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Sie lassen in der Rue de la Fontaine Nr. 30 halten, sagte der Graf, seinenBlick unbarmherzig auf den Intendanten heftend.

Der Schweiß tratBertuccio aufs Gesicht, aber er gehorchte und rief, sich aus dem Wagen neigend, dem Kutscher zu: Rue de la Fontaine, Nr. 30.

Diese Nummer 30 lag am Ende des Dorfes. Während der Fahrt war es Nacht geworden, der Wagen hielt an, und der Lakai stürzte an den Schlag und öffnete.

Nun! sagte der Graf, Sie steigen nicht aus, HerrBertuccio, Siebleiben im Wagen? Aber zum Teufel, was ist Ihnen denn heute?

Bertuccio sprang aus dem Wagen undbot seine Schulter dem Grafen zur Stütze.

Klopfen Sie, sagte dieser, und melden Sie mich an.

Bertuccio klopfte, die Tür öffnete sich, und der Hausmeister erschien.

Wasbeliebt? fragte er.

Ihr neuer Herr ist hier, sagte der Diener und übergabdem Hausmeister das Schreiben des Notars.

Das Haus ist also verkauft, und der Herr wird esbewohnen? versetzte der Hausmeister.

Ja, mein Freund, sagte der Graf, und ich werde dafür sorgen, daß Sie den Verlust Ihres früheren Herrn nicht zubeklagen haben.

Oh! Herr, ich habe nicht viel zubeklagen, denn wir sahen ihn nur äußerst selten, den Herrn Marquis von Saint‑Meran.

Der Marquis von Saint‑Meran! versetzte Monte Christo, der Name kommt mirbekannt vor… Und er schien in seinem Gedächtnis zu suchen.

Ein alter Edelmann, fuhr der Hausmeister fort, ein getreuer Diener derBourbonen. Er hatte eine einzige Tochter, die an Herrn von Villefort verheiratet war, der Staatsanwalt in Nimes und später in Versailles gewesen ist.

Monte Christo warf einenBlick aufBertuccio, der fahler aussah, als die Mauer, an die er sich lehnte, um nicht zu fallen.

Ist diese Tochter nicht gestorben? fragte Monte Christo; es ist mir, als hätte ich davon gehört.

Ja, vor einundzwanzig Jahren.

Ich danke, sagte Monte Christo, denn der Intendant kam ihm so niedergeschmettert vor, daß er jetzt nicht weiter fragte. Nehmen Sie eine Wagenlaterne, Bertuccio, und zeigen Sie mir die Zimmer!

Der Intendant gehorchte unverzüglich, aber aus dem Zittern der Hand, welche die Laterne hielt, war leicht zu entnehmen, was ihn dieser Gehorsam kostete. Sie durchschritten ein ziemlich geräumiges Erdgeschoß und einen ersten Stock, bestehend aus einem Salon, einemBadezimmer und zwei Schlafzimmern. Durch eines von diesen Schlafzimmern gelangte man zu einer Wendeltreppe, die nach außen zu führen schien.

Ah! ein Nebenausgang, sagte der Graf, das ist sehrbequem. Leuchten Sie mir, HerrBertuccio; gehen Sie voraus, wir wollen sehen, wohin die Treppe führt!

Herr Graf, sie geht in den Garten. — Und woher wissen Sie das? — Das heißt, sie muß wohl dahin führen. — Gut, wir wollen uns überzeugen.

Bertuccio stieß einen Seufzer aus und ging voran. Die Treppe führte wirklich nach dem Garten. An der AusgangstürbliebBertuccio stehen.

Vorwärts! sagte der Graf.

DochBertuccio war wiebetäubt, wie vernichtet. Seine irren Augen suchten ringsumher die Spuren einer furchtbaren Vergangenheit, und er schien mit seinen krampfhaft zusammengepreßten Händen entsetzliche Erinnerungen zurückdrängen zu wollen.

Nun! rief der Graf.

Nein, stammelteBertuccio, die Laterne hinstellend; nein, Herr Graf, ich gehe nicht weiter, es ist unmöglich!

Was soll das heißen? entgegnete des Grafen gebieterische Stimme.

Sie sehen Wohl, Exzellenz, rief der Intendant, daß dies nicht mit natürlichen Dingen zugeht. Sie wollten ein Haus in der Gegend von Paris kaufen und kauften gerade eins in Auteuil, und das Haus, das Sie kauften, ist gerade Nummer 30 in der Rue de la Fontaine. Oh! warum habe ich Ihnen nicht schon dort alles gesagt, gnädiger Herr; Sie hätten sicherlich nicht von mir verlangt, ich solle mitfahren. Ich hoffte, das Haus des Herrn Grafen würde ein anderes sein! Als obes nicht noch mehr Häuser in Autenil gäbe als das, wo der Mord vorgefallen ist!

