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»Nein!« Lillian schluckte. »Noch nicht. Woher haben Sie die Blumen?«

»Aus einem Blumengeschäft«, erwiderte Clerfayt erstaunt. »Warum?«

»Hier im Dorf?«

»Ja, aber warum? Sind sie gestohlen?«

»Nein. Oder vielleicht doch. Ich weiß es nicht —«

Lillian schwieg.

»Soll ich hinaufkommen?« fragte Clerfayt.

»Ja.«

»Wann?«

»In einer Stunde; dann ist es hier still.«

»Gut, in einer Stunde. Am Dienstboteneingang?«

»Ja.«

Lillian legte aufatmend den Hörer zurück. Gott sei Dank, dachte sie, da war jemand, dem man nichts zu erklären brauchte. Jemand, dem man gleichgültig war und der sich nicht um einen sorgte wie Boris.

Clerfayt stand an der Seitentür. »Können Sie keine Orchideen leiden?« fragte er und zeigte auf den Schnee.

Die Blumen und der Karton lagen noch da. »Woher haben Sie sie?« fragte Lillian.

»Aus einem kleinen Blumengeschäft unten — etwas außerhalb des Dorfes. Warum? Sind sie verhext?«

»Diese Blumen — dieselben Blumen«, sagte Lillian mit Mühe, »habe ich gestern auf den Sarg meiner Freundin gelegt. Ich habe sie noch gesehen, bevor der Sarg abgeholt wurde. Das Sanatorium behält keine Blumen zurück. Alles ist abgeholt worden. Ich habe den Hausknecht soeben gefragt. Alles ist zum Krematorium geschickt worden. Ich weiß nicht, wie —«

»Zum Krematorium?« fragte Clerfayt.

»Ja.«

»Guter Gott! Das Geschäft, in dem ich die Blumen gekauft habe, liegt nicht weit vom Krematorium. Es ist ein schäbiger Laden, und ich habe mich schon gewundert, woher die Blumen kamen. Das erklärt es!«

»Was?«

»Irgendein Angestellter des Krematoriums muß sie, anstatt sie mit zu verbrennen, weggenommen und an den Laden verkauft haben.«

Sie starrte ihn an. »Ist so etwas denn möglich?«

»Warum nicht? Blumen sind Blumen und unterscheiden sich im allgemeinen wenig. Die Möglichkeit, daß es entdeckt wird, ist gering. Daß einmal eine seltene Orchidee in dieselben Hände zurückkommen könnte, die sie geschickt haben, ist ein so unwahrscheinlicher Zufall, daß niemand damit zu rechnen braucht.«

Clerfayt nahm Lillians Arm. »Was wollen wir tun? Einen Schock bekommen oder über den unverwüstlichen Geschäftsgeist der Menschheit lachen? Ich schlage vor, wir lachen — täten wir das nicht ab und zu heutzutage, dann könnten wir in unserem großartigen Jahrhundert noch ertrinken in Tränen.«

Lillian sah auf die Blumen. »Ekelhaft«, flüsterte sie. »Von einer Toten zu stehlen.«

»Nicht mehr und nicht weniger ekelhaft als vieles andere«, erwiderte Clerfayt. »Ich hätte auch nie gedacht, daß ich einmal Leichen nach Zigaretten und Brot durchsuchen würde und habe es doch getan. Im Kriege. Es ist anfangs scheußlich; aber man gewöhnt sich daran, besonders wenn man sehr hungrig ist und lange nicht geraucht hat. Kommen Sie, wir gehen etwas trinken.«

Sie blickte immer noch auf die Blumen. »Sollen sie da liegen bleiben?«

»Natürlich. Sie haben nichts mehr mit Ihnen, nichts mit der Toten und nichts mit mir zu tun. Ich schicke Ihnen morgen neue. Aus einem anderen Geschäft.«

Clerfayt öffnete den Schlag des Schlittens. Dabei sah er das Gesicht des Kutschers, dessen Augen ruhig, aber interessiert auf den Orchideen ruhten, und er wußte, daß der Mann, wenn er Lillian und ihn zum Hotel gebracht hatte, hierher zurückkehren und sie auflesen würde. Was dann mit ihnen geschehen würde, wußte nur Gott. Einen Augenblick dachte Clerfayt daran, sie zu zertreten — aber wozu sollte er selbst Gott spielen? Es bekam einem nie besonders.

* * *

Der Schlitten hielt. Vor dem Eingang zum Hotel lagen Bretter über dem feuchten Schnee. Lillian stieg aus. Sie erschien Clerfayt plötzlich in einer sonderbaren Weise exotisch, als sie so schmal, etwas vorgebeugt, ihren dünnen Mantel über der Brust eng zusammenhaltend, in ihren Abendschuhen zwischen den trampelnden Sportsleuten hindurchging, umweht in all der krachenden Gesundheit von der dunklen Faszination ihrer Krankheit.

