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»Ich weiß was«, wiederholte Mäxchen und rieb sich die Hände. »In jedem Kino werden doch Programmhefte verkauft. Dort könnte man drucken, wie schwer es Herrn Galoppinski gefallen ist, von Nero herunterzupurzeln. Weil doch beide zur Weltklasse gehören und so etwas eigentlich gar nicht mehr können. Deshalb hätten sie das Herunterfallen monatelang üben müssen. Wie Clowns.«

»Ich lasse mich nicht gerne auslachen«, gestand Galoppinski. Er war ein bisschen verlegen.

»Seit wann werden Clowns ausgelacht?«, fragte Mister Drink-water erstaunt. »Der letzte Dummkopf im Zirkus weiß, dass sie nicht ungeschickt sind, sondern nur so tun. Man lacht sie nicht aus. Man lacht an ihrer Stelle, weil sie selber ernst bleiben.«

Maestro Galoppinski war ein Reiter und kein Denker, und ohne sein Pferd war er sowieso nur eine halbe Portion. Deshalb stand er plötzlich auf, schnarrte: »Ich bitte um Bedenkzeit« und marschierte zur Tür.

»Wo wollen Sie denn hin?«, fragte Mister Drinkwater.

»In den Stall.« Fort war er.

»Was will er denn im Stall?«

»Das Pferd will er fragen«, meinte Mäxchen. »Ohne Nero tut er nichts.«

»Erzähle mir bloß nicht, dass der Gaul reden kann!«

»Nein, aber er kann zuhören«, sagte der Jokus. »Wenn Galoppinski mit ihm gesprochen hat, schaut er ihn an. Weiter nichts. Und schon weiß er, ob Nero einverstanden ist.«

»Das machen die beiden immer so«, fügte Mäxchen hinzu.

Mister Drinkwater war sprachlos.

Fünf Minuten später kam Galoppinski aus dem Stall zurück. »Die Sache ist in Ordnung«, sagte er. »Mein Pferd hat nichts dagegen.«

Es waren harte Wochen. Abend für Abend und dreimal nachmittags Zirkusvorstellung. Morgens um sieben Ankunft im Filmstudio. Der Maskenbildner wartete schon mit der Schminkschatulle. Wenn er Mäxchen schminkte, brauchte er eine Lupe.

In der Halle 5 war Verschiedenes aufgebaut: ein Hotelzimmer, ein Hotelkorridor, ein Schaufenster mit dem Schönen Waldemar und anderen Kleiderpuppen, das Innere des Herrengeschäfts, das Zimmer der Räuber, Jakob Hurtigs Parterrefenster, das Wohnzimmer seiner Eltern, das Büro des Kriminalkommissars, der Blaue Salon, der Wohnwagen des Direktors Brausewetter und wer weiß, was noch alles. Man kam sich vor wie auf einem Jahrmarkt. Zwei Tage drehte man im Blauen Salon, drei Tage in der Räuberhöhle, einen halben Tag in der Gaststube des >Krummen Würfels<, wo die Schauspielerin, welche die Wirtin spielte, dem Darsteller des Räubers Bernhard den Karamellpudding ins Gesicht klatschte.

Diese Szene musste, weil es mit der Beleuchtung nicht klappen wollte, viermal gedreht werden. Der Schauspieler war schon beim dritten Pudding eine einzige Wut. Aber Mister Drinkwater ließ nicht locker, bis sein Kameramann mit der vierten Aufnahme zufrieden war.

Mittags aßen sie in der Kantine. Da saßen nun die zwei Räuber mit Rosa, dem Jokus und dem Darsteller des Kriminalkommissars Steinbeiß friedlich zusammen. Mäxchen stand neben Jakob Hur-tigs Teller und probierte die Leberknödelsuppe. Mister Drinkwater unterhielt sich mit dem unrasierten Darsteller des Kahlen Otto. Die Wirtin der Filmkantine bediente die Schauspielerin, die eben noch die Wirtin des >Krummen Würfels< gespielt hatte. Kurz, es ging reichlich komisch zu. Und es wurde viel gelacht.

Am meisten aber wurde gelacht, als an jenem Tag, von dem die Rede ist, der Nachtisch serviert wurde. Das heißt, der Schauspieler, der den Bernhard darstellte, lachte nicht mit. Er schrie vor Entsetzen laut auf. Denn was, glaubt ihr, gab es als Nachtisch? Karamellpudding mit Himbeersoße!

Vier Puddings mitten ins Gesicht und jetzt den fünften vor der Nase, das war ihm entschieden zu viel. Er schüttelte sich vor Grausen und beruhigte sich erst, als ihm die Kantinenwirtin statt der >Zittersülze< Camembert mit Pumpernickel brachte.

