Es ist ihm hoffentlich nichts widerfahren, fragte der Graf, die Stirn faltend.
Der Gefangene ist dort antwortete Vampa, auf die Vertiefung deutend, vor welcher derBandit als Schildwache auf und abging; ich werde ihm selbst ankündigen, daß er frei ist.
Der Anführer schritt dem von ihmbezeichneten Orte und zu, und Franz folgte ihm mit dem Grafen.
Der Graf und Franz stiegen, dem Hauptmann folgend, siebenbis acht Stufen hinauf; sobald Vampa einen Riegel gezogen und eine Tür aufgestoßen hatte, konnte manbeim Schimmer einer Lampe Albert sehen, der, in einen Mantel gehüllt, in einem Winkel im tiefsten Schlafe lag. Sieh da, sagte der Graf mit eigentümlichem Lächeln, nicht übel für einen Menschen, der um sieben Uhr erschossen werden sollte.
Bampa schaute den schlafenden Albert mit einer gewissenBewunderung an; man sah, daß er für einen solchenBeweis von Mut nicht unempfindlich war.
Sie haben recht, Herr Graf, sagte er, dieser Mann muß zu Ihren Freunden gehören. Dann, sich Albert nähernd und ihn an der Schulterberührend, fügte er hinzu: Exzellenz, ist's gefällig, aufzuwachen?
Ah! ah! sagte Albert, Ihr seid es, Hauptmann? Ihr hättet mich, bei Gott! sollen schlafen lassen; ich hatte einen entzückenden Traum; es träumte mir, ich tanze mit der Gräfin G***. Er zog seine Uhr, die man ihm gelassen hatte.
Halbzwei Uhr morgens… warum zum Teufel weckt Ihr mich zu dieser Stunde?
Um Ihnen zu sagen, daß Sie frei sind, Exzellenz.
Mein Lieber, erwiderte Albert mit vollkommener Geistesfreiheit, befolgt künftig den Grundsatz des großen Napoleon! Weckt mich nur wegen schlimmer Nachrichten! Hättet Ihr mich schlafen lassen, so würde ich meinen Tanz fortgesetzt haben und wäre Euch mein Leben lang dankbar… Man hat also mein Lösegeldbezahlt?
Nein, Exzellenz, einer, dem ich nichts verweigern kann, hat Sie zurückgefordert.
Ah! bei Gott, dieser jemand ist sehr liebenswürdig.
Albert schaute umher, erblickte Franz und rief: Wie, mein lieber Freund, Sie treiben die Ergebenheit so weit?
Nein, nicht ich, sondern der Herr Graf von Monte Christo.
Ah! bei Gott! Herr Graf, sagte Albert heiter, während er seine Krawatte und seine Manschetten ordnete, Sie sind wahrlich ein kostbarer Mann, und ich hoffe, daß Sie mich als Ihnen ewig verbunden ansehen werden. Er reichte dem Grafen die Hand, der siebebend in die seine nahm.
DerBandit sah mit erstaunter Miene zu; er war offenbar gewohnt, seine Gefangenen vor sich zittern zu sehen, und hier fand er einen, den seine heitere Laune nicht verlassen hatte. Franz war entzückt, daß Albert selbst einemBanditen gegenüber die Ehre der Nation aufrecht erhielt.
Mein lieber Albert, sagte er zu ihm, wenn Sie sichbeeilen wollten, so haben wir noch Zeit, die Nachtbei Torlonia zubeschließen. Sie nehmen Ihren Galopp wieder auf, wo Sie ihn unterbrochen haben, und werden somit keinen Groll gegen den edlen Herrn Luigibewahren, der sich in der Tatbei dieser ganzen Angelegenheit auf das artigstebenommen hat.
Ah! gewiß, versetzte Albert, Sie haben recht, wir können um zwei Uhr dort sein. Herr Luigi, ich wünsche Ihnen ein lustiges Leben. Kommen Sie, meine Herren, kommen Sie!
Und Franz und dem Grafen voran ging Albert die Treppe hinabund durchschritt den großen viereckigen Saal. AlleBanditen standen mit dem Hut in der Hand. Der Hauptmann nahm die Fackel aus den Händen des Hirten und ging den Gästen voran, nicht wie ein Diener, sondern wie ein König, der seinenBotschaftern voranschreitet. An der Tür verbeugte er sich und sagte: Und nun, Herr Graf, wiederhole ich meine Entschuldigung, und ich hoffe, daß Sie mir wegen dessen, was geschehen ist, nicht ferner grollen werden.
Nein, mein lieber Vampa, sagte der Graf; Ihr sühnt überdies Eure Irrtümer auf eine so artige Weise, daß man versucht ist, Euch auch dafür, daß Ihr siebegangen habt, Dank zu wissen.