Oh! oh! rief Monte Christo, was für ein scheußliches Wort haben Sie da ausgesprochen! Teufel von einem Menschen! Eingefleischter Korse! Stets Aberglauben oder Geheimnisse! Nehmen Sie die Laterne und lassen Sie uns den Gartenbesehen, in meiner Gegenwart werden Sie hoffentlich keine Angst haben?

Bertuccio hobdie Laterne auf und gehorchte. Als die Tür sich öffnete, wurde einblasser Himmel sichtbar, an dem der Mond vergebens gegen ein Meer ihn meist verhüllender Wolken kämpfte. Der Intendant wollte sich nach der linken Seite wenden.

Nein, nein, sagte der Graf, wozu den Alleen folgen? Hier ist ein schöner Rasen, gehen wir geradeaus!

Bertuccio wischte den Schweiß von seiner Stirn ab, gehorchte, zielte dabei aber fortwährend nach links. Monte Christo wandte sich im Gegenteil mehr rechts; an einerBaumgruppeblieber stehen. Der Intendant vermochte es nicht länger auszuhalten und rief: Zurück, Herr! ichbitte, halten Sie sich fern, Sie sind gerade an der Stelle.

LieberBertuccio, versetzte der Graf lachend, kommen Sie doch zu sich, wir sind hier in einem, ich kann es nicht leugnen, schlecht unterhaltenen englischen Garten, weiter nichts.

Gnädigster Herr, ich flehe Sie an, bleiben Sie nicht dort!

Ich glaube, Sie werden ein Narr, Bertuccio; wenn dies der Fall ist, so sagen Sie es mir, ich lasse Sie in irgend eine Heilanstalt einsperren, ehe ein Unglück geschieht.

Ach, Exzellenz, sagteBertuccio, den Kopf schüttelnd und die Hände mit einerBewegung faltend, die den Grafen zum Lachen gebracht hätte, wenn ihn nicht im Augenblick Gedanken von höherem Interesse gefesselt und äußerst aufmerksam auf jede Äußerung dieses von der Angst gepeinigten Gewissens gemacht hätten; ach! Exzellenz, das Unglück ist geschehen.

Bertuccio, entgegnete der Graf, ich erlaube mir, Ihnen zubemerken, daß Siebei Ihren heftigen Gebärden sich die Arme verdrehen und die Augen rollen, wie einBesessener, aus dessen Leibder Teufel nicht weichen will. Ich habe aber stets wahrgenommen, daß der Teufel mit der größten Hartnäckigkeit am Platze zubleiben trachtet, wo ein Geheimnis zu Grunde liegt. Ich wußte, daß Sie ein Korse sind, ich wußte auch, daß Sie stets düster waren und eine alte Rache im Herzen trugen, und ließ dies in Italien hingehen, weil dergleichen dort gang und gäbe ist. In Frankreich aber ist man gegen Morde allgemein sehr eingenommen; es gibt Gendarmen, die sich damitbeschäftigen, Richter, die verurteilen, und rächende Schafotte.

Bertuccio faltete die Hände, während die Laterne, die er hielt, sein verstörtes Gesichtbeleuchtete. Monte Christo schaute ihn eine Minute lang mit demselbenBlick an, mit dem er in Rom Andreas Hinrichtung angeschaut hatte, und sprach dann mit einem Tone, bei dem ein neuer Schauer den Leibdes armen Intendanten durchlief: Der AbbéBusoni hat also gelogen, als er mir Sie nach seiner Reise durch Frankreich im Jahre 1829 mit einem Empfehlungsbriefe zuschickte, worin er Ihre kostbaren Eigenschaften hervorhob. Gut, ich werde dem Abbéschreiben, ich werde ihn für seinen Schützling verantwortlich machen und ohne Zweifel erfahren, wie es sich mit dieser Mordgeschichte verhält. Ich mache Sie jedoch darauf aufmerksam, Bertuccio, daß ich mich immer, wo ich meinen Aufenthalt nehme, nach den Gesetzen des Landes zu richten pflege und keine Lust habe, mich Ihnen zu Liebe mit der französischen Justiz zu entzweien.

Oh! tun Sie das nicht, Exzellenz; nicht wahr, ich habe treu gedient? riefBertuccio in Verzweiflung, ichbin immer ein ehrlicher Mann gewesen, und habe sogar, soviel ich vermochte, gute Handlungen verrichtet.

Ich leugne das nicht, doch warum zum Teufel gebärden Sie sich so? Das ist ein schlimmes Zeichen; ein reines Gewissenbringt nicht solcheBlässe auf die Wangen, solches Fieber in die Hände…

Aber, Herr Graf, versetzteBertuccio zögernd, sagten Sie mir nicht selbst, es sei Ihnen vom AbbéBusoni, der mich im Gefängnis zu Nimesbeichten hörte, mitgeteilt worden, ich hätte mir einen schweren Vorwurf zu machen?