Er folgte ihr. Worin lasse ich mich da ein? dachte er. Und mit wem? Immerhin, es war etwas anderes, als Lydia Morelli, mit der er vor einer Stunde ein Telefongespräch aus Rom gehabt hatte. Lydia Morelli, die jeden Trick kannte und keinen vergaß.

Er holte Lillian an der Tür ein. »Heute abend«, sagte er, »wollen wir einmal über nichts anderes reden als über die oberflächlichsten Dinge der Welt.«

* * *

Eine Stunde später war die Bar gepackt voll. Lillian blickte zur Tür. »Da kommt Boris«, sagte sie. »Ich hätte es mir denken sollen.«

Clerfayt hatte den Russen bereits gesehen. Wolkow schob sich langsam durch die Leute, die wie Trauben an der Theke hingen. Er ignorierte Clerfayt. »Dein Schlitten wartet draußen, Lillian«, sagte er.

»Schick den Schlitten weg, Boris«, erwiderte sie. »Ich brauche ihn nicht. Das ist Herr Clerfayt. Du bist ihm schon einmal begegnet.«

Clerfayt erhob sich, um eine Spur zu nachlässig.

»Wirklich?« sagte Wolkow. »Oh, in der Tat! Bitte, verzeihen Sie.« Er sah knapp an Clerfayt vorbei. »In dem Sportwagen, der die Pferde scheu machte, nicht wahr?«

Clerfayt spürte den versteckten Hohn. Er antwortete nicht und blieb stehen. »Du hast wahrscheinlich vergessen, daß morgen noch einmal Röntgenaufnahmen gemacht werden sollen«, sagte Wolkow zu Lillian.

»Ich habe es nicht vergessen, Boris.«

»Du mußt ausgeruht sein und geschlafen haben.«

»Ich weiß das. Ich habe noch Zeit dazu.«

Sie sprach langsam, wie man zu einem Kind spricht, das einen nicht versteht. Clerfayt sah, daß es die einzige Möglichkeit für sie war, ihren Ärger darüber zu bemeistern, kontrolliert zu werden. Der Russe tat ihm fast leid; er war in einer hoffnungslosen Situation.

»Wollen Sie sich nicht setzen?« fragte er ihn, nicht ganz uneigennützig.

»Danke«, erwiderte Wolkow kalt, als antwortete er einem Kellner, der ihn gefragt hätte, ob er etwas bestellen wolle. Ebenso wie Clerfayt vorher, hatte auch er den Hohn verspürt.

»Ich muß noch auf jemand warten«, sagte er zu Lillian. »Wenn du inzwischen den Schlitten —«

»Nein, Boris! Ich will noch bleiben.«

Clerfayt hatte jetzt genug. »Ich habe Miss Dunkerque hierher begleitet«, sagte er ruhig. »Und ich glaube fähig zu sein, sie wieder zurückzubringen.«

Wolkow sah ihn rasch an. Sein Gesicht veränderte sich. Er lächelte. »Ich fürchte, Sie missverstehen mich. Aber es wäre zwecklos, das zu erklären.«

Er verbeugte sich vor Lillian, und es schien einen Augenblick, als zerfiele die hochmütige Maske; dann faßte er sich und ging zur Bar.

Clerfayt setzte sich. Er war nicht mit sich zufrieden. Was tue ich da? dachte er. Ich bin doch nicht mehr zwanzig Jahre alt! »Warum gehen Sie nicht zurück mit ihm?« fragte er mißmutig.

»Wollen Sie mich loswerden?«

Er sah sie an. Sie schien hilflos zu sein, aber er wußte, daß Hilflosigkeit das Gefährlichste war, was es bei einer Frau gab — denn keine Frau war wirklich hilflos.

»Natürlich nicht«, sagte er. »Bleiben wir also!«

Sie blickte zur Bar hinüber. »Er geht nicht«, flüsterte sie. »Er bewacht mich. Er glaubt, daß ich nachgeben werde.«

Clerfayt nahm die Flasche und füllte die Gläser. »Gut. Lassen wir es also darauf ankommen, wer zuerst müde wird.«

»Sie verstehen ihn nicht«, erwiderte Lillian scharf.

»Er ist nicht eifersüchtig.«

»Nein?«

»Nein. Er ist unglücklich und krank und sorgt sich um mich. Es ist leicht, überlegen zu sein, wenn man gesund ist.«

Clerfayt stellte die Flasche zurück. Diese loyale, kleine Bestie! Kaum war sie gerettet, da hackte sie nach der rettenden Hand. »Möglich«, sagte er gleichmütig. »Aber ist es ein Verbrechen, gesund zu sein?« Sie wandte sich ihm zu. »Natürlich nicht«, murmelte sie. »Ich weiß nicht, was ich rede. Es ist besser, ich gehe.«