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Doch die Pendeluhr hatte vom Schlage noch nicht zu schwingen aufgehört, als die Tür sich öffnete; Germain trat ein und meldete: Der Graf von Monte Christo.

Alle Zuhörer fuhren in die Höhe, so sehr hatte sie Morcerfs Erzählung erregt; Albert selbst konnte sich einer ungestümenBewegung nicht erwehren. Man hatte weder einen Wagen auf der Straße noch Tritte im Vorzimmer gehört; selbst die Tür hatte sich geräuschlos geöffnet.

Der Graf erschien auf der Schwelle mit der größten Einfachheit gekleidet, aber auch der anspruchsvollste Gesellschaftslöwe hätte an seiner Toilette nichts zu tadeln gefunden. Alles war vom feinsten Geschmack und aufs eleganteste gearbeitet.

Er schien kaum fünfunddreißig Jahre alt zu sein, und allen Anwesenden fielbeim erstenBlick die große Ähnlichkeit mit dem von Debray entworfenen Porträt auf.

Der Graf trat lächelnd mitten in den Saal und ging auf Albert zu, der ihm mit zuvorkommendem Eifer die Hand reichte.

Die Pünktlichkeit, sagte Monte Christo, ist die Höflichkeit der Könige, wie einer Ihrer Fürstenbehauptet hat; doch sie ist nicht immer die der Reisenden, trotz ihrembesten Willen. Ich hoffe indessen, mein lieber Vicomte, Sie werden zu gunsten meines guten Willens die paar Sekunden entschuldigen, die ich zu spät erscheine. Fünfhundert Meilen macht man nicht, ohne auf Hindernisse zu stoßen, besonders in Frankreich, wo es, wie mir scheint, verboten ist, die Postillone durchzuprügeln.

Herr Graf, erwiderte Albert, ich war eben damitbeschäftigt, IhrenBesuch einigen meiner Freunde anzukündigen, die ich aus Veranlassung Ihrer Zusage eingeladen und nun Ihnen vorzustellen die Ehre habe. Es sind dies der Herr Graf von Chateau‑Renaud, dessen Adelbis zu den zwölf Pairs hinaufsteigt, und dessen Ahnen an der Tafelrunde gesessen haben; Herr Lucien Debray, Privatsekretär des Ministers des Innern, HerrBeauchamp, ein furchtbarer Journalist, der Schrecken der französischen Regierung, von dem Sie jedoch vielleicht trotz seiner nationalenBerühmtheit in Italien niemals etwas gehört haben, weil seine Zeitung wegen ihrer freien Haltung in Italien nicht zugelassen wird, ferner Herr Maximilian Morel, Kapitänbei den Spahis.

Bei diesem Namen machte der Graf, derbis dahin höflich, aber mit echt englischer Kälte und Unempfindlichkeit gegrüßt hatte, einen Schritt vorwärts, und ein leichter rötlicher Ton zog wie einBlitz über seinebleichen Wangen hin.

Der Herr trägt die Uniform der neuen französischen Sieger? sagte er; es ist eine schöne Uniform.

Man hätte schwer sagen können, was die Stimme des Grafen so tief ertönen ließ, was den unwillkürlichen Glanz in sein Auge lockte, das so schön, so ruhig, so durchsichtig war, wenn er nicht irgend einen Grund hatte, es zu verschleiern.

Sie haben unsre Afrikaner nie gesehen? sagte Albert.

Nie, erwiderte der Graf, der nun wieder vollkommen seiner Herr geworden war.

Wohl, unter dieser Uniform schlägt eins derbravsten und edelsten Herzen des Heeres.

Oh! Herr Vicomte… unterbrach ihn Morel.

Lassen Sie mich sprechen, Kapitän. Wir haben soeben von diesem Herrn einen so edelmütigen Zug erfahren, fuhr Albert fort, daß ich mir, obgleich ich ihn heute zum erstenmal sehe, die Gunst erbitte, ihn als meinen Freund vorstellen zu dürfen.

Bei diesen Worten konnte manbeim Grafen abermals den seltsamenBlick und das leichte Zittern des Augenlides wahrnehmen, wodurch sichbei ihm eine innereBewegung kundgab. Ah! der Herr hat ein edles Herz, destobesser, sagte er.

Dieser mehr dem eigenen Gedanken, als dem, was Albert gesagt hatte, entsprechende Ausruf überraschte alle, besonders Morel, der Monte Christo ganz erstaunt anschaute. Aber der Ton war zu gleicher Zeit so sanft und weich, daß man sich, so seltsam auch der Ausruf erscheinen mußte, unmöglich darüber ärgern konnte.

Warum sollte er daran zweifeln? sagteBeauchamp leise zu Chateau‑Renaud.

