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Franz dankte dem Grafen für sein höfliches Anerbieten. Die Freunde fuhren davon, nutzten das lustige Karnevalsfest noch gehörig aus und amüsierten sichbis zum späten Abend, um wiederum das Theater zubesuchen.

Im Foyer trafen sie mit der Gräfin zusammen, die ihnen mit allen Zeichen der Ungeduld entgegenkam und Franz hastig fragte: Ich hörte, daß Siebereits heute mit ihm inBeziehung traten. Wie heißt er? Sprechen Sie, ich muß näheres über ihn erfahren.

Lächelnd verbeugte sich Franz und erwiderte der schönen Frau: Allerdings habe ich schon seit heute morgenbei einem vorzüglichen Frühstück dieBekanntschaft des Grafen von Monte Christo gemacht.

Was für ein Name ist dies? Ich kenne das Geschlecht nicht.

Es ist der Name einer Insel, die er gekauft hat.

Und er ist Graf?

Toskanischer Graf.

So werden wir ihn dulden wie die andern, sagte die Gräfin, die einer der ältesten Familien aus Venetien angehörte. Und was für ein Mann ist er im übrigen? wandte sich die Gräfin an den Vicomte von Morcerf.

Oh, uns gefällt er ausgezeichnet, antwortete Albert; ein zehnjähriger Freund hätte nicht mehr für uns getan, als er, und dies mit einer Anmut, einer Zartheit, einer Höflichkeit, worin sich der wahre Weltmann offenbart.

Gehen Sie, versetzte die Gräfin lachend. Sie werden sehen, mein Vampir ist nichts als ein plötzlich reichgewordener Emporkömmling, der für seine Millionen Verzeihung sucht. Und sie haben Sie auch gesehen?

Welche sie? fragte Franz lächelnd.

Die schöne Griechin von gestern.

Nein. Wir hörten, wie ich glaube, den Ton ihrer Zither, doch siebliebvöllig unsichtbar.

Das heißt, wenn Sie unsichtbar sagen, mein lieber Franz, unterbrach Albert, so geschieht dies nur, um den Geheimnisvollen zu spielen. Für wen halten Sie denblauen Domino, der an dem mittleren Fenster mit dem weißen Damastvorhang im Palaste Rospoli stand? — Der Graf hatte also drei Fenster im Palaste Rospoli? Dieser Mensch muß ein wahrer Nabobsein. Wissen Sie, daß drei solche Fenster für acht Karnevalstage 2–3000 römische Taler kosten? Ah, Teufel! — Bezieht er diese Einkünfte von seiner Insel? — Seine Insel trägt ihm keinen Heller ein. — Warum hat er sie dann gekauft? — Aus Phantasie. — Er ist also ein Original? — Ich kann es nicht leugnen, er kam mir sehr exzentrisch vor, sagte Albert.

Es war Zeit geworden, sich zu verabschieden, und diebeiden Freunde verließen die Gräfin. Die nächsten Tage vergingen im Taumel der Vergnügungen, und endlich kam der Dienstag, der letzte und lärmendste von den Karnevalstagen. Am Dienstag öffneten sich die Theater um zehn Uhr morgens, denn sobald acht Uhr abends vorüber ist, beginnt die Fastenzeit. Am Dienstag mischt sich alles, was aus Mangel an Zeit, Geld oderBegeisterung an den vorhergehenden Festen nicht teilgenommen hat, in dasBacchanal, läßt sich von der Orgie fortreißen undbringt seinen Tribut an Leben und Lärm zu der allgemeinen Tollheit. Von zwei Uhrbis fünf Uhr folgten Franz und Albert der Reihe, tauschten Hände voll Confetti mit den Wagen der entgegengesetzten Reihe und den Fußgängern aus, die zwischen den Füßen der Pferde, zwischen den Rädern der Karrossen umherschwärmten, ohne daß mitten unter diesem furchtbaren Gedränge ein Unfall geschah oder irgend ein Streit entstand. Die Italienerbilden in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Die Feste sind für sie wahre Feste.

Albert triumphierte in seinerBajazzotracht. Er trug auf der Schulter einen Knoten von rosaBändern, deren Enden ihmbis zu den Knien herabfielen, um keine Verwechslung zwischen ihm und Franz herbeizuführen, der seinerseits in der Tracht eines römischenBauern steckte.

Je mehr der Tag vorrückte, desto größer wurden Lärm und Gedränge; es war in der Tat ein menschliches Ungewitter, das sich aus einem Donner schreiender Stimmen und einem Hagel von Dragées, Sträußen, Eiern, Orangen undBlumen zusammensetzte. Um drei Uhr verkündigtenBöllerschüsse, die zu gleicher Zeit auf der Piazza del popolo und im venetianischen Palaste gelöst wurden, daß das Wettrennenbeginne.

