Mein Herr, sagte er endlich, ichbitte Sie tausendmal um Entschuldigung wegen der Vorsichtsmaßregeln, die man von Ihnen verlangte. Da aber die Insel meist öde und verlassen ist, so fände ich, wenn das Geheimnis dieses Aufenthaltsortesbekannt würde, ohne Zweifelbei meiner Rückkehr mein Absteigequartier in schlimmem Zustand, was mir sehr unangenehm wäre, nicht wegen des Verlustes, den es mir verursachen würde, sondern weil ich nicht mehr die Gewißheit hätte, mich nachBelieben von der Welt abschließen zu können. Ich will mich nunbemühen, Sie diese kleine Unannehmlichkeit vergessen zu lassen, indem ich Ihnen anbiete, was Sie gewiß nicht zu finden hofften, nämlich ein erträgliches Abendbrot und guteBetten.
Wahrhaftig, mein lieber Wirt, Siebrauchen sich deshalbnicht zu entschuldigen. Ich habe immer gehört, daß man den Leuten, die in Zauberpaläste drangen, die Augen verband, auch geziemt es mir nicht, mich zubeklagen, denn das, was Sie mir zeigen, bildet offenbar die Fortsetzung von Tausendundeiner Nacht.
Ach! ich möchte Ihnen wie Lucullus sagen, wenn ich gewußt hätte, daß mir die Ehre IhresBesuches zuteil würde, so hätte ich mich daraus vorbereitet. Doch ich stelle meine Einsiedelei, so wie sie ist, zu Ihrer Verfügung; mein Abendbrot ist Ihnen angeboten, so mager es auch sein mag. Ali, ist ausgetragen?
In demselben Augenblick wurde der Türvorhang ausgehoben, und ein nubischer Neger, so schwarz wie Ebenholz und in einen einfachen weißen Leibrock gekleidet, deutete seinem Herrn durch ein Zeichen an, er könnte sich in den Speisesaalbegeben.
Ich weiß nicht, sagte der Unbekannte zu Franz, obSie meiner Ansicht sind, aber ich finde nichts unbehaglicher, als zweibis drei Stunden einander unter vier Augen gegenüber zubleiben, ohne zu wissen, mit welchem Namen oder welchem Titel man sich nennen soll. Ich achte indessen zu sehr die Gesetze der Gastfreundschaft, um Sie nach Ihrem Namen zu fragen, undbitte Sie nur, mir irgend eineBenennung zubezeichnen, unter der ich das Wort an Sie richten kann. Mich nennt man gewöhnlich Simbad, den Seefahrer.
Und ich denke, erwiderte Franz, ich kann mich, da mir, um in Aladins Lage zu sein, nur dieberühmte Wunderlampe fehlt, für den Augenblick Aladin nennen.
Wohl, edler Herr Aladin, sagte der Fremde, Sie haben gehört, daß aufgetragen ist, wollen Sie also die Güte haben, in den Speisesaal einzutreten! Ihr untertäniger Diener geht voran, um Ihnen den Weg zu zeigen.
Bei diesen Worten hobSimbad den Türvorhang auf und ging Franz voran. Franz schritt von Zauber zu Zauber; die Tafel schien herrlichbestellt. Nachdem er sich von diesem wichtigen Punkte überzeugt hatte, schaute er umher. Der Speisesaal war nicht minder glänzend, als das Zimmer, das er soeben verlassen hatte; er war ganz von Marmor mit antikenBasreliefs vom höchsten Werte, und in den vier Ecken des länglichen Saales standen vier prächtige Statuen, die Körbchen auf ihren Köpfen trugen. Diese Körbchen enthielten Pyramiden von herrlichen Früchten, Ananas von Sizilien, Granaten von Malaga, Orangen von denbalearischen Inseln, Pfirsiche aus Frankreich und Datteln aus Tunis. Das Abendbrotbestand aus gebratenem Fasan, mit korsischen Merlen garniert, einer Wildschweinskeule mit Gelee, einem Ziegenviertel, einem herrlichen Turbot und einer riesigen Languste. Daneben enthielten kleinere Platten die Nebengerichte. Die Platten waren von Silber, die Teller von japanischem Porzellan. Franz riebsich die Augen, um sich zu überzeugen, daß er nicht träume. Ali allein war zurBedienung zugelassen und entledigte sich vortrefflich seiner Pflichten. Der Gast sagte seinem Wirte hierüber ein Kompliment.
Ja, sagte dieser, er ist ein mir sehr ergebenerBursche, der nach seinenbesten Kräften zu Werke geht. Er erinnert sich, daß ich ihm das Leben gerettet habe, und dafürbewahrt er mir die größte Dankbarkeit.
Wäre es nicht unbescheiden, edler Herr Simbad, sagte Franz, so möchte ich Sie fragen, bei welcher Gelegenheit Sie diese schöne Tat ausgeführt haben.
