Und dennoch war Albert nicht nur ein vollkommen eleganter Kavalier, sondern auch ein Mann von viel Geist; ferner war er Vicomte, allerdings Vicomte von neuem Adel; doch heutzutage, wo man keine Ahnenproben mehr zu liefern hat, was liegt daran, obder Adelstitel von 1399 oder von 1815 datiert? Dabei hatte er, was schwerer ins Gewicht fiel, fünfzigtausend Franken Rente, und das war mehr, als manbrauchte, um in Paris Mode zu sein. Es erschien also einigermaßen demütigend, daß er in keiner von den Städten, die erbesucht, Aufsehen erregt hatte.
Er hoffte sich in Rom zu entschädigen, da der Karneval in allen Ländern der Erde, die dieses herrliche Fest feiern, eine Zeit der Freiheit ist, wo sich die Strengsten zu einer Tollheit hinreißen lassen. Weil nun der Karneval am andern Tagebegann, so war es für Albert von großer Wichtigkeit, sich der vornehmen Welt noch vorherbemerklich zu machen. Er hatte daher eine von den am meisten ins Auge fallenden Logen des Theaters gemietet, und eine tadellose Toilette gemacht. Indes hegte er noch eine andere Hoffnung: er dachte, wenn es ihm gelänge, einen Platz im Herzen einer schönen Römerin zu erobern, so würde er damit natürlich auch einen Platz in einem Wagen erlangen und er dann in der Lage sein, den Karneval von der Höhe eines aristokratischen Gefährtes oder eines fürstlichenBalkons herabzu genießen.
Alle diese Gedanken trugen dazubei, Albert lebhafter zu machen, als er es je gewesen war. Er wandte den Schauspielern den Rücken zu, neigte sich mit halbem Leibe aus der Loge heraus, lorgnettierte alle jungen Frauen, was aber keinebewog, ihn mit einem einzigenBlicke zubelohnen. Alle Plauderten von ihren eigenen Angelegenheiten, von ihren Liebschaften, von ihren Vergnügungen, vom Karneval, von der nächsten heiligen Woche, ohne nur einen Augenblick den darstellenden Künstlern oder dem Stücke die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Gegen das Ende des ersten Aktes öffnete sich die Tür einer Loge, diebis jetzt leer geblieben war, und Franz sah eine Dame eintreten, der er in Paris vorgestellt zu werden die Ehre gehabt hatte; bis dahin war er der Meinung gewesen, siebefände sich noch in Frankreich. Albert sah, daß sein Freundbeim Erscheinen der Dame erregt wurde, wandte sich zu ihm und fragte: Kennen Sie diese Frau?
Ja; wie finden Sie sie?
Reizend, mein Lieber. Es ist eine Französin?
Nein, eine Venetianerin!
Und sie heißt?
Gräfin***.
Ah! ich kenne sie dem Namen nach, rief Albert; man sagt, sie sei ebenso geistreich als hübsch. Teufel! Wenn ichbedenke, daß ich mich ihrbei dem letztenBall von Frau von Villefort hätte vorstellen lassen können, und daß ich Dummkopf dies versäumte!
In diesem Augenblick gewahrte die Gräfin Franz und machte ihm mit der Hand ein anmutiges Zeichen, das er mit einer höflichen Verbeugung erwiderte.
Ah! es scheint mir, Sie stehen sehr gut mit ihr? sagte Albert.
Mein Lieber, was Sie hier täuscht und was uns Franzosen im Auslande tausend Albernheitenbegehen läßt, ist, daß wir alles von unserm Pariser Gesichtspunktbetrachten. In Spanien und in Italienbesonders dürfen Sie die Vertrautheit der Leute nie nach der Freiheit in ihren Umgangsformenbeurteilen. Wir haben eine gewisse Sympathie zu einander gehegt, das ist alles.
Endlich fiel der Vorhang zur großen Freude des Vicomte von Morcerf, der seinen Hut nahm und seinen Freundbat, ihn der Gräfin vorzustellen. Diebeiden Freundebetraten die Loge der Gräfin, und Franz stellte Albert als einen durch gesellschaftliche Stellung und Geist ausgezeichneten Kavalier vor. Er fügte hinzu, in Verzweiflung darüber, daß er den Aufenthalt der Gräfin in Paris nichtbenutzt, um sich ihr vorstellen zu lassen, habe er ihnbeauftragt, diesen Fehler gutzumachen, und er entledige sich dieses Auftrags, indem er die Gräfin, bei der er selbst eines Fürsprechersbedurft hätte, bitte, seine Unbescheidenheit entschuldigen zu wollen. Die Gräfin antwortete, Albert anmutigbegrüßend und Franz die Hand reichend. Von ihr eingeladen, nahm Albert den leeren Platz vorn ein, und Franz setzte sich in die zweite Reihe hinter die Gräfin.
