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Das von Ali gewählte Haus, das für Monte Christo als Pariser Residenz dienen sollte, lag rechts, wenn man die Champs‑Elysées hinaufgeht, zwischen Hof und Garten. Eine üppigeBaumgruppe, die sich mitten im Hofe erhob, verbarg einen Teil der Fassade. Das inmitten eines weiten Raumes vereinzelt stehende Haus hatte außer dem Haupteingang noch einen andern Eingang, der sich nach der Rue de Ponthieu öffnete.

Ehe der Kutscher den Pförtner angerufen hatte, drehte sich schon das massive Gittertor auf seinen Angeln; man hatte den Grafen kommen sehen, und er wurde in Paris, wie in Rom und überall, mitBlitzesschnellebedient. Der Kutscher fuhr also hinein, beschriebden Halbkreis, ohne den Gang seiner Pferde im geringsten zu hemmen, und die Räder krachten noch auf dem Sande der Allee, alsbereits das Gitter wieder geschlossen war. Auf der linken Seite der Freitreppe hielt der Wagen an, zwei Männer erschienen am Schlage; der eine war Ali, der seinem Herrn mit unglaublich treuherziger Freude zulächelte und sich durch einen einzigenBlick von Monte Christobezahlt fand. Der andere verbeugte sich in Demut und reichte dem Grafen den Arm, um ihm aussteigen zu helfen.

Ich danke, HerrBertuccio, sagte der Graf, leicht herausspringend; wie ist's mit dem Notar?

Er wartet im kleinen Salon, antworteteBertuccio.

Und die Visitenkarten, die Sie meinemBefehle gemäß stechen lassen sollten, sobald Sie die Nummer des Hauses wüßten?

Sindbesorgt, Herr Graf; ich warbei dembesten Graveur des Palais Royal und ließ ihn die Platte in meiner Gegenwart ausführen; die erste abgezogene Karte wurde, wie Siebefohlen, demBaron Danglars, Deputierten, Rue de la Chaussee d'Antin Nr. 7, überbracht, die andern liegen auf dem Kamin des Schlafzimmers Eurer Exzellenz!

Gut. Wieviel Uhr ist es? — Vier Uhr.

Monte Christo gabseine Handschuhe, seinen Hut und Stock einemBedienten und ging dann in den kleinen Salon, wo ihn der Notar, ein ehrliches Schreibergesicht mit der unzerstörbaren Würde eines PariserBeamten, erwartete.

Ist dies der Notar, der den Auftrag hat, das Landhaus zu verkaufen, das ich mir erwerben will? fragte Monte Christo.

Ja, Herr Graf, antwortete der Notar; hier ist der Kaufvertrag!

Vortrefflich. Und wo liegt das Haus? fragte Monte Christo nachlässig, sich halbanBertuccio, halban den Notar wendend.

Der Intendant machte eine Gebärde, die wohlbedeuten sollte: Ich weiß es nicht.

Der Notar schaute Monte Christo an und rief: Wie, der Herr Graf weiß nicht, wo das Haus liegt, das er kaufen will?

Wie zum Teufel soll ich es wissen? Ich komme heute von Cadix, bin nie in Paris gewesen, ja es ist sogar das erste Mal, daß ich französischenBodenbetrete.

Dann ist es etwas anderes; das Haus, das der Herr Graf kauft, liegt in Auteuil.

Bei diesen Worten erbleichteBertuccio sichtbar.

Und wo liegt Auteuil? fragte Monte Christo.

Nur ein paar Schritte von hier, Herr Graf, erwiderte der Notar, etwas hinter Paffy, in einer reizenden Gegend.

So nahe! sagte Monte Christo, das ist kein Landhaus. Wie zum Teufel konnten Sie ein Haus vor den Toren der Stadt wählen, HerrBertuccio?

Ich! rief der Intendant mit seltsamem Eifer; hat mich der Herr Graf nichtbeauftragt, dieses Haus zu wählen? Der Herr Graf wolle die Gnade haben, sich zubesinnen.

Ah! es ist richtig, sagte Monte Christo, ich erinnere mich nun, ich habe die Anzeige in irgend einemBlatte gelesen und mich durch den lügnerischen Titel Landhaus verführen lassen.

Es ist noch Zeit, sagteBertuccio lebhaft, und wenn mich Eure Exzellenzbeauftragen will, anderswo zu suchen, so werde ich dasBeste finden, was es gibt, mag es nun in Enghien, in Fontenay‑aux‑Roses oder inBellevue sein.

Nein, erwiderte Monte Christo gleichgültig, da dies einmal ins Auge gefaßt ist, will ich's auchbehalten.

