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Franz schien es, als schlösse er die Augen und als gewahrte er durch den letztenBlick, den er umherwarf, die züchtige Statue, die sich gänzlich verschleierte; als sodann seine Augen für die wirklichen Dinge geschlossen waren, öffneten sich seine Sinne für unbeschreibliche Eindrücke. Dann trat eine Wollust ohne Unterlaß, eine Liebe ohne Rast ein, wie die, die der Prophet seinen Auserwählten verspricht. Dannbelebten sich alle diese steinernen Wände dergestalt, daß für Franz, der zum erstenmal der Herrschaft des Haschisch unterlag, diese Liebebeinahe ein Schmerz, diese Wollustbeinahe eine Marter wurde, als er über seinenbebenden Mund die Lippen dieser Statuen, kalt und geschmeidig wie die Ringe einer Schlange, hinschlüpfen fühlte. Aber je mehr seine Arme diese unbekannte Liebe zurückzustoßen strebten, desto mehr unterlagen seine Sinne dem Zauber des geheimnisvollen Traumes, und nach einem Kampf, für den er seine Seele geopfert hätte, gaber sich ohne Rückhalt hin und fiel endlich stöhnend, brennend vor Müdigkeit, unter den Zauber dieses unerhörten Traumes zurück.

Erwachen

Als Franz wieder zu sich kam, schien seine Umgebung den Traum fortzusetzen; er glaubte, in einem Grabe zu sein, in das kaum ein Sonnenstrahl wie einBlick des Mitleids drang; er streckte die Hand aus und fühlte Stein, er setzte sich auf und fand, daß er in seinemBurnus auf getrocknetem Heidekraut gelegen hatte. Jede Vision war verschwunden, und die Statuen hatten, als wären sie nur während seines Traumes aus ihren Gräbern hervorgegangen, bei seinem Erwachen die Flucht ergriffen. Er machte einige Schritte nach dem Punkt zu, woher das Licht kam; auf die ganze Aufregung des Traumes folgten die Ruhe und die Wirklichkeit. Er sah sich in einer Grotte, schritt auf die Öffnung zu und erblickte durch die gewölbte Tür einenblauen Himmel und ein Azurmeer. Luft und Wasser erglänzten in den Strahlen der Morgensonne, auf dem Ufer saßen plaudernd und lachend die Matrosen, zehn Schritte in der See schaukelte sich anmutig dieBarke an ihrem Anker.

Da kostete er eine Zeitlang den frischen, gelinden Wind, der seine Stirn umspielte; er horchte auf das geschwächte Geräusch der Welle, die am Strand erstarbund auf den Felsen eine Spitze von silberweißem Schaum zurückließ; er überließ sich ganz und ohne Rückhalt dem göttlichen Zauber, der in den Dingen der Natur liegt, besonders wenn man aus einem phantastischen Traume erwacht. Dannbrachte ihm die stille, ungetrübte, großartige Umgebung allmählich die Unwahrscheinlichkeit eines Traumes zumBewußtsein, und die Erinnerungen fingen an, in sein Gedächtnis wiederzukehren. Er erinnerte sich seiner Ankunft auf der Insel, seiner Vorstellungbei einem Anführer von Schmugglern, eines unterirdischen Palastes voll Pracht und Herrlichkeit, eines vortrefflichen Abendbrotes und eines Löffels voll Haschisch. Nur kam es ihm der Wirklichkeit des lichten Tages gegenüber vor, als sei dies alles schon vor einem Jahre gewesen, so lebendig war der Traum in seinem Geiste, so gewaltig hatte er sich seinem Innern eingeprägt. Von Zeit zu Zeit ließ auch seine Einbildungskraft einen von den Schatten, derenBlicke und Küsse seine Nacht durchleuchtet hatten, mitten unter den Matrosen erscheinen, oder über einen Felsen hinschreiten, oder auf derBarke sich wiegen. Im übrigen war sein Kopf völlig frei, sein Körper ganz ausgeruht; keine Schwerfälligkeitbelastete das Gehirn, sondern im Gegenteil ein gewisses Wohlbehagen verlieh eine größere Fähigkeit als je, Luft und Licht einzusaugen. Er näherte sich daher heiter seinen Matrosen. Sobald sie ihn erblickten, standen sie auf, und der Patron kam ihm entgegen.

Herr Simbad, sagte er zu ihm, hat uns mit Empfehlungen für Eure Exzellenzbeauftragt; wir sollen seinBedauern ausdrücken, daß er nicht habe Abschied nehmen können; doch er hoffe, Sie werden ihn entschuldigen, wenn Sie erfahren, daß ihn eine sehr dringende Angelegenheit nach Malaga rufe.

