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Zwei Männer, die Gehilfen des Nachrichters, die auf demBrette saßen, woraus man den Verurteilten legt, frühstückten in Erwartung der Dinge und aßen, soviel Franz sehen konnte, Brot und Würste; der eine hobdasBrett auf, zog eine Flasche Wein hervor, trank einen Schluck und reichte sie seinem Kameraden. Schonbei diesem Anblick fühlte Franz den Schweiß an den Wurzeln seiner Haare hervorbrechen.

Am Abend zuvor von den neuen Gefängnissen in die kleine Kirche Santa‑Maria‑del‑Popolo geführt, hatten die Verurteilten, jeder unter demBeistande von zwei Priestern, die Nacht in einer schwarz ausgeschlagenen Kapelle zugebracht, die mit einem Gitter verschlossen war, vor dem Schildwachen auf und abgingen. Eine doppelte Reihe von Carabinieri stand von der Kirchentürbis zumBlutgerüst, um das herum sich diese Doppelreihe schloß. Der ganze übrige Platz war mit Männer- und Frauenköpfen wie gepflastert, während viele Frauen ihre Kinder auf den Schultern hielten.

Der Monte Pincio sah aus wie ein weites Amphitheater, dessen Plätze insgesamt mit Zuschauern überfüllt waren; dieBalkone der Kirchen waren vonbevorzugten Neugierigen vollgepfropft; jeder Mauervorsprung trug lebendige Statuen. Was der Graf sagte, entsprach also der Wahrheit: das Interessanteste im Leben ist das Schauspiel des Todes. Und dennoch stieg statt des Stillschweigens, das die Feierlichkeit dieser Szene zu fordern schien, ein Geräusch aus dieser Menge empor, das sich aus Gelächter, Gezisch und freudigem Geschrei zusammensetzte; die Hinrichtung war eben, wie der Graf ebenfalls gesagt hatte, für all dieses Volk nichts anderes, als der Anfang des Karnevals.

Plötzlich hörte der Lärm wie durch einen Zauberschlag auf; die Tür der Kirche hatte sich geöffnet. Mönche von derBrüderschaft derBüßer, deren Mitglieder insgesamt in graue, nur an den Augen ausgehöhlte Säcke gekleidet waren und eine angezündete Kerze in der Hand hielten, erschienen zuerst. Hinter denBüßern kam ein Mensch von hoher Gestalt; dieser Mensch war nackt, abgesehen von einer Leinwandhose, an deren linker Seite er ein großes in seiner Scheide verborgenes Messerbefestigt hatte; auf der Schulter trug er eine schwere eiserne Keule. Es war der Henker. Unter den Füßen hatte er noch mit Stricken angebundene Sandalen. Hinter dem Henker marschierten in der Ordnung, in der sie hingerichtet werden sollten, zuerst Peppino und dann Andrea, jeder von zwei Priesternbegleitet. Keiner hatte die Augen verbunden. Peppino ging festen Schrittes einher; ohne Zweifel hatte er Kunde von dem, was sich für ihn vorbereitete. Andrea wurde unter dem Arme durch einen Priester unterstützt. Beide küßten von Zeit zu Zeit das Kruzifix, das ihnen derBeichtiger darbot.

Franz fühlte, wie ihmbei diesem Anblick dieBeine den Dienst versagten; er schaute Albert an. Dieser warblaß wie sein Hemd und warf unwillkürlich seine Zigarre von sich. Nur der Graf allein sah unempfindlich aus. Mehr noch, es schien sogar eine leichte Röte die Leichenblässe seiner Wangen durchdringen zu wollen. Seine Nase erweiterte sich wie die eines wilden Tieres, dasBlut riecht. Bei alledem hatte sein Antlitz einen Ausdruck lächelnder Sanftmut, den Franz nie an ihm wahrgenommen; seine Augenbesonders waren vonbewunderungswürdiger Weichheit und Milde.

Die Verurteilten setzten indessen den Weg nach dem Schafott fort, und ihre Gesichtszüge ließen sich nach und nach deutlicher unterscheiden. Peppino war ein hübscher Junge von etwa 25 Jahren, mit sonnverbranntem Gesichte und freiem, wildemBlicke. Er trug den Kopf hoch und schien den Wind einzuziehen, als wollte er sehen, von welcher Seite seinBefreier käme. Andrea war dick und kurz; sein gemein grausames Gesicht ließ das Alter nicht genau erkennen; er mochte jedoch ungefähr dreißig Jahre zählen. Im Gefängnis hatte er seinenBart wachsen lassen. Der Kopf fiel ihm auf eine Schulter herab, seineBeinebogen sich unter der Last; sein Körper schien nur einem mechanischen Triebe zu gehorchen, an dem sein Wille keinen Teil mehr hatte.

Wie mir scheint, kündigten Sie uns an, es würde nur eine Hinrichtung stattfinden? sagte Franz zu dem Grafen.

Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt, antwortete er kalt.

Hier sind aber zwei Verurteilte.

Ja, doch von den zwei Verurteilten ist der eine dem Tode nahe, während der andere noch lange Jahre zu leben hat.

