Römische Banditen
Am nächsten Tage nach ihrer Ankunftbeabsichtigten diebeiden Freunde noch nach dem Abendessenbei Mondschein eine Spazierfahrt vor die Tore der ewigen Stadt zu machen. Aber der Wirt Pastrini, der einen Wagenbesorgen sollte, machte alle möglichen Ausflüchte und riet ernstlich von einer so gefährlichen, nächtlichen Partie ab. Als die neugierig gemachten Freunde energisch nach dem wahren Grunde seines ängstlichen Zögerns fragten, erklärte er endlich, daß die Kampagna gerade in letzter Zeit der Schauplatz häufiger Raubanfälle gewesen sei, und daß derbekannte Räuberhauptmann Luigi Vampa mit seinen gefährlichenBanditen die ganze Umgegend unsicher mache.
Die ungläubigen Zuhörerbaten ihren Wirt um ausführlichere Auskunft über denberüchtigten Räuber, worauf Pastrini anfing:
Luigi Vampa war ein einfacher Hirtenknabe auf dem Gute des Grafen San Felice, das zwischen Palestrina und dem Gabri‑See liegt. In Pampinara geboren, trat er in einem Alter von fünf Jahren in den Dienst des Grafen. Sein Vater, selbst ein Hirte, hatte eine eigene kleine Herde und lebte von der Wolle seiner Hammel und der Einnahme aus der Milch seiner Schafe, die er in Rom verkaufte. Luigi war gelehrig, und ein hervorragender Nachahmungstriebbefähigte ihn, alles rasch aufzufassen; so lernte er spielend lesen und schreiben, zeichnen und hübsche Holzschnitzereien anfertigen.
Ein Mädchen, etwas jünger als Vampa, hütete ebenfalls seine Schafe in der Nähe von Palestrina; die Kleine war Waise, in Valmontone geboren und hieß Teresa. Die Kinder trafen sich, setzten sich nebeneinander, ließen ihre Herden zusammen weiden, plauderten, lachten und spielten; am Abend trennte man die Schafe des Grafen San Felice von denen desBarons von Cervetri, und die Kinder kehrten nach Hause zurück mit dem gegenseitigen Versprechen, sich am nächsten Morgen wieder aufzusuchen. Bei diesem Leben wurde der Knabe zwölf, das Mädchen elf Jahre alt.
Inzwischen entwickelten sich ihre natürlichen Gaben. Bei seinen künstlerischen Neigungen, seinem feinen Geschmack für die Kunst zeigte sich Luigi eigensinnig, leidenschaftlich, unberechenbar und stets höhnisch. Kein Knabe aus Pampinara, Palestrina oder Valmontone vermochte je einen Einfluß auf ihn zu gewinnen oder sein Kamerad zu werden. Denn immer herrisch stieß er mit seinem eigenwilligen Temperament jede freundschaftliche Regung zurück. Teresa alleinbeherrschte mit einem Worte, mit einemBlick diesen festen Charakter, der sich unter eine weibliche Hand schmiegte, aber unter dem Einfluß eines Mannesbis zumBrechen starr geworden wäre. Teresa ihrerseits war lebhaft, munter, heiter, aber im Übermaß gefallsüchtig; die zwei Piaster, die Luigi als Monatslohn erhielt, gingen für allerlei Schmuck- und Putzgegenstände auf. Die Kinder wuchsen heran, brachten alle Tage miteinander zu und überließen sich ohne Widerstand dem Zuge und der Phantasie ihrer unverdorbenen Natur; so sah sich Vampa in seinen Gesprächen und Träumen stets als Schiffskapitän, als General eines Heeres, als Gouverneur einer Provinz; Teresa wähnte sich reich, in den schönsten Kleidern und vonBedienten umgeben.
Eines Tages sagte der junge Hirt dem Intendanten des Grafen, er habe einen Wolf aus dem Sabinergebirge hervorkommen und um seine Herde schweifen sehen. Der Intendant gabihm eine Flinte; damit hatte sich Luigis langgehegter Wunsch verwirklicht. Von diesem Augenblick an widmete er jede freie Zeit den Übungen im Gebrauch seiner Flinte; er kaufte Pulver undBlei, und nichts war vor seiner Kugel sicher. Bald war er so geschickt, daß Teresa mit Vergnügen zusah, wie ihr Gefährte jedes Ziel unfehlbar traf. Eines Tages kam in der Nähe der jungen Leute ein Wolf aus einem Fichtenwalde hervor, den Luigis Kugel nach kaum zehn Schritten tot niederstreckte. Stolz auf den ersten Erfolg, lud Vampa den Wolf auf seine Schultern und trug ihn nach Hause. Dies alles verschaffte ihm einen gewissen Ruf in der Gegend, der junge Hirte galt als der geschickteste, stärkste, mutigsteBursche weit undbreit in der Runde, und obgleich Teresa eines der hübschesten Mädchen des Sabinerlandes war, wagte doch niemand, ihr ein Wort von Liebe zu sagen, denn man wußte, daß sie von Vampa geliebt wurde.
