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Außerdem bittet die Polizei die unbekannte Anruferin, sich unverzüglich mit dem Ladenburger Kriminalkommissariat in Verbindung zu setzen.

Abends rief mich Beate an.

»Hast du schon den Mannheimer Morgen gelesen?« fragte sie.

Ich ahnte gleich etwas und sagte möglichst gleichgültig: »Ja, warum?«

Beate freute sich immer, wenn sie mir Skandale erzählen konnte. »Hast du ›Mord im Lehrerhaus‹ gelesen?«

»Kann sein«, murmelte ich, »hab’ nicht weiter darauf geachtet.«

»Denk dir«, schwatzte Beate, »das ist das Haus von dem Rainer Engstern, nach dem du mich neulich gefragt hast. Seine Frau wurde erschossen, und er ist verwundet. Man hat mir erzählt, sie ist eine Säuferin. Du, vielleicht hat er sie umgebracht und sich selbst noch ein bißchen ins Bein geschossen, um den Verdacht abzulenken.«

»Meinst du?« fragte ich.

»Na, eigentlich fand ich ihn ganz nett, als ich ihn letztes Jahr hier in meiner Volkshochschule hörte. Aber man sieht es ja keinem Mörder von außen an.«

Ich hätte Witold gern verteidigt, aber so dumm war ich natürlich nicht.

»Stand da nicht noch was von einer weiteren Person?« fragte ich.

»Stimmt«, antwortete Beate, »vielleicht war es doch ein stinknormaler Raubüberfall, und die Polizei hat nur noch nicht festgestellt, was gestohlen wurde. Übrigens haben wir heute viel über diesen Rainer Engstern gesprochen, er soll mal was mit einer Schülerin gehabt haben. Aber alle glauben, daß man einem hübschen Mann, der Lehrer ist, blitzschnell so etwas nachsagt.«

Ich fand, daß alles bisher gut gelaufen war. Man suchte einen schlanken Mann; zum ersten Mal fand ich es gut, daß ich so große Füße habe. Witold wurde noch nicht offiziell verdächtigt. Die Frau war wirklich alkoholkrank gewesen, das hatte ich richtig gesehen. Klar, daß dann die Ehe schlecht sein mußte. Und wenn Witold eine Freundin hätte, dann wäre sie wahrscheinlich in meiner Observierungszeit irgendwann aufgetaucht. Er saß aber immer allein am Schreibtisch und arbeitete in großer Einsamkeit. Ich konnte also hoffen, obgleich ich keinen richtigen Plan hatte, wie alles weitergehen sollte.

Wie konnte ich ihm nur demnächst unter die Augen treten? Da mußte mir schon der Zufall zu Hilfe kommen.

Zunächst brauchte ich Informationen; ich kaufte mir täglich eine Lokalzeitung. Eine kurze Notiz über den Mordfalclass="underline" Die Polizei verfolge verschiedene Spuren.

Ob Witold in Untersuchungshaft war? Ich rief häufig von einer Mannheimer Telefonzelle aus an. Meistens meldete sich niemand, zweimal der Sohn. »Maximilian Engstern«, sagte er, im Tonfall dem Vater ähnlich.

Ob Beate etwas wußte? Ich beschloß, sie am Wochenende zu besuchen. Ich brauchte unbedingt einen Menschen, der so plätschernd schwatzen konnte wie sie, eine Fähigkeit, die mir völlig abging.

»Komm nur«, sagte Beate, »Lessi ist auch da, wir wollen vielleicht ins Kino gehen.«

Einerseits lag mir diese schwangere unreife Lessi gar nicht, andererseits war sie die einzige, die vielleicht durch ihre Freundin, die ja mit Witolds Sohn Max befreundet war, etwas über sein Schicksal wußte.

Lessi redete vorerst nur über ihren gesegneten Zustand, der noch gut und gern acht Monate dauern würde. Wie egal war mir die Namensgebung für diesen bedauernswerten Embryo!

Ich versuchte trotzdem, nett zu Lessi zu sein, und beteiligte mich an der schwachsinnigen Unterhaltung. Meine Vorschläge waren aber völlig indiskutabel, Lessi schwebte ein arabischer oder altrömischer Name vor.

Plötzlich war es Beate, die mit der Familie Engstern anfing.

»Wenn es ein Junge wird, könntest du ihn ja Witold nennen!«

»O Gott, nach so einer scheußlichen Sache doch nicht!« rief Lessi angeekelt, »wie kommst du nur auf so eine abscheuliche Idee, Mutter!«

»Na, er ist schließlich nicht der Mörder«, meinte Beate, »oder etwa doch? Was hört man denn Neues?«

Lessi berichtete, sie hätte gestern noch mit ihrer Freundin Eva telefoniert, der Max Engstern sei fix und fertig. Morgen sei die Beerdigung, da die Leiche ziemlich lange im gerichtsmedizinischen Institut geblieben sei; den Bruder habe man auch endlich durch Radiosuchmeldungen in der Türkei gefunden, und er komme heute zurück.

