Die Straße war die alte, beiderseits von Gräbernbegrenzte Via Appia. Von Zeit zu Zeit kam es Franzbeim Lichte des aufgehenden Mondes vor, als obeine Schildwache hinter einer Ruine hervorträte; doch auf ein zwischen Peppino und dieser Schildwache ausgetauschtes Zeichen kehrte sie in den Schatten zurück und verschwand. Wenige Schritte vor dem Zirkus des Caracalla hielt der Wagen an, Peppino öffnete den Schlag, und Franz und der Graf stiegen aus.
In zehn Minuten sind wir an Ort und Stelle, sagte der Graf zu seinemBegleiter. Dann nahm er Peppinobeiseite, gabihm leise einenBefehl, und derBandit entfernte sich, nachdem er sich mit einer Fackel versehen hatte, die er aus einem Kistchen hervorzog. Es vergingen fünf Minuten, während Franz Peppino auf einem schmalen Fußpfade fortschreiten und dann in hohem rötlichem Grase verschwinden sah. Franz und der Graf schlugen denselben Fußpfad ein, der sie nach hundert Schritten auf einen sich in ein Tälchen senkenden Abhang führte.
Exzellenz, sagte Peppino, der stehen geblieben war, folgen Sie mir, bitte, die Öffnung der Katakomben ist nur zwei Schritte von hier.
Gut, sagte der Graf, geh voraus!
Esbot sich in der Tat hinter einem Gebüsch und mitten unter einigen Felsen eine Öffnung, durch die kaum ein Mann dringen konnte. Peppino schlüpfte zuerst hinein; aber kaum hatte er einige Schritte getan, als der unterirdische Gang sich erweiterte. Erbliebnun stehen und zündete seine Fackel an. Der Graf war zuerst in eine Art von Luftloch gedrungen, und Franz folgte ihm. Das Terrain vertiefte sich allmählich und wurde immer weiter, je mehr man vorrückte. Franz und der Graf waren jedoch genötigt, gebückt zu marschieren, und konnten nur mit Mühe nebeneinander gehen. Sie machten auf diese Weise noch ungefähr fünfzig Schritte, dann wurden sie durch den Ruf: Wer da? angehalten. Zu gleicher Zeit sahen sie inmitten der Finsternis den Lauf eines Karabiners im Schimmer ihrer eigenen Fackel aufblitzen.
Gut Freund! antwortete Peppino, und sagte einige Worte mit leiser Stimme zu der Schildwache, die, wie die erste, grüßte und dann den nächtlichen Gästen durch ein Zeichenbedeutete, sie könnten weitergehen. Hinter der Wache war eine Treppe von ungefähr zwanzig Stufen. Franz und der Graf stiegen die zwanzig Stufen hinabundbefanden sich an einem Kreuzweg. Fünf Wege liefen wie Strahlen von dieser Stelle aus, und an den Wänden, in denen sargartige Nischen ausgegraben waren, erkannte man, daß man in den Katakomben angelangt war. In einer von diesen Höhlen, deren Ausdehnung sich nicht erkennen ließ, gewahrte man einige Lichtstrahlen. Der Graf legte die Hand auf Franzens Schulter und sagte: Wollen Sie ein Lager ruhenderBanditen sehen, so folgen Sie mir! Peppino, lösche deine Fackel aus!
Peppino gehorchte, und Franz und der Grafbefanden sich in der tiefsten Finsternis; nur tanzte fortwährend etwa fünfzig Schritte vor ihnen längs den Wänden ein rötlicher Schein nach dem andern hin. Sie rückten langsam vor, wobei der Graf Franz leitete, alsbesäße er die seltene Fähigkeit, in der Finsternis zu sehen. Drei Arkaden, von denen die mittlere als Tür zubetrachten war, gewährten ihnen Durchlaß. Diese Arkaden öffneten sich einerseits nach dem Gange, wo Franz und der Graf sichbefanden, andererseits nach einem großen viereckigen Gemache, das ganz von Nischen, den vorhergehenden ähnlich, umgeben war. Mitten in diesem Gemach erhoben sich vier Steine, die einst als Altar gedient hatten, wie das überragende Kreuz andeutete. Eine einzige auf einem Säulenschafte stehende Lampebeleuchtete mitbleichem, flackerndem Lichte die seltsame Szene, die sich den Augen der im Schatten verborgenen Gefährtenbot. Den Ellenbogen auf diese Säule gestützt, saß ein Mann und las, den Rücken den Arkaden zuwendend, durch deren Öffnung die Ankömmlinge ihnbetrachteten. Es war der Anführer derBande, Luigi Vampa. Ringsumher sah man in ihren Mänteln liegend oder an eine Steinbank gelehnt etwa zwanzig Räuber; jeder hatte seinen Karabiner imBereiche der Hand. Im Hintergrunde ging schweigsam, kaum sichtbar und einem Schatten ähnlich, eine Schildwache vor einer Öffnung auf und ab, die man kaum zu unterscheiden vermochte.
