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»Was sagst du nun?«, fragte Osram.

Aber Mäxchen sagte gar nichts. Er war schon wieder am Tischbein hochgeklettert und ließ sich droben vom König weiterfüttern.

»Noch zwei Paar heiße Würstchen!«, rief der König.

Kurz darauf rief Judith: »Noch zwei Paar heiße Würstchen, bitte! Für die Kinderetage!«

Der Fleischermeister brachte wieder vier Paar angeschleppt.

Wieder ließ man sich’s schmecken. Und wieder kletterte Mäx-chen zwischen den zwei Tischplatten hin und her und hinauf und herunter. Erst nach der zwanzigsten Klettertour gab er das Rennen auf.

»Wie hat’s geschmeckt?«, fragte Judith.

»Du hast Recht gehabt«, antwortete Mäxchen. »Sie zergehen einem auf der Zunge.«

Auf der Fahrt zum Schloss kaufte König Bileam fünf rote Tulpen. »Für meine liebe Frau«, sagte er.

»Damit Mutti nicht schimpft«, stellte Osram sachlich fest. Prinzessin Judith lächelte klug vor sich hin. »Zwei Tulpen, weil wir zu spät kommen, und zwei Tulpen, weil wir satt sind. Doch wozu die fünfte?«

»Damit sie sich freut«, erklärte der König. »Und nun putzt euch den Mund. Hier ist mein Taschentuch.«

Die Königin blieb bis zur vierten Tulpe ungnädig. Doch bei der fünften schmolz ihr strenger Bück. Denn in der fünften Tulpe stand Mäxchen, steckte den Wuschelkopf über den Blumenrand und sagte: »Je später der Abend, umso schöner die Gäste.« Da band sich die Königin vor Vergnügen die Küchenschürze ab.

Nach der Begrüßung liefen die zwei Königskinder, mit Mäx-chen in der Hand, ins Spielzimmer, wo sie schon am Vormittag die Ritterburg, die Eisenbahn und das Blockhaus mit den Trappern und den Siouxindianern aufgebaut hatten. Zuerst setzten sie die elektrische Eisenbahn in Betrieb. Osram stellte die Weichen.

Judith bediente die Signale. Und Mäxchen war der Lokomotivführer. Er hatte genau die richtige Größe. (Aber wir wollen die drei beim Spielen nicht stören. Kinder haben das gar nicht gerne.)

Inzwischen saßen Bileam, seine Frau und der Jokus in der Schlossbibliothek. Die Herren tranken ein Glas Wein. Die Königin nähte mit ein paar Stichen die Krone auf dem Hut ihres Mannes fester. Und manchmal hörten sie das Kindergeschrei aus dem Spielzimmer.

»Das Schloss ist nicht sehr groß«, sagte der König. »Und alt ist es erst recht nicht. Dagobert, mein Vorgänger, ließ es nach seiner Wahl im Jahre 1912 bauen, und der Geschmack war damals ziemlich schauderhaft.«

»Aber die Mauern sind solide«, meinte seine Frau, »die Zimmer sind nicht so niedrig wie heutzutage, und seit wir Ölheizung haben, gibt es auch keine feuchten Wände mehr.« Sie biss den Nähfaden ab. »So, Bileam, nun sitzt die Krone wieder fest. Ich hänge den Hut in die Garderobe.« Sie ging und ließ die beiden allein.

»Stimmt es, dass Breganzona ursprünglich eine Künstlerkolonie war?«, fragte der Jokus.

»Eine Ferieninsel für Maler, Musiker und Schriftsteller, nichts weiter. Aber die Welt draußen wurde immer lauter, die Fabrikschornsteine qualmten immer giftiger, die Kriege wurden immer übler, und das Goldene Kalb wuchs, bis es ein Riesenochse war -da blieben die Sommergäste für immer hier.«

»Und aus dem Künstlervölkchen wurde ein Volk.«

»Nennen wir’s weiterhin ein Völkchen«, meinte der König. »Mehr sind wir nicht, und mehr wollen wir nicht sein. Wir wollen weder in den Atlas noch ins Lexikon. Wir wollen weder Ruhm noch Reichtum.«

»Seien Sie froh, dass Breganzona so klein ist«, sagte der Jokus. »Sonst hätten Sie großen Ärger.«

»Prosit, Professor.« Der König hob sein Glas. »Und nun verraten Sie mir endlich, warum Rosa Marzipan nicht mitgekommen ist.«

»Wir haben, ohne dass der Junge es ahnt, ein Haus gekauft, und sie richtet es heimlich ein. Man kann nicht ewig von einem Hotel ins nächste ziehen.«

»Nur zu wahr«, brummte Bileam. »Man will wissen, wohin man gehört. Man wird nicht jünger.«