Soll die Gnade kommen, so ist meiner Ansicht nach keine Zeit zu verlieren.

Sie kommt schon, sehen Sie dort! sagte der Graf.

In dem Augenblick, wo Peppino am Fuße des Schafotts anlangte, drang einBüßer, der sich verspätet zu haben schien, durch die Hecke der Soldaten, ohne daß diese Widerstand leistete, eilte auf den Anführer derBrüderschaft zu und überreichte ihm ein zusammengelegtes Papier. Peppinos glühenderBlick war diesem Vorgang mit äußerster Spannung gefolgt. Der Anführer derBrüderschaft entfaltete das Papier, las es, hobdie Hand auf und sagte mit lauter, verständlicher Stimme:

Der Herr sei gesegnet und Seine Heiligkeit sei gelobt! Man hat dem Leben eines Gefangenen Gnade angedeihen lassen.

Gnade! rief das Volk mit einem Schrei; begnadigt!

Bei dem Worte schien Andrea emporzuspringen und den Kopf aufzurichten.

Gnade für wen? rief er.

Die Todesstrafe ist Peppino, genannt Rocca Priori, erlassen. antwortete der Anführer der Priesterschaft und übergabdas Papier dem die Carabinieribefehligenden Kapitän, der es ihm, nachdem er es gelesen hatte, zurückstellte.

Gnade für Peppino! rief Andrea, völlig aus der Starrheit erwachend, in die er versunken zu sein schien. Warum Gnade für ihn und nicht für mich? Wir sollten miteinander sterben, man versprach mir, er würde vor mir sterben, man darf mich nicht allein sterben lassen; ich will nicht allein sterben, nein, ich will nicht.

Und er hing sich an die Arme der Priester und krümmte sich und heulte undbrüllte und strengte sich wahnsinnig an, die Stricke zu zerreißen, mit denen seine Hände gebunden waren. Der Henker machte seinen Gehilfen ein Zeichen: sie sprangen vom Schafott herabundbemächtigten sich des Verurteilten.

Was gibt es denn? fragte Franz den Grafen, denn da alles in römischer Mundart gesprochen wurde, hatte er's nicht gut verstanden.

Was es gibt? erwiderte der Graf, erraten Sie es nicht? Dieser Mensch, der sterben soll, ist wütend darüber, daß der andre nicht mit ihm stirbt, und wenn man ihn gewähren ließe, würde er ihn eher mit seinen Nägeln und Zähnen zerreißen, als ihn das Leben genießen lassen, dessen er selbstberaubt werden soll. Oh! Menschen, Menschen! Krokodilenbrut, wie Karl Moor sagt, rief er, seinebeiden Fäuste nach der Menge ausstreckend, wie erkenne ich euch hier, und wie sehr seid ihr jeder Zeit euer selbst würdig.

Andrea und diebeiden Gehilfen des Henkers wälzten sich wirklich im Staube, wobei der Verurteilte fortwährend ausrief: Er muß sterben, ich will, daß er sterbe, man hat nicht das Recht, mich allein umzubringen. Die Knechte trugen Andrea schließlich auf das Schafott, alles Volk nahm gegen ihn Partei, und zwanzigtausend Stimmen riefen wie mit einem Schrei: Tötet ihn! tötet ihn! Franz warf sich zurück, aber der Graf ergriff ihn am Arm und hielt ihn am Fenster fest.

Was machen Sie denn? sagte er zu ihm; Mitleid? Das wäre in der Tat gut angebracht! Wenn Sie rufen hörten: Dort ist ein wütender Hund! so würden Sie Ihr Gewehr nehmen, auf die Straße eilen und das arme Tier niederschießen, dessen ganze Schuld am Ende darinbestände, daß es, von einem andern Hunde gebissen, das, was man ihm getan, vergilt. Und Sie haben Mitleid mit einem Menschen, den kein anderer Mensch gebissen, und der dennoch seinen Wohltäter umgebracht hat, und nun, da er nicht mehr umbringen kann, weil seine Hände gebunden sind, mit aller Gewalt seinen Kerkergefährten, seinen Unglückskameraden sterben sehen will? Sehen Sie, sehen Sie!

Diese Ausforderung war überflüssig geworden, Franz war von dem furchtbaren Schauspiel wie von einemBlendwerk ergriffen. Die Knechte hatten den Verurteilten auf das Schafott geschleppt und ihn hier, trotz seines Widerstrebens, seinesBeißens, seines Geschreis, genötigt, sich auf die Knie zu werfen; währenddessen stellte sich der Henker an seine Seite und hielt die Keule empor; auf ein Zeichen zogen sich die Gehilfen zurück. Der Verurteilte wollte sich erheben, doch ehe er dazu Zeit hatte, fiel die Keule auf seine linke Schläfe; man hörte ein dumpfes, mattes Geräusch, und der Verbrecher stürzte mit dem Gesicht voran wie ein geschlagener Ochs zur Erde. Der Henker ließ nun die Keule aus seinen Händen sinken, zog das Messer aus seinem Gürtel und öffnete dem Opfer mit einem Schnitte die Gurgel.