Als der Graf glaubte, Franz hätte seineBlicke hinreichend an diesem malerischenBilde geweidet, legte er den Finger an seine Lippen, um ihm Stillschweigen zu empfehlen, trat, die drei Stufen hinabsteigend, die von dem Gange ins Lager führten, durch die mittlere Arkade in das Gemach und ging auf Vampa zu, der so tief in das Lesen versunken war, daß er das Geräusch seiner Tritte nicht hörte.
Wer da? rief die Schildwache, diebei dem Schimmer der Lampe etwas wie einen Schatten sah, der hinter ihrem Hauptmann immer größer wurde. Bei diesem Ruf erhobsich Vampa rasch und zog gleichzeitig eine Pistole aus seinem Gürtel. In einem Augenblick waren alleBanditen auf denBeinen, und zwanzig Karabinerläufe richteten sich auf den Grafen.
Nun! sagte dieser mit vollkommen ruhiger Stimme und ohne daß eine Muskel seines Gesichtes sich rührte; nun, mein lieber Vampa, es scheint, Ihr macht Euch große Unkosten, um einen Freund zu empfangen.
'runter die Gewehre! rief der Anführer mit einem gebieterischen Zeichen einer Hand, während er mit der andern ehrfurchtsvoll seinen Hut abnahm. Dann, sich gegen den hinwendend, der diese ganze Szenebeherrschte, sagte er: Verzeihen Sie, Herr Graf, aber ich war so weit entfernt, die Ehre IhresBesuches zu erwarten, daß ich Sie nicht erkannte.
Es scheint, Ihr habt in allen Dingen ein kurzes Gedächtnis, Vampa, entgegnete der Graf, und Ihr vergeßt nicht nur das Gesicht der Menschen, sondern auch dieBedingungen, die Ihr mit ihnen eingegangen seid.
WelcheBedingungen habe ich vergessen, Herr Graf? fragte derBandit, wie ein Mensch, dem alles daran liegt, einen etwa gemachten Fehler wieder gutzumachen.
Sind wir nicht miteinander übereingekommen, daß Euch nicht nur meine Person, sondern auch die meiner Freunde heilig sein soll?
In welcherBeziehung habe ich mich gegen diesen Vertrag verfehlt, Exzellenz?
Ihr habt den Vicomte Albert von Morcerf entführt und hierher gebracht; nun, so wißt, fuhr der Graf mit einem Tone fort, der Franz erbeben ließ, dieser junge Mann gehört zu meinen Freunden, er wohnt in demselben Gasthofe wie ich, er hat acht Tage lang in meinem Wagen den Korso mitgemacht, und dessenungeachtet, ich wiederhole es, habt Ihr ihn entführt, hierher geschleppt und — der Graf zog denBrief aus der Tasche — ein Lösegeld wie für den nächstenbesten festgesetzt.
Warum habt ihr mich nicht davon in Kenntnis gesetzt? sagte der Anführer, sich gegen seine Leute wendend, die sämtlich vor seinemBlicke zurückwichen; warum habt ihr mich dem ausgesetzt, daß ich mein Wortbreche gegen einen Mann, der unser aller Leben in seinen Händen hat? Bei demBlute Christi! Wenn ich dächte, einer von euch hätte gewußt, der junge Mann sei der Freund Seiner Exzellenz, ich würde ihm die Hirnschale zerschmettern.
Nun! sprach der Graf, sich an Franz wendend, ich sagte Ihnen, es walte irgend ein Irrtum ob.
Sind Sie nicht allein? fragte Vampa unruhig.
Die Person istbei mir, an die derBrief gerichtet war; ich wollte ihrbeweisen, daß Luigi Vampa ein Mann von Wort ist. Kommen Sie, Exzellenz, sagte er zu Franz, hier ist Luigi Vampa, der Ihnen selbst zu sagen wünscht, er sei in Verzweiflung über den Irrtum, den erbegangen hat.
Franz näherte sich; derBanditenführer trat ihm entgegen und sagte: Seien Sie uns willkommen, Exzellenz; Sie haben gehört, was der Herr Graf sagte, und was ich antwortete; ich füge hinzu, gern gäbe ich viertausend Piaster her, könnte ich das Geschehene ungeschehen machen. Doch wo ist der Gefangene? versetzte Franz, unruhig umherschauend, ich sehe ihn nicht.