Ah! mein lieber Gaetano, sagte Franz, dies alles ist also Wirklichkeit? Es hat mich jemand auf der Insel empfangen, mir königliche Gastfreundschaft gewährt, und ist während meines Schlafes abgereist!

Es ist so sehr Wahrheit, daß Sie dort seine kleine Jacht mit vollen Segeln hinfahren sehen können.

Franz zog sein Fernglas aus der Tasche, hielt es vor sein Auge und richtete es nach dembezeichneten Punkte. Gaetano täuschte sich nicht. Auf dem Hinterteile des Schiffes stand der geheimnisvolle Fremde, nach der Insel gekehrt und ebenfalls ein Fernglas in der Hand haltend. Er war ganz so gekleidet, wie er sich am Abend vorher vor seinem Gaste gezeigt hatte, und schwenkte zum Zeichen des Abschieds ein Tuch in der Luft. Franz zog auch sein Taschentuch, ließ es flattern und erwiderte den Gruß. Nach einer Sekunde erschien eine leichte Rauchwolke auf dem Hinterteil des Schiffes, machte sich leicht vom Verdeck los und stieg langsam zum Himmel empor; dann traf ein schwacher Knall Franzens Ohr. Hören Sie? rief Gaetano, er nimmt von Ihnen Abschied. Der junge Mann ergriff seineBüchse und schoß sie in die Lust.

Wasbefiehlt nun Eure Exzellenz? fragte Gaetano.

Zündet mir vor allem eine Fackel an.

Ah! ja, ichbegreife, um den Eingang in die Zaubergemächer zu suchen. Viel Vergnügen dabei, Exzellenz; die Fackel will ich Ihnen geben. Auch mich hat der Gedanke erfaßt, der Sie jetztbeschäftigt, drei- oder viermal habe ich gesucht, aber am Ende gabich jede weitere Nachforschung auf. Giovanni, fügte er hinzu, zünde eine Fackel an undbringe sie Seiner Exzellenz! Giovanni gehorchte. Franz nahm die Fackel und trat mit Gaetano in den unterirdischen Raum.

Er erkannte den Platz, wo er erwacht war, an dem noch ganz zerdrückten Lager von Heidekraut; doch wenn er auch mit der Fackel die ganze äußere Oberfläche der Grotte ableuchtete, er sah nichts und erkannte nur an Spuren von Rauchschwärze, daßbereits andere vor ihm vergeblich in gleicher Weise gesucht hatten. Er ließ indessen keinen Fuß dieser undurchdringlichen Granitmauer ungeprüft. Er sah keine Spalte, in die er nicht die Klinge seines Jagdmessers stieß. Erbemerkte keinen hervorspringenden Punkt, auf den er nicht drückte, in der Hoffnung, er würde nachgeben; aber alles war umsonst, und nachdem er zwei Stunden vergeblich aufgewendet hatte, leistete er Verzicht. Gaetano triumphierte.

Franz hielt nichts mehr auf Monte Christo zurück; er hatte jede Hoffnung verloren, das Geheimnis der Grotte zu entdecken, beeilte sich zu frühstücken, und eine halbe Stunde nachherbefand er sich anBord seinerBarke. Er warf einen letztenBlick auf die Jacht, die imBegriff war, im Golf von Porto‑Veechio zu verschwinden, und gabnun das Signal zur Abfahrt. In der Sekunde, wo dieBarke sich inBewegung setzte, verschwand die Jacht; mit ihr erlosch die letzte Wirklichkeit der vorhergehenden Nacht: Abendessen, Simbad, Haschisch und Statuen, alles fing an, sich für Franz im gleichen Traume zu vermengen.

DieBarke segelte den Tag und die ganze Nacht, und am Morgenbei Sonnenaufgang war die Insel Monte Christo ebenfalls verschwunden. Sobald Franz die Erdeberührte, vergaß er, wenigstens für den Augenblick, die erlebten Ereignisse, um seine Angelegenheiten in Florenz abzumachen. Dann reiste er ab, seinen Gefährten in Rom aufzusuchen, wobereits die ersten Karnevalsfestlichkeitenbegonnen hatten.

Franz mußte sich durch diebereits in gehobener Feststimmung die Straßen Roms passierende Menge — es war der Sonnabend vorBeginn des Festes — drängen und kam endlich zu Pastrinisberühmtem Hotel zur Stadt London, wo er mit seinem ihn erwartenden Freunde Albert von Morcerf zusammentraf.