Das Wettrennen ist, wie die Moccoli, einebesondere Eigenheit der letzten Tage des Karnevals. Bei dem Krachen derBöllerbrachen die Wagen sofort aus ihren Reihen und flüchteten sich in die nächste Querstraße. Alle diese Szenenwechsel vollziehen sich übrigens mit unbegreiflicher Geschicklichkeit und wunderbarer Geschwindigkeit, und zwar ohne daß die Polizei nur im geringsten nötig gehabt hätte, jedem seinen Posten anzuweisen oder seinen Weg vorzuschreiben. Die Fußgänger drückten sich an die Paläste, dann hörte man ein gewaltiges Geräusch von Pferden und Säbelrasseln.

Eine fünfzehn Mann starke Abteilung von Carabinieri sprengte im Galopp durch die Straße des Korso, um den Wettrennern Platz zu machen. Als diese Abteilung zum venetianischen Palaste gelangte, verkündigte eine zweiteBatterie vonBöllern, daß die Straße frei sei.

Beinahe im selben Augenblick sah man unter allgemeinem, unerhörtem Geschrei siebenbis acht Reiter, vom Zuruf von dreimal hunderttausend Personen angestachelt, vorüberjagen; dann verkündigten drei Kanonenschüsse vom Kastell St. Angelo, daß Nummer 3 gewonnen habe.

Sogleich setzten sich die Wagen wieder inBewegung, strömten gegen den Korso zurück und mündeten aus allen Straßen aus. Nun hatte sich ein neues Element des Lärmens und derBewegung in die Menge gemischt: die Moccolihändler traten in Szene.

Die Moccoli oder Moccoletti sind Kerzen von verschiedener Dicke, diebei den Schauspielern dieser Schlußszene des römischen Karnevals zweierlei Tätigkeiten auslösen: erstens, das eigene Moccolettobrennend zu erhalten, zweitens, das anderer auszulöschen.

Das Moccoletto wird an irgend einem Lichte angezündet. Wer aber vermöchte die tausend Mittel zubeschreiben, die erfunden worden sind, um das Moccoletto auszulöschen… die Riesenohrfeigen, die ungeheuren Löschhörner, die übermenschlichen Windfächer? Allebeeilten sich, Moccoletti zu kaufen, Franz und Albert so gut wie die andern.

Die Nacht rückte rasch heran, undbereitsbegannenbei dem tausendfachen schrillen Rufe der Händlern» Moccoli!«einige Sterne über der Menge zu glänzen. Es war dies wie ein Signal. Nach Verlauf von zehn Minuten funkelten fünfzigtausend Lichter von dem venetianischen Palaste nach der Piazza del popolo herab, und von der Piazza del popolo nach dem venetianischen Palaste hinauf. Man hätte glauben sollen, es sei das Fest der Irrlichter; denn man kann sich in der Tat von diesem Anblick, wenn man nicht einmal Augenzeuge davon gewesen ist, keinenBegriff machen.

In diesem Augenblickbesonders gibt es keinen gesellschaftlichen Unterschied mehr. Der Facchino hängt sich an den Prinzen, der Prinz an den Trasteveriner, der Trasteveriner an denBürger… Jederbläst, löscht aus, zündet wieder an. Das tolle Lichterspiel dauerte ungefähr zwei Stunden; der Korso war erleuchtet wie am hellen Tage, man konnte die Züge der Zuschauer im dritten und vierten Stocke unterscheiden.

Plötzlich erscholl die Glocke, die das Signal zum Schlusse des Karnevals gibt, und in einer Sekunde erloschen wie durch einen Zauber alle Moccoli. Es war, als obein einziger, ungeheurer Windstoß alles vernichtet hätte. Franz, den Albert mit derBemerkung, er gehe zu einem Stelldichein, verlassen hatte, befand sich in der tiefsten Finsternis. Man hörte jetzt nur noch das Rollen der Wagen, die die Masken nach Hause führten, und sah nur spärliche Lichter hinter den Fenstern glänzen.

Der Karneval war zu Ende.

Die Katakomben von San Sebastiano

Franz hatte vielleicht in seinem Leben keinen so scharfen, schneidenden Eindruck, keinen so raschen Übergang von der Heiterkeit zur Traurigkeit erfahren, als in diesem Augenblick; es war, als hätte sich Rom unter dem magischen Hauche eines Dämons der Nacht in ein Grabverwandelt. Da der abnehmende Mond erst um elf Uhr abends aufging, so waren die Straßen, durch die der junge Mann fuhr, noch in die tiefste Finsternis versenkt. Nach Verlauf von zehn Minuten hielt sein Wagen oder vielmehr der des Grafen vor dem Gasthofe zur Stadt London.