»Das gilt sogar für Mäxchen. Auch er wird älter. Er braucht endlich ein Zuhause. Er braucht endlich gründlichen Privatunterricht. Außerdem will ich meine >Geschichte der Zauberkunst< schreiben ...«

»... und Fräulein Marzipan heiraten.«

»Das ist leichter gesagt als getan.«

»Nanu. Will sie nicht?«

»Lieber König Bileam, können Sie schweigen?«

»Nicht nur wie das Grab, sondern wie ein ganzer Friedhof. Was ist los?«

»Wir haben Angst um Mäxchen«, sagte der Jokus bekümmert. »Wo ich bin und schlafe und gehe und stehe, er ist bei mir, er war bei mir, und er kennt es nicht anders. Was soll werden, wenn Rosa und ich heiraten? Wenn wir Kinder haben? Ich kann mich nicht in Stücke schneiden. Er würde glauben, ich liebte ihn weniger. Er wäre unglücklich, der kleine Kerl, und ich wäre es auch.«

»So unglücklich können glückliche Menschen sein«, meinte König Bileam bedächtig. »Was sollen erst die Unglücklichen machen?«

Mittlerweile ging es im Spielzimmer hoch her. Mäxchen hatte den Beruf des Lokomotivführers längst an den Nagel gehängt. Er war, trotz der hochgeklappten Zugbrücke und des tiefen Wassergrabens, in die Burg eingedrungen. Im Burghof, auf den Wehrgängen und auf dem Söller hatte er sämtliche Ritter umgelegt, von den Knappen und Knechten ganz zu schweigen.

Nachdem Maximilian von Pichelstein, der edle Ritter, jeglichen Widerstand gebrochen hatte, nahm er den erbeuteten Helm vom Haupt, trocknete sich die Heldenstirn und blickte kühn in die Ferne. »Ich dürste nach neuen Taten«, rief er. »Den nächsten Feind, bitte!«

Prinz Osram wusste Rat. »Im Wilden Westen tut sich was. Die Sioux belagern das Blockhaus. Wie wär’s?«

»Wer wird siegen, o Fremdling?«

»Die Rothäute wollen die Palisaden anzünden. Die Fackeln lodern schon.«

»Wir werden sie auslöschen.«

»Womit?«, fragte Osram ratlos. »Die Brunnen sind leer. Die Wasserleitung ist kaputt.«

»Dann nehmen wir Spucke«, rief Trapper Max, das unerschrockene Bleichgesicht.

»Jawohl«, schrie Osram. »Das ist die Lösung!«

»Ihr seid zwei kleine Dreckschweine«, sagte Judith pikiert. »Untersteht euch, im Zimmer herumzuspucken.«

Mäxchen blickte Osram an. »Wer ist die vorlaute Squaw? Was mischt sie sich in Männersachen?«

»Soll ich sie auf den Rücken eines Mustangs binden und in die Prärie jagen?«

Doch daraus wurde nichts. Die rüden Männer aus dem Wilden Westen vergaßen ihre grausamen Pläne mit einem Schlag und starrten fasziniert auf Judiths Hände. Denn die Prinzessin nähte. Sie nähte auf einem runden schwarzen Hut eine goldene Krone fest!

Die Krone war Judiths kleiner goldener Geburtstagsring, und der Hut war auch nicht viel größer, weil er eigentlich einer Puppe gehörte, einem fingerlangen Hirten aus der Puszta. Nun lag er kahl und unbeachtet neben Judiths Nähzeug. Sie biss den Faden ab und sagte: »So.«

»Genau wie Papas Ausgehkrone«, rief Osram.

»Für mich?«, fragte Mäxchen vorsichtig.

»Vielleicht«, sagte Judith. Und während sie ihm den Kronenhut aufsetzte, verdrehte er die Augen, als wolle er sich selber auf den Kopf sehen.

Die Geschwister klatschten vor Begeisterung in die Hände. »Er passt wie angegossen«, rief Judith. Und Osram rief: »Wie Vati auf den Briefmarken!«

Und Mäxchen? Da stand er nun neben Judiths Nähkästchen und wusste nicht, wie schön er aussah. Wie schön man aussieht, sehen immer nur die anderen. »Habt ihr denn keinen Spiegel im Haus?«, fragte er zappelig.

Judith holte ihren Handspiegel, lehnte ihn ans Nähkästchen, und nun konnte sich der kleine Mann endlich betrachten. Er ließ sich Zeit und fand sich wunderbar. Er stolzierte auf und ab, winkte seinem Spiegelbild zu, schwenkte den Hut zum Gruß und rief: »Majestät sehen heute wieder blühend aus! Na ja, kein Wunder. Heiße Würstchen sind die beste Medizin. Vor allem für Leber und Galle. Es gibt keine bessere Diät.«