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Er begann sich zu erinnern. »Witschoreck und ich spielten eine Partie Dame, als die Klingel an der Einfahrt läutete. Ich ging also mit Pluto und dem Schlüsselbund hinaus, öffnete das Schiebefenster und sah einen Mann in einem schwarzen, hochgeschlossenen Jackett. Er sei der Stellvertreter des Gefängnisgeistlichen, behauptete er, und man habe ihn gerufen, weil ihm der Häftling von Zelle 34 einen Raubüberfall gestehen wolle.«

»So ein Blödsinn!«, rief Doktor Heublein aufgebracht.

»Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde, Herr Direktor. >So ein Blödsinn<, sagte ich zu ihm. Da schob er einen Metallschlauch durch die offene Fensterklappe. Ich dachte noch: >Er wird mir doch nicht einen Staubsauger vorführen wollen . Mitten in der Nacht ... Am Gefängnistor .< Und .«

»Und?«, fragte Obermedizinalrat Dr. Grieneisen.

»Weiter weiß ich nichts«, meinte Mühlenschulte. »Totale Mattscheibe. Tut mir Leid.« Er stutzte. »Witschoreck! Warum schläfst du denn? Gustav! Wach doch auf!«

Aber Wachtmeister Witschoreck war noch nicht so weit.

Etwa um die gleiche Zeit schlug der Kahle Otto die Augen auf und staunte nicht schlecht. Er saß in einem Flugzeug. Die Morgensonne schien. Der Himmel schimmerte stahlblau. Man flog über weißen Wolken hin wie über hunderttausend feinsten Federbetten. »Komisch«, brummte er. »Sieht nicht mehr nach Gefängnis aus.« Da sagte jemand neben ihm: »Guten Morgen wünsch ich. Ausgeschlafen?«

Otto betrachtete seinen Nachbarn misstrauisch. Doch dann grinste er bis hinter die Ohren. »Boileau, oller Kumpel, wie kommst denn du hierher?«

»Frag mich lieber, wie du hierher gekommen bist«, meinte Monsieur Boileau.

»Eins nach ’m andern. Erst ’n Schnaps, wenn’s geht. Oder is das ’n alkoholfreies Flugzeug?« Nach dem dritten Glas fühlte er sich frischer. »Is Bernhard auch hier?«

»Ja, aber er schläft noch.«

»Schade«, erklärte der Kahle Otto. »Ich meine, es is schade, dass ihr ’n nich im Gefängnis gelassen habt. Mensch, kann der eklig sein! Er hat mich wie sein’ Schuhputzer schickeniert. Das liegt mir nich. Lass mich aus der Ecke raus, ich wisch ihm eine!«

»Rege dich nicht auf«, warnte Boileau. »Denke an deinen hohen Blutdruck!«

»Denken liegt mir nich«, sagte Otto.

Boileau nickte. »Ein Glück, dass du es endlich einsiehst. Deine Dämlichkeit kostet den Chef viel Geld. Du lässt dich von einem Fünfzentimeterknirps auf den Arm nehmen. Ihr werdet eingebuchtet. Kollege Ballhaus funkt dem Lopez. Der Lopez funkt mir. Ich miete ein Flugzeug und ein paar Dutzend Spezialisten. Wir spielen >Berlin ist eine Reise wert<, schläfern ein Gefängnis ein, riskieren Kopf und Kragen - und wozu das alles? Nur um zwei solchen Nachtwächtern wie euch aus der Patsche zu helfen!«

»Mach die Klappe zu, sonst zieht’s«, rief da jemand ärgerlich. Es war Bernhard. Er war aufgewacht und hatte Boileaus Vorwürfe gehört. »Und erzähle bloß nich, dass euch Lopez losgeschickt hat, weil er uns so liebt. Er hatte einfach Angst, Otto könnte auspacken. Für eine Flasche Schnaps verkauft der seine zwei Großmütter.«

»Tu mir ’n Gefallen und schlaf noch ’n bisschen«, knurrte der Kahle Otto. »Warum habt ihr bloß den Kerl nich in der Zelle gelassen? Ich kann den Ton nich leiden. Schon gar nich auf nüchternen Magen.«

»Hast du Hunger?«, fragte Boileau.

»Klar, Mensch.«

»Belegte Brote?«

»Neee, ’n paar Schnäpse«, erklärte Otto. »Was das Essen betrifft, bin ich noch ’n Flaschenkind.«

Mittlerweile war die Kriminalpolizei nicht faul gewesen. Kommissar Steinbeiß hatte auf dem Flugplatz Tempelhof den Hangar ausfindig gemacht, von dem aus das Charterflugzeug in der Nacht abgeflogen war. Aber es war in Paris nicht eingetroffen, sondern sonst wo und über alle Berge.