In der Tat, versetzte Chateau‑Renaud ebenso, der mit seiner Welterfahrenheit und der Schärfe seines aristokratischenBlickes allesbei Monte Christo durchdrungen hatte, wasbei ihm zu durchdringen war, in der Tat, Albert hat uns nicht getäuscht; dieser Graf ist eine seltsame Person. Was sagen Sie dazu, Morel?

Meiner Treu, sagte Morel, er hat ein offenes Auge und eine sympathische Stimme, und er gefällt mir, trotz der sonderbarenBemerkung, die er soeben über mich gemacht hat.

Meine Herren, sagte Albert, Germain meldet mir, daß aufgetragen ist. Mein lieber Graf, erlauben Sie mir, Ihnen den Weg zu zeigen.

Man ging schweigend in den Speisesaal.

Meine Herren, sagte der Graf, nachdem er sich gesetzt hatte, erlauben Sie mir ein Geständnis, das zur Entschuldigung für jede Unschicklichkeit dienen soll, die ichbegehen dürfte; ichbin fremd, und zwar dergestalt fremd, daß ich zum erstenmal nach Paris komme. Das französische Leben ist mir folglich unbekannt, und ich habebis jetzt nur ein orientalisches Leben geführt, das den guten Pariser Traditionen am allerwenigsten entspricht. Ichbitte Sie also, mich zu entschuldigen, wenn Sie an mir etwas zu Türkisches, zu Neopolitanisches oder zu Arabisches finden. So, nun lassen Sie uns aber frühstücken, meine Herren!

Wie er das alles sagt! murmelteBeauchamp; es ist entschieden ein vornehmer Herr.

Ein vornehmer Herr aus fremden Lande, flüsterte Debray.

Ein vornehmer Herr in allen Ländern, sagte Chateau‑Renaud.

Der Graf war, wie man sich erinnern wird, ein mäßiger Esser. Albertbefürchtete, das Pariser Leben könnte dem Gast schon von Anfang an durch seine materiellste, aber zugleich notwendigste Seite mißfallen, und sagte daher zu ihm: Mein lieber Graf, ich fürchte, die Küche der Rue du Helder wird Ihnen nicht so sehr munden, als die der Piazza di Spagna. Ich hätte Ihren Geschmack zu Rate ziehen und Ihnen einige Gerichte nach Ihrer Phantasiebereiten lassen sollen.

Wenn Sie mich näher kennten, antwortete der Graf lächelnd, so würden Sie sich deswegen nicht die geringste Sorgebei einem Reisenden machen, der abwechselnd von Maccaroni in Neapel, von Polenta in Mailand, von Olla potrida in Valencia, von Pilau in Konstantinopel, von Carick in Indien und von Schwalbennestern in China gelebt hat. Es gibt keine Küche für einen Kosmopoliten wie ichbin. Ich esse von allem und überall, nur esse ich wenig, und heute, wo Sie mir meine Nüchternheit zum Vorwurf machen, habe ich gerade Appetit, denn seit gestern morgen ist nichts über meine Lippen gekommen.

Wie, seit gestern morgen? riefen die Gäste; Sie haben seit vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen?

Nein, erwiderte Monte Christo, ich war genötigt, von der Straße abzugehen und in der Gegend von Nimes Erkundigungen einzuziehen; dadurch verspätete ich mich etwas, und dann wollte ich nicht mehr anhalten. Und Sie speisten in Ihrem Wagen? fragte Morcerf.

Nein, ich schlief, wie mir diesbegegnet, wenn ich mich langweile, ohne den Mut zu haben, mich zu zerstreuen, oder wenn mich hungert, ohne daß ich Lust habe zu essen.

Sie können also dem Schlafbefehlen?

So ungefähr.

Besitzen Sie ein Rezept hierzu?

Ein untrügliches.

Das wäre gut für uns Afrikaner, die wir nicht immer zu essen und selten zu trinken haben, bemerkte Morel.

Ja, erwiderte Monte Christo, doch so vortrefflich mein Rezept für einen Menschen ist wie ich, der ein ausnahmsweises Leben führt, so gefährlich wäre es für eine ganze Armee, die nicht mehr erwachen würde, wenn man ihrerbedürfte.

Darf man wissen, worin dieses Rezeptbesteht? fragte Debray.

Oh! mein Gott, ja, ich mache kein Geheimnis daraus. Es ist eine Mischung von vortrefflichem Opium, das ich selbst in Canton geholt habe, um es rein zubesitzen, und vombesten Haschisch, den man im Orient, das heißt zwischen dem Tigris und Euphrat, findet. Man mengt diesebeiden Ingredienzien zu gleichen Teilen und macht daraus eine Art von Pillen, die man im Augenblick desBedürfnisses verschluckt. Zehn Minuten nachher tritt die Wirkung ein. Fragen Sie denBaron Franz d'Epinay, ich glaube, er hat eines Tages davon gekostet.