Und der gnädige Herr hat recht, sagte rasch der Notar, der seine Gebühr zu verlieren fürchtete, es ist ein reizendes Eigentum: fließendes Wasser, Gebüsch, ein, wenn auch seit geraumer Zeit verlassenes, doch äußerstbehagliches Wohngebäude, abgesehen von dem Mobiliar, das, so alt es auch ist, doch seinen Wert hat, besonders heutzutage, wo man Altertümer liebt und sucht.

Zum Teufel, eine solche Gelegenheit wollen wir nicht versäumen, rief Monte Christo; den Vertrag, Herr Notar!

Und er unterzeichnete rasch, nachdem er einenBlick auf die Stelle geworfen hatte, wo die Lage des Hauses und die Namen der Eigentümer angegeben waren, dannbefahl er, 55 000 Franken auszuzahlen. Der Intendant ging mit unsichern Schritten hinaus und kehrte mit einem PäckchenBanknoten zurück, die der Notar zählte.

Und nun ist allen Förmlichkeiten Genüge geleistet? fragte der Graf. Haben Sie die Schlüssel?

Sie sind in den Händen des Hausverwalters, der das Hausbewacht; doch hier ist der schriftlicheBefehl, den ich an ihn ergehen lasse, den gnädigen Herrn in sein Eigentum einzuführen.

Sehr gut. Begleiten Sie diesen Herrn, sagte der Graf zuBertuccio.

Der Intendant ging hinter dem Notar hinaus.

Kaum war der Graf allein, als er aus seiner Tasche ein Portefeuille mit einem Schlosse zog, das er mit einem Schlüsselchen öffnete, das er am Halse trug und nie von sich ließ. Nachdem er einen Augenblick gesucht hatte, nahm er einBlättchen zur Hand, worauf einige Notizen standen, verglich diese mit dem auf dem Tische liegenden Verkaufsschein und sagte: Auteuil, Rue de la Fontaine Nr. 30, es stimmt. Soll ich nun durch religiösen Schrecken oder durch körperliche Angst ein Geständnis zu entreißen suchen? Jedenfalls werde ich in einer Stunde alles wissen.

Bertuccio! rief er, mit einem Hämmerchen auf ein Glöckchen schlagend, das einen scharfen, anhaltenden Ton von sich gab, und der Intendant erschien auf der Schwelle.

HerrBertuccio, sagte der Graf, erzählten Sie mir nicht, Sie seien in Frankreich gereist?

Ja, Exzellenz, in einigen Teilen Frankreichs.

Sie kennen ohne Zweifel die Gegend von Paris?

Nein, Exzellenz, antwortete der Intendant mit einemBeben, das der Graf als Kenner einer heftigen Unruhe zuschrieb.

Es ist ärgerlich, daß Sie nie die Gegend von Parisbesucht haben, sagte er, denn ich will noch heute abend mein neues Gut in Augenschein nehmen, und wenn Sie michbegleitet hätten, würden Sie mir ohne Zweifel nützliche Auskunft gegeben haben.

Nach Auteuil! riefBertuccio, dessen kupferfarbiges Gesicht plötzlich leichenblaß wurde. Ich nach Auteuil gehen?

Aber was ist denn Erstaunliches daran, daß Sie nach Auteuil gehen sollen? Wenn ich in Auteuil wohnen werde, müssen Sie wohl dahin kommen, da Sie doch zum Haushalt gehören!

Bertuccio neigte das Haupt vor dem gebieterischenBlicke des Herrn undbliebunbeweglich und ohne zu antworten.

Was ist Ihnen denn? Sie lassen mich zum zweitenmale um den Wagen läuten? rief Monte Christo mit dem Tone, in dem Ludwig XIV. dasbekannte: Ich habe warten müssen! aussprach.

Bertuccio sprang in das Vorzimmer und schrie mit heiserer Stimme: Die Pferde Seiner Exzellenz! Monte Christo schriebein paarBriefe; als er den letzten versiegelte, erschien der Intendant wieder und meldete den Wagen.

Wohl, nehmen Sie Ihren Hut, sagte Monte Christo.

Es gabkeinBeispiel, daß man einemBefehle des Grafen widersprochen hätte; der Intendant folgte auch, ohne eine Einwendung zu machen, seinem Herrn und nahm seinen Platz ehrfurchtsvoll auf dem Vordersitz.

Das Haus in Auteuil

Monte Christo war es nicht entgangen, daßBertuccio sichbekreuzt und im Wagen ein kurzes Gebet gemurmelt hatte, denn er ließ den Intendanten, dessen Widerwille gegen die Fahrt unverkennbar war, keinen Augenblick aus den Augen.

In zwanzig Minuten war man in Auteuil. Die Unruhe des Intendanten hatte immer mehr zugenommen, und als sie in das Dorf hineinfuhren, betrachtete er mit fieberhafter Aufregung jedes Haus, an dem sie vorüberkamen.