Als Teresa sechzehn, Vampa siebzehn Jahre alt waren, fing man an, viel von einer Räuberbande zu sprechen, die sich in den Lepinerbergenbildete. Die Räuberei ist in der Nähe der ewigen Stadt nie ernstlich ausgerottet worden. Es fehlt oft an Anführern, aber wenn sich ein Anführer zeigt, fehlt es selten an einerBande. In den Abruzzen umstellt, aus dem Königreiche Neapel, wo er geradezu einen Feldzug geführt hatte, vertrieben, durchzog Cucumetto das Garigliano, eine neueBandebildend. Mehrere junge Leute von Palestrina, Frascati und Pampinara verschwanden, undbald erfuhr man, daß sie sich an CucumettosBande angeschlossen hatten. Nach einiger Zeit wurde Cucumetto der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit. Man erzählte sich von diesemBanditenanführer Züge von außerordentlicher Kühnheit und von empörender Roheit.
Eines Tages raubte er ein junges Mädchen, die Tochter des Feldmessers von Frosinone. Nach demBrauch derBanditen gehört ein junges Mädchen zuerst dem, der es raubt, dann ziehen die anderen das Los, und die Unglückliche dient der ganzenBande zum Vergnügen, bis sie verlassen wird oder stirbt. Sind die Eltern reich genug, um sie loszukaufen, so schickt man einenBoten ab, der um das Lösegeld unterhandelt; der Kopf der Gefangenen haftet für die Sicherheit des Abgesandten. Wird das Lösegeld verweigert, so ist die Gefangene unwiderruflich verurteilt. Das Mädchen hatte seinen Liebhaber in CucumettosBande, er hieß Carlini. Als die Unglückliche den jungen Mann erkannte, streckte sie die Hände nach ihm aus; doch dem armen Carlinibrach das Herzbei ihrem Anblick, denn er wußte, welches Los ihrer harrte.
Da er indessen Cucumettos Liebling war, mit dem er seit drei Jahren alle Gefahren geteilt, und dem er das Leben gerettet hatte, hoffte er, Cucumetto würde Mitleid haben. Erbat daher den Hauptmann, zu seinen Gunsten eine Ausnahme zu machen und Rita zu schonen, wobei er ihmbemerkte, der Vater sei reich und würde ein gutes Lösegeldbezahlen. Cucumetto schien auch wirklich denBitten seines Freundes nachzugeben. Da trat Carlini freudig zu seiner Geliebten, sagte ihr, sie sei gerettet, und forderte sie auf, ihrem Vater einenBrief zu schreiben und ihm zu sagen, das Lösegeld sei auf dreihundert Piaster festgesetzt. Man gabdem Vater eine Fristbis zum andern Morgen um neun Uhr.
Sobald derBrief geschrieben war, lief Carlini fort, um einenBoten zu suchen. Er fand einen jungen Hirten, der sich sogleich mit dem Versprechen entfernte, in einer Stunde in Frosinone zu sein. Carlini kam ganz heiter zurück, um wieder mit seiner Geliebten zusammenzutreffen und ihr die frohe Kunde mitzuteilen. Er fand dieBande auf einer Lichtung, wo sie lustig die Mundvorräte verzehrte, welche dieBanditen wie einen Tribut von denBauern erhoben; doch vergebens suchte er unter den fröhlichen Gästen Cucumetto und Rita. Er fragte, wo sie wären; dieBanditen antworteten mit einem schallenden Gelächter. Ein kalter Schweiß lief Carlini über die Stirn, und er fühlte, wie ihn die Angstbei den Haaren faßte. Er wiederholte seine Frage. Einer von den Genossen füllte ein Glas mit Orvieto‑Wein, reichte es ihm und sagte: Auf die Gesundheit desbraven Cucumetto und der schönen Rita!
In diesem Augenblick glaubte Carlini den Schrei einer Frau zu hören, und er erriet alles. Er nahm das Glas, zerschmetterte es am Gesichte dessen, der es ihm reichte, und eilte in der Richtung des Schreies fort. Nachdem er hundert Schritte gelaufen war, fand er in einem Gebüsche Rita ohnmächtig in Cucumettos Armen. Als dieser Carlini erblickte, erhober sich, in jeder Hand eine Pistole haltend. DieBanditen schauten einander einen Augenblick an, der eine mit dem Lächeln der Unzucht auf den Lippen, der andre mit derBlässe des Todes auf der Stirn. Es war, als sollte etwas Furchtbares zwischen denbeiden Männern vorgehen, aber allmählich verloren Carlinis Züge ihre Spannung, und seine Hand, die er an eine Pistole in seinem Gürtel gelegt hatte, fiel an der Seite nieder; Rita lag zwischenbeiden. Der Mondbeleuchtete die Szene.