»Und der Vater?« fragte ich.

Lessi meinte, der sei zwei Tage im Krankenhaus gewesen, würde dauernd von der Polizei vernommen, sei aber jetzt wieder zu Hause. Er dürfe aber nicht verreisen. Im übrigen sei er völlig depressiv.

Ob die Polizei nun wisse, wer die Frau ermordet hätte, wollte ich wissen.

Anscheinend könne sich der Engstern an nichts mehr erinnern; man habe ihn wohl nicht direkt in Verdacht, jedoch sei von einer psychiatrischen Begutachtung die Rede.

»Aber dann verdächtigt man ihn ja doch«, warf ich ein.

Lessi, diese schwangere Sportstudentin, zuckte mit den Schultern. »Der Alte ist mir, offen gesagt, egal. Der Max tut mir leid, auch sein Bruder, obgleich ich den Christoph kaum kenne. Die Mutter ermordet! Das muß man sich doch mal vorstellen!«

Ich warf ein, daß diese Mutter eine Alkoholikerin gewesen war.

»Na und?« fragte Beate.

Die unreife Lessi fuhr mich an: »Mutter ist Mutter«, und ich ließ das Thema fallen.

Leicht fiel es mir nicht, aber ich fuhr vier Wochen lang überhaupt nicht nach Ladenburg, obgleich ich inzwischen wieder den Dieskau am Halse hatte und abends mit ihm Spazierengehen mußte. Er kam jetzt etwas zu kurz, ich fuhr gar nicht mehr mit dem Auto weg, nahm den Hund nur einmal mit um den Block und ließ ihn kurz an den Platanen schnüffeln.

Vielleicht wurde Witold überwacht und sein Telefon abgehört, vielleicht erkannten mich irgendwelche Anwohner wieder, auch mein Auto und der Hund mochten ihnen im Gedächtnis geblieben sein.

Ich beschloß, mir die Haare wachsen zu lassen. Viele Jahre lang hatte ich einen sehr kurzen Garçonne-Schnitt bevorzugt, der mir im Grunde gut stand. Mit diesem Herrenschnitt, mit den Turnschuhen und den dunklen Hosen hatte man mich in der Dämmerung offensichtlich für einen Mann gehalten.

Wahrscheinlich war ich von einer älteren und schwachsichtigen Person beobachtet worden, in der Urlaubszeit waren die jüngeren Leute mit ihren Kindern fast alle verreist. Mit längerem Haar, in einem Kleid, mit zierlichen Schuhen würde man mich erstens nicht für jenen schlanken Turnschuhmann halten, und zweitens würde ich auch Witold als reizvolles weibliches Wesen gegenübertreten. Mir war schon klar, daß meine herbe Strenge nicht seinem Geschmack entsprach. Alles bei ihm zu Hause sah anders aus als bei mir, unordentlicher, phantasievoller, bunter, lebendiger. Aber war es nicht bloß ein Zufall in meiner ganzen Biographie, daß ich ein so disziplinierter Mensch geworden war?

Beate hatte es zum Beispiel immer leichter gehabt. Sie war in einer kinderreichen Familie aufgewachsen, wo es zwar manchmal krachte, aber im großen und ganzen fröhlich zuging.

Sie war von klein auf lebensklug gewesen und mir weit überlegen. Ich hatte nur eine bigotte Mutter, die mir einmal im Jahr an meinem Geburtstag erlaubte, drei Freundinnen einzuladen. In meiner Klasse — wir waren übrigens nur Mädchen — gab es noch ein paar von meiner Sorte, nämlich fleißig und brav, eher häßlich, wenig beliebt. Aber die meisten gingen in die Tanzstunde, redeten über Jungs und hatten einen Freund. Auch ohne reiches Elternhaus hatten sie eine Mutter, die sich für ein schönes Kleid begeistern konnte oder es sogar selbst nähte. Die andern: selbstbewußt, lustig, verliebt. So fing es an, so ging es weiter, die Ungerechtigkeit hat bis heute nicht aufgehört.

Zehn Jahre nach dem Abitur besuchte ich ein Klassentreffen.

Es wurden fast nur Fotos von Hochzeiten, Babys und Kleinkindern herumgereicht, ein anderes Thema existierte nicht. Ich und noch ein paar andere Übriggebliebene saßen versteinert dabei. Nie wieder habe ich ein Klassentreffen besucht. Ich hasse diese glücklichen Mütter mit ihren Wunderkindern, hasse diese selbstgefälligen Ehefrauen. Aber ich habe mich nicht gegen sie gewehrt.