Mein Gott! Das ist ganz einfach, antwortete Simbad. Es scheint, derBursche war dem Serail desBeis von Tunis nähergekommen, als es sich für einen Menschen seiner Farbe geziemt, und so sollten ihm Zunge, Hand und Kopf abgeschnitten werden, die Zunge am ersten Tag, die Hand am zweiten, der Kopf am dritten. Es gelüstete mich immer, einen Stummen in meinem Dienste zu haben; ich wartete daher, bis ihm die Zunge abgeschnitten war, und schlug demBei vor, mir ihn gegen eine herrliche Doppelflinte zu überlassen, die tags zuvor dieBegierde Seiner Hoheit erregt hatte. Er schwankte einen Augenblick, so viel war ihm daran gelegen, mit dem armen Teufel ein Ende zu machen. Aber ich fügte zur Flinte noch ein englisches Jagdmesser, mit dem ich den Yatagan Seiner Hoheit durchhackt hatte, worauf derBei sich entschloß, Ali zubegnadigen, jedoch unter derBedingung, daß er nie mehr das Gebiet von Tunisbetreten würde. Dies anzuempfehlen war unnötig. Wenn der Unglückliche nur von fern die Küste von Afrika erblickt, flüchtet er sich in den untersten Raum des Schiffes, und man kann ihn nicht mehr herausbringen, bis man den dritten Weltteil aus dem Gesichte verloren hat.
Franzbliebeinen Augenblick stumm und nachdenklich, er überlegte sich, was er von der grausamen Gutmütigkeit denken sollte, mit der ihm sein Wirt diese Geschichte erzählte.
Und wie der ehrenwerte Seemann, dessen Namen Sie angenommen haben, sagte er, das Gespräch ändernd, bringen Sie Ihr Leben mit Reisen hin?
Ja, es ist ein Gelübde, das ich in einer Zeit getan habe, wo ich kaum glaubte, es je erfüllen zu können, sagte Simbad lächelnd! ich habe einige weitere getan, die, wie ich hoffe, wenn die Reihe an ihnen ist, ebenfalls erfüllt werden.
Obgleich Simbad diese Worte mit der größten Kaltblütigkeit sprach, schleuderten doch seine Augen dabei einen seltsam wildenBlick.
Sie haben viel gelitten, mein Herr? sprach Franz.
Simbadbebte, schaute ihn starr an und erwiderte: Woran sehen Sie dies?
An allem, an Ihrer Stirn, an IhremBlicke, an IhrerBlässe und an dem Leben, das Sie führen.
Ich? Ich führe das glücklichste Leben, das ich kenne, ein wahres Pascha‑Leben; ichbin der König der Schöpfung. Gefällt es mir an einem Orte, sobleibe ich; langweile ich mich, so reise ich ab; ichbin frei, wie der Vogel, ich habe Flügel, wie er. Die Leute meiner Umgebung gehorchen mir auf den Wink; von Zeit zu Zeitbelustige ich mich damit, der menschlichen Gerechtigkeit zu spotten, indem ich ihr einenBanditen entziehe, den sie sucht, oder sonst einen Verbrecher, den sie verfolgt. Dann habe ich meine eigene Gerichtsbarkeit, hohe und niedere, ohne Frist und Appellation, eine Gerichtsbarkeit, die verurteilt und freispricht, während sich niemand um sie zu kümmern hat. Ah, hätten Sie mein Leben gekostet, Sie würden sich kein anderes mehr wünschen, und Sie kehrten nie mehr in die Welt zurück, wenn Sie nicht ein großes Vorhaben antriebe.
Eine Rache zumBeispiel! versetzte Franz.
Der Unbekannte heftete auf den jungen Mann einen von jenenBlicken, die in die tiefste Tiefe des Herzens und des Geistes eintauchen. Dann fragte er: Und warum eine Rache?
Weil Sie aussehen wie ein Mann, der, von der Gesellschaft verfolgt, eine furchtbare Rechnung mit ihr abzuschließen hat.
Sie irren sich, erwiderte Simbad mit seltsamem Lachen, wobei sich seine weißen spitzigen Zähne zeigten; so wie Sie mich sehen, bin ich eher ein Menschenfreund, und ich gehe vielleicht eines Tages nach Paris, um mich dort um den Tugendpreis zubewerben.
Wird es das erste Mal sein, daß Sie diese Reise machen?
Mein Gott, ja. Nicht wahr, es scheint, daß ich sehr wenig neugierigbin? Doch ich versichere Ihnen, es ist nicht mein Fehler, daß ich so lange gezögert habe; jedenfalls wird es einmal geschehen.
Gedenken Sie diese Reisebald zu machen?
Ich weiß noch nicht; es hängt von verschiedenen Umständen ab.
Ich wünschte wohl, zur Zeit, wo Sie nach Paris kommen, ebenfalls dort zu sein; ich würde michbemühen, Ihnen, soviel in meinen Kräften liegt, die Gastfreundschaft zu vergelten, die Sie mir so reichlich auf Monte Christo angedeihen ließen.