vortrefflichen Abendbrot lag, so willigte er ein. Gaetano überbrachte seine Antwort.
Franz war indessen, wie gesagt, klug; er wollte soviel als möglich über seinen seltsamen, geheimnisvollen Wirt in Erfahrungbringen, wandte sich deshalbgegen den Matrosen um, derbeständig mit dem Ernste eines auf sein Amt stolzen Mannes die Feldhühner gerupft hatte, und fragte ihn, wie diese Leute hätten landen können, da kein Schiff sichtbar sei.
Dasbeunruhigt mich nicht, antwortete der Matrose, ich kenne das Schiff, worauf sie fahren.
Ist es ein hübsches Schiff?
Ich wünsche Eurer Exzellenz ein ähnliches, um damit die Reise um die Welt zu machen.
Wie groß?
Etwa hundert Tonnen. Es ist eine Jacht, aber so gebaut, daß sie sichbei jedem Wetter auf der See halten kann.
Wo ist sie gebaut worden?
Ich weiß es nicht, doch ich glaube in Genua.
Und wie kann es ein Anführer von Schmugglern wagen, eine für sein Gewerbebestimmte Jacht in Genuabauen zu lassen?
Ich sagte gar nicht, der Eigentümer dieser Jacht sei ein Schmugglerführer.
Nein, aber Gaetano hat es gesagt, meine ich.
Gaetano hat das Schiffsvolk von fern gesehen, aber noch mit niemand gesprochen.
Doch was ist denn dieser Mensch, wenn er kein Schmuggler ist?
Ein reicher Herr, der zu seinem Vergnügen reist.
Bei so widersprechenden Aussagen wird diese Person immer geheimnisvoller, dachte Franz. Und wie heißt er?
Wenn man fragt, so sagt er, er heiße Simbad der Seefahrer; doch ich zweifle, daß dies sein wahrer Name ist.
Und wo wohnt dieser Herr? — Auf dem Meere. — Aus welchem Lande ist er? — Ich weiß es nicht. — Habt Ihr ihn gesehen? — Einige Male. — Was für ein Mann ist es? — Eure Exzellenz wird ihn selbst sehen. — Und wo wird er mich empfangen? — Ohne Zweifel in seinem unterirdischen Palaste.
Und wenn Ihr hier anhieltet und die Insel verlassen fandet, triebEuch die Neugierde nie an, in diesen Zauberpalast zu dringen?
Oh! doch wohl, Exzellenz, erwiderte der Matrose, und zwar mehr als einmal, aber unsere Nachforschungen waren stets vergeblich; wir umwühlten die Grotte von allen Seiten, fanden aber nirgends einen Eingang. Übrigens sagt man, die Tür öffne sich nicht mit einem Schlüssel, sondern mittels eines magischen Wortes.
Ichbin offenbar in ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht versetzt, murmelte Franz.
Seine Exzellenz erwartet Sie, sprach hinter ihm eine Stimme, in welcher er die der Schildwache erkannte.
Der Vortretende war von zwei Personen von der Mannschaft der Jachtbegleitet. Statt jeder Antwort zog Franz sein Taschentuch und reichte es dem, welcher ihn angeredet hatte. Ohne ein Wort zu sprechen, verband man ihm die Augen mit einer Sorgfalt, aus der man erkannte, wie sehr man eine Indiskretion fürchtete, und ließ ihn sodann schwören, daß er auf keine Weise versuchen würde, seineBinde abzunehmen, bevor man ihn dazu aufforderte.
Diebeiden Männer nahmen ihn jeder an einem Arm, und er entfernte sich, von ihnen geleitet, die Schildwache voran. Nach etwa 50 Schritten fühlte er an der Veränderung der Atmosphäre, daß man in ein unterirdisches Gewölbe eintrat. Nachdem man noch einige Sekunden gegangen war, hörte er ein Krachen, und es kam ihm vor, als hätte sich die Atmosphäre wieder geändert und würde lau und wohlriechend; endlich fühlte er, haß seine Füße auf einen dicken, weichen Teppich traten; seine Führer verließen ihn. Nach kurzem Stillschweigen sagte eine Stimme in gutem Französisch, obgleich mit fremderBetonung: Ich heiße Sie willkommen; Sie können IhreBinde abnehmen.
Franz kam dieser Aufforderung sofort nach, nahm das Tuch abundbefand sich einem Manne von vierzig Jahren in tunesischer Tracht gegenüber; der Unbekannte trug einen roten Fez mit einer langen Quaste vonblauer Seide, eine reich mit Gold gestickte Jacke von schwarzem Tuch, weite, bauschigeBeinkleider, goldgestickte Gamaschen von derselben Farbe und gelbe Pantoffeln. Ein prachtvoller Kaschmir umgürtete seine Hüften, und ein kleiner spitziger, gebogener Handschar stak in diesem Gürtel. Obgleichbleich, fastbleifarbig, hatte dieser Mann doch ein interessantes Gesicht; seine Augen waren lebhaft und durchdringend; seine gerade und die Stirnlinie fast fortsetzende Nase deutete den griechischen Typus in seiner ganzen Reinheit an, und seine perlweißen Zähne hoben sich von dem schwarzen Schnurrbart prächtig ab. Nur dieBlässe war seltsam; man hätte glauben sollen, er habe lange im Grabe gelegen und könne nun die natürliche Farbe der Lebenden nicht wieder annehmen. Wenn auch nicht hoch gewachsen, war er doch wohlgebaut und hatte, wie die Südländer, kleine Hände und Füße. Am meisten aber erstaunte Franz über die Kostbarkeit der Ausstattung.
Das ganze Zimmer war mit einem türkischen Stoffe von karmesinroter Farbe austapeziert. In einer Vertiefung stand ein Diwan, über dem man eine Trophäe von arabischen Waffen erblickte, deren Scheiden und Griffe von Edelsteinen funkelten; an der Zimmerdecke hing eine Lampe von venetianischem Glas von reizender Form und Farbe, und die Füße ruhten auf einem türkischen Teppich, in dem siebis an die Knöchel versanken. Vorhänge waren vor der Tür angebracht, durch die man Franz eingeführt hatte, und ebenso vor einer andern Tür, die nach einem zweiten Gemache ging, das glänzend erleuchtet zu sein schien. Der Wirt überließ Franz eine Zeit lang gänzlich seinem Staunen, prüfte ihn überdies auch seinerseits neugierig und hattebeständig seine Augen auf ihn geheftet.