Doch auch die Reporter waren nicht faul gewesen. Und was sie wussten und nicht wussten, stand bereits in den Zeitungen, die man nachmittags auf der Straße kaufen konnte. Die Berichte prangten auf der ersten Seite. Das >Unternehmen Dornröschen< hieß es in Riesenbuchstaben.

Als Kriminalkommissar Steinbeiß die Zeitungen las, wurde er grün vor Ärger. Andere Leute kriegen vor Ärger die Gelbsucht. Er bekam die Grünsucht, eine völlig neue Krankheit. Doch das war noch gar nichts. Es kam noch dicker.

Zwei Stunden später rief seine Frau im Büro an. Sie war völlig außer Fassung und schrie und weinte und tobte, dass er den Hörer vom Ohr weit weghalten musste. Sonst wäre ihm das Trommelfell geplatzt. »Bist du verrückt geworden?«, rief sie im höchsten Diskant. »Wozu brauchen wir denn ein Klavier?«

»Ein Klavier?« Er hielt sich am Schreibtisch fest.

»Jawohl! Sie kriegten es nicht die Treppe herauf, und jetzt holen sie einen Flaschenzug, um es an der Hauswand hochzuziehen und durchs Fenster zu bugsieren.«

»Aber Mausi«, sagte Steinbeiß, »ich habe doch kein Klavier bestellt.«

»Du hast es sogar bezahlt«, rief sie. »Sie haben mir die Rechnung gezeigt! Und wenn du schon ein Klavier kaufst, warum schickst du dann andere Leute, die unsere Wohnung mieten wollen, weil wir auszögen?«

Steinbeiß hielt die Luft an.

»Und ein Krankenwagen war auch hier«, kreischte sie, »er wollte deinen Neffen abholen, der sich bei uns im Badezimmer ein Bein gebrochen hätte!«

»Behalte, bitte, die Nerven«, sagte er ruhig. »Ich komme gleich. Und gehe nicht vor die Tür.«

»Das kann ich sowieso nicht! Es stehen ja zehn große Kisten mit Weinessig davor! Wozu bestellst du zehn große Kisten Weinessig?«

Kriminalkommissar Steinbeiß knallte den Hörer auf die Gabel und hieb sich den Hut auf den Schädel.

Als er in die Konstanzer Straße einbog, sah er schon von weitem die Menschenmenge, die sich vor seinem Haus angesammelt hatte. Hoch in der Luft baumelte ein Klavier. Und Frau Steinbeiß, Hildegard mit Vornamen, eine mollige und sonst sehr geduldige Person, beugte sich weit aus dem offenen Fenster im dritten Stock und verweigerte, mit den Händen rudernd, die Annahme.

Und auf der Straße standen nicht nur neugierige Passanten und Müßiggänger, o nein. Pressefotografen, Kameraleute, Reporter mit Notizblöcken waren darunter. Es wurde geknipst und gekurbelt, notiert und gelacht, dass man sein eigenes Wort nicht verstand.

Steinbeiß sprang aus dem Wagen.

»Endlich kreuzt die Hauptperson auf!«, rief ein Reporter.

»Wie kommen Sie hierher?«, fragte er voller Zorn.

»Na so was«, sagte der Zeitungsmann, und er war ehrlich gekränkt. »Sie haben uns ja alle feierlich einladen lassen! Wer sonst hätte uns denn anrufen und vor Ihr Haus bestellen sollen?«

»Wenn Sie’s nicht selber waren«, meinte ein Pressefotograf, »dann kann es nur jemand gewesen sein, der Sie nicht sehr mag. Ein Klavier in der Luft, Ihre Frau am Fenster, in allen Zeitungen und in der Tagesschau, mit einem flotten Kommentar .«

Kriminalkommissar Steinbeiß stürzte die Treppe hoch, kletterte über die Essigkisten und schlug mit den Fäusten gegen die Tür, bis Mausi öffnete. Dann rannte er zum Telefon, rief die Funkstreife an, dass sie ihm helfe, und ließ sich anschließend mit dem Polizeipräsidenten verbinden. »Herr Präsident«, sagte er, »ich stelle meinen Posten zur Verfügung.«

»Ich weiß schon, worum sich’s handelt«, antwortete der Polizeipräsident. »Machen Sie sich nichts daraus, lieber Steinbeiß. Diesem Senor Lopez ist keiner gewachsen. Ich denke nicht im Traum daran, einen so tüchtigen Mann wie Sie für immer einzubüßen. Aber ich beurlaube Sie für ein halbes Jahr. Dann sehen wir weiter. Einverstanden?«

»Einverstanden«, sagte Steinbeiß. »Und wenn ich den Atlantischen Ozean zu Fuß durchwaten müsste, diesen Senor Lopez kauf ich mir.«