Выбрать главу

»Sie helfen mir, und ich helfe Ihnen.« Er goss das Glas wieder halb voll. »Prost!«

Der Kahle Otto nahm sich diesmal Zeit. Er trank in kleinen Schlucken, schüttelte sich, als wolle er den Schnaps im Innern gründlich verteilen, und sagte dann: »Das ist wohl die schärfste Räuberpistole, die ich nach meiner Geburt gehört habe! Davon könnten einem ja glatt die Trommelfelle platzen!«

Die anderen blickten ihn entgeistert an. Mäxchen fuchtelte mit den Armen und rief wütend: »Ich lüge nicht!«

»Natürlich nich«, meinte Otto. »Lügen is für so was gar kein Ausdruck. Das is ’n Weltrekord, Jungchen. So viel Phantasie in so ’nem kleenen Kopp, wie machst du das bloß?«

»Ich lüge nicht«, brüllte Mäxchen wie am Spieß. »Das ist eine bodenlose Gemeinheit!«

Professor Jokus von Pokus zupfte nervös an seinem eleganten Schnurrbart. »Ich bin ein verträglicher Mensch«, sagte er. »Aber jetzt beginnt es mir in den Fingern zu kribbeln.« Er stand langsam auf.

»Bravo«, rief der Schüler Hurtig. »Zerlegen Sie ihn in seine Bestandteile!« Er hatte knallrote Backen.

Da schlug der Kriminalkommissar mit der Faust so energisch auf den Schreibtisch, dass Mäxchen einen unfreiwilligen Luftsprung machte. »Ich bitte mir Ruhe aus«, knurrte Herr Steinbeiß. Dann stellte er die Flasche ins Seitenfach zurück und drückte auf den Klingelknopf. »Für heute die letzte Frage«, sagte er finster zum Kahlen Otto. »Wenn es den Senor Lopez nicht geben sollte -warum haben Sie versoffener Kehlkopf, nein, Kohlkopf, ach was, Kahlkopf, dann den Jungen überhaupt gestohlen?«

Otto machte runde Augen. »Sie wissen nich, was Sie wollen. Erst erzählen Sie mir lang und breit, dass ich’s gar nich gewesen bin, sondern der Bernhard. Und nu soll ich plötzlich wissen, warum ich’s getan hätte. Ich war doch bloß Beihilfe, und das is ’n kolossal dehnbarer Begriff. Fragense doch Bernhard!«

Ein Wachtmeister kam ins Zimmer. »Abführen!«, bellte der Kommissar.

Kaum war Otto draußen, wankte Steinbeiß zu dem Sofa in der Ecke, setzte sich, zog die Stiefel aus und sagte: »Es ist zwar erst Nachmittag, aber ich habe vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen. Gute Nacht.« Dann kippte er um. Die Sprungfedern quiekten wie zwanzig Ferkel vor der Fütterung. Aber er hörte es nicht mehr.

Am gleichen Nachmittag geschah, was unsere Geschichte betrifft, noch zweierlei. In Berlin traf Mister Drinkwater ein. Und in Orly, auf dem Flugplatz in Paris, wurde das >Unternehmen Domröschem gestartet. Diese merkwürdige Bezeichnung erhielt das Unternehmen allerdings erst, als es zu spät war. Hinterher sind die Leute ja immer klüger.

Hinterher also stellte man fest, dass in Orly 16 Uhr 25 eine Chartermaschine mit achtunddreißig Passagieren nach Berlin abgeflogen war. Nun, solche Touristenflüge sind nichts Ungewöhnliches. Auch dass die Reisegesellschaft nur aus Männern bestand, war nicht weiter auffällig. Vielleicht handelte es sich um einen Kegelklub.

Der Flug nach Berlin verlief glatt. Die Maschine wurde in einem Hangar abgestellt. Sie war für drei Tage gemietet und der

Rückflug war vorausbezahlt worden. Der Reiseleiter, ein Monsieur Boileau, ließ sich vom Piloten das Hotel nennen, wo man ihn telefonisch erreichen könne. Denn vielleicht, sagte Monsieur Boi-leau, flöge er mit seiner Gesellschaft schon früher nach Paris zurück. Damit verabschiedete er sich und suchte seine Leute, die schon in der Halle neben dem Rollband auf ihre Koffer warteten. Was sie in Berlin vorhatten, blieb vorläufig ein Geheimnis. Für Mitglieder eines Kegelklubs oder eines mehrstimmigen Männergesangvereins hättet ihr sie, wie sie ihre schweren Koffer schulterten, sicher nicht gehalten. Aber ihr wart leider nicht am Flugplatz. Na ja, man kann nicht überall sein.

Am gleichen Nachmittag traf, wie ich schon sagte, auch Mister Drinkwater ein