Albert fand einen vortrefflichen Gegenstand zur Unterhaltung: Paris; er sprach mit der Gräfin von ihren gemeinschaftlichenBekannten. Franz seinerseits ließ sich von seinem Freunde dessen Riesenlorgnette geben und fing ebenfalls an, sich im Saal umzusehen. Allein, auf dem Vordersitze einer Loge, im dritten Rang ihnen gegenüber, saß einebewunderungswürdig hübsche Frau in griechischem Kostüm, das sie mit so viel Anmut trug, daß es offenbar ihre Landestracht sein mußte. Hinter ihr saß ein Mann, dessen Gesicht sich jedoch nicht erkennen ließ. Franz unterbrach das Gespräch Alberts mit der Gräfin, um diese zu fragen, obsie die schöne Albanesin kenne, die wohl würdig wäre, nicht nur die Aufmerksamkeit der Männer, sondern auch die der Frauen zu erregen.
Nein, sagte sie, ich weiß nur, daß sie seit dem Anfange der Saison in Rom ist, dennbei Eröffnung des Theaters habe ich sie da gesehen, wo sie jetzt sitzt, und seit einem Monat versäumt sie keine Vorstellung; baldbegleitet sie der Mann, der in diesem Augenblickbei ihr ist, bald folgt ihr nur ein schwarzer Diener.
Franz und die Gräfin tauschten ein Lächeln aus, dann setzte die Gräfin ihr Gespräch mit Albert fort, während Franz wieder seine Albanesinbetrachtete. Die Ouverture des zweiten Aktesbegann. Bei den erstenBogenstrichen sah Franz den Herrn aufstehen und sich der Griechin nähern, die sich umwandte, um einige Worte an ihn zu richten, und sich abermals mit dem Ellenbogen auf dieBrüstung der Loge stützte. Das Gesicht ihresBegleiters war immer noch im Schatten, und Franz vermochte seine Züge nicht zu unterscheiden.
Der Vorhang ging auf, Franzens Aufmerksamkeit richtete sich nun selbstverständlich auf die Schauspieler, und seine Augen verließen für kurze Zeit die Loge der schönen Griechin, um sich nach der Szene zu richten.
Als der zweite Akt zu Ende war, wollte er ebenBeifall spenden, als dasBravo, das seinem Munde entschlüpfen wollte, auf seinen Lippen erstarb.
Der Mann in der Loge war völlig aufgestanden, und Franz erkannte nun in ihm, da sein Kopf vom Licht getroffen wurde, den geheimnisvollenBewohner von Monte Christo, den Mann, dessen Stimme er am Abend zuvor in den Ruinen des Kolosseums wiederzuhören geglaubt hatte. Es unterlag keinem Zweifel, der fremde Reisende wohnte in Rom. Wahrscheinlich drückte sich auf Franzens Gesicht die Unruhe aus, die diese Erscheinung in seinem Innern hervorrief, denn die Gräfin schaute ihn an und fragte ihn, was er hätte.
Frau Gräfin, antwortete Franz, wenn ich Sie vorhin fragte, obSie jene albanesische Frau kennen, so frage ich Sie nun, obSie ihren Gatten kennen.
Ebensowenig als sie. Jedenfalls, sagte sie, mit Alberts Glas nach der Loge sehend, muß es aber ein Abgeschiedener sein, der mit Erlaubnis des Totengräbers aus seinem Sarge gestiegen ist, denn er sieht furchtbarblaß aus.
So sieht er immer aus, sagte Franz.
Sie kennen ihn also? sagte die Gräfin; dann ist es an mir, Sie zu fragen, wer er ist.
Ich habe ihn, glaube ich, bereits gesehen und erkenne ihn wieder.
In der Tat, sagte die Gräfin, während sie mit den Schultern eineBewegung machte, als durchliefe ein Schauer ihre Adern, ichbegreife, daß man einen solchen Menschen nie vergißt, wenn man ihn einmal gesehen hat.
Die Wirkung, die Franz an sich empfunden, war also keinebesondere, da sie sich auchbei einer andern Person fühlbar machte.
Nun! fragte Franz die Gräfin, als sie zum zweiten Male zu dem Fremden hinübersah, was denken Sie von diesem Manne?
Hören Sie, erwiderte die Gräfin, der verstorbene LordByron hat mir geschworen, er glaube an Vampire, er sagte mir sogar, er habe welche gesehen. Er schilderte mir ihr Gesicht, und wahrhaftig, gerade so, wie ich's dort drüben sehe: die schwarzen Haare, die großen, von seltsamem Feuer glänzenden Augen, die Totenblässe; bemerken Sie ferner, daß er mit keiner gewöhnlichen Frau zusammen ist, es ist eine Fremde, eine Griechin,… eine Abtrünnige… eine Magierin ohne Zweifel, wie er…