Mäxchen hielt sich wacker. Das Filmen machte ihm Spaß. Und was einem Jungen Spaß macht, strengt ihn zehnmal weniger an als eine Arbeit, die er nicht leiden kann. Uns Erwachsenen geht es ja nicht anders. Deshalb ist es so wichtig, welchen Beruf man eines Tages wählt. (Aber ich merke, ich komme vom Thema ab.)

Mäxchen, erzählte ich gerade, machte das Filmen Spaß. Doch er sah auch gern zu, wenn er drehfrei hatte. Manchmal kletterte er am Kameramann hoch und durfte durch den Sucher sehen. Sogar wenn die Kamera auf Schienen lief oder von einem Kran geschwenkt wurde.

Am interessantesten fand er freilich die Außenaufnahmen in Pichelstein. In dem Dorf, wo alle Einwohner Pichelsteiner hießen und viel kleiner waren als die übrige Menschheit. In dem Dorf, aus dem seine Eltern stammten und das sie, etwa zehn Jahre vor seiner Geburt, mit Sack und Pack verlassen hatten, um zum Zirkus zu gehen.

Als man, an einem Oktoberabend nach der Vorstellung, zu viert in dem Künstlerrestaurant >Die Kanne< saß, sagte Mister Drink-water: »Morgen fahre ich früh um sechs mit dem Wagen nach Pichelstein. Der Aufnahmeleiter ist schon dort. Das Team fährt heute Nacht. Wenn morgen so schönes buntes Herbstwetter sein sollte wie heute, drehe ich mittags im Freien. Sonst in der Turnhalle. Der Verein will zeigen, was er kann: Bodenturnen, Hochreck, Ringe, Pferd, die Mädchen am Stufenbarren und auf dem Schwebebalken, damit wird unser Film anfangen.« Er machte eine kleine Pause, lächelte und fragte: »Wollt ihr mitkommen?«

»Oh«, flüsterte Mäxchen.

»Und was wird inzwischen aus dem Zirkus Stilke?«, fragte der Jokus.

»Ihr fahrt rechtzeitig mit dem Wagen zurück«, sagte Drinkwa-ter. »Ich selber bleibe während der Aufnahmen in Pichelstein. Übernachten muss ich allerdings in Regensburg. Denn die Betten im Pichelsteiner Gasthof sind zu kurz. Das längste misst siebzig Zentimeter. Da müsste man für mich drei Betten hintereinander stellen, aber dafür sind die Zimmer zu klein.«

»Selbstverständlich kommen wir mit«, erklärte Rosa Marzipan resolut. »Der Junge soll endlich die Heimat seiner Eltern kennen lernen.«

»Ist es dir recht?«, fragte der Jokus behutsam.

Mäxchen sah ihn unschlüssig an. »Ich möchte schon«, sagte er. »Aber ich habe auch ein bisschen Angst davor.«

»Wir sind ja bei dir«, meinte der Professor.

»Das stimmt. Denn sonst ... Lauter kleine Menschen, die Pichelsteiner heißen und mit mir verwandt sind und erzählen werden, dass sie mit meinen Eltern in der Schule waren .«

Als sie früh am nächsten Morgen in München abfuhren, war es noch finster und neblig. Später, als es heller wurde, löste sich der Nebel auf, und in Regensburg schien schon die Sonne. Der Himmel wurde seidenblau. Die Bäume waren bunt wie Herbststräuße. Hinter Regensburg ging es durch Dorfstraßen. Der Weg führte bergan und durch Wiesen und Wälder.

»Dort oben liegt Pichelstein«, sagte Drinkwaters Chauffeur. Und damit beginnt .

Das sechste Kapitel

»Achtung, beim Besuch der Kirche und des Rathauses bücken!« / Seit wann ist die Riesenwelle erblich? /Mäxchens nachgemachte Eltern /Kommissar Steinbeiß kommt aus Südamerika zurück/ Senor Lopez wird fotografiert und flieht.

Neben der Landstraße stand ein Schild. Sie hielten und lasen: »Achtung! Kein Durchgangsverkehr! Parkplatz vorm Ortseingang! Übernachtungsgelegenheit nur für Kinder bis 50 cm! Beim Besuch der Kirche und des Rathauses bücken! Wir bitten um Verständnis! Willkommen in Pichelstein! Alois Pichelsteiner, Bürgermeister.«

Rosa Marzipan lachte. »Da werden wir am besten auf allen vieren kriechen. Hoffentlich sind die Dorfstraßen breit genug.«

»Für uns Männer schon«, meinte der Jokus.