Meine Herren, sagte derBanditenführer, sich nach den jungen Männern umwendend, vielleicht kommt Ihnen mein Anerbieten nicht sehr lockend vor, aber wenn Sie je Lust verspüren, mir einen zweitenBesuch zu machen, so werden Sie, wo ich auch sein mag, stets willkommen sein.
Franz und Albert grüßten, und alle drei gingen hinaus. Sie fanden den Wagen, wo sie ihn gelassen hatten. Der Graf sagte zu Ali ein einziges arabisches Wort, und die Pferde setzten sich in schnellsten Galopp. Es war zwei Uhr, als die Freunde wieder im Tanzsaal erschienen; ihre Rückkehr machte das größte Aufsehen; da sie aber miteinander kamen, so hörte im Augenblick jede Unruhe wegen Alberts auf.
Gnädige Frau, sagte der Vicomte von Morcerf, auf die Gräfin zuschreitend, Sie haben gestern die Güte gehabt, mir einen Galopp zu versprechen, ich komme etwas spät, um Sie an diese entzückende Zusage zu erinnern; doch hier ist ein Freund, dessen Wahrheitsliebe Sie kennen; er wird Ihnenbestätigen, daß ich nicht schuld daranbin.
Und da die Musik in diesem Augenblick mit einem Galopp einsetzte, schlang Albert seinen Arm um die Hüfte der Gräfin und verschwand mit ihr im Wirbel der Tänzer. Während dieser Zeit dachte Franz an den seltsamen Schauder, der den ganzen Leibdes Grafen in dem Augenblicke durchlaufen hatte, wo er Albert die Hand gereicht hatte.
Das Wiedersehen
Am andern Tage machte Albert seinem Freunde mit dem ersten Worte den Vorschlag, den Grafen zubesuchen. Er hatte ihm zwarbereits gedankt, aber er meinte, daß ein Dienst, wie der Graf ihn geleistet, wohl zwei Danksagungen wert war. Franz, den ein mit Furcht gemischter Zauber zu dem Grafen von Monte Christo hinzog, wollte Albert nicht allein gehen lassen undbegleitete ihn. Beide wurden eingeführt, und nach fünf Minuten erschien der Graf.
Herr Graf, sagte Albert, ihm entgegengehend, erlauben Sie mir, Ihnen heute zu wiederholen, was ich gestern schlecht ausgedrückt habe: nie werde ich vergessen, unter welchen Umständen Sie mir zu Hilfe gekommen sind, und stets werde ich mich erinnern, daß ich Ihnen das Leben zu verdanken habe.
Mein lieber Nachbar, antwortete der Graf lachend, Sie übertreiben Ihre Verbindlichkeiten gegen mich, denn Sie sind mir nicht mehr schuldig, als eine kleine Ersparnis von 20 000 Franken an Ihren Reiseausgaben. Sie sehen, daß es nicht der Mühe wert ist, davon zu sprechen. Empfangen Sie Ihrerseits mein Kompliment, fügte er hinzu, Siebesitzen einebewunderungswürdige Ungezwungenheit und Leichtigkeit desBenehmens.
Was wollen Sie, Herr Graf? entgegnete Albert, ich stellte mir vor, ich hätte Händel gehabt, und ein Duell sei die Folge davon, und so wollte ich demBanditenbegreiflich machen, daß, wenn man sich auch in allen Ländern der Welt schlägt, doch nur die Franzosen sich lachend schlagen. Nichtsdestoweniger, da meine Verbindlichkeit Ihnen gegenüber nicht minder groß ist, komme ich, um Sie zu fragen, obich Ihnen nicht durch mich, durch meine Freunde und meineBekannten in irgend einerBeziehung nützlich sein kann. Mein Vater, der Vicomte von Morcerf, besitzt großen Einfluß in Spanien und in Frankreich. Verfügen Sie über mich und über alle, die mich lieben!
Ich gestehe, Herr von Morcerf, erwiderte der Graf, ich erwartete Ihr Anerbieten und nehme es von ganzem Herzen an. Es war sogar meine Absicht, Sie um einen großen Dienst zubitten. Ichbin nie in Paris gewesen, ich kenne Paris nicht.
Wirklich? rief Albert, Sie konntenbis jetzt leben, ohne Paris zu sehen? Das ist unglaublich.
Und dennoch ist es so. Doch ich fühle, daß eine längere Unbekanntschaft mit dieser Hauptstadt der intelligenten Welt unverantwortlich ist. Mehr noch, ich hätte die seit langer Zeit unerläßliche Reise dorthin vielleicht schon gemacht, wäre ich mit irgend jemandbekannt gewesen, der mich in diese Welt eingeführt hätte, in der ich mich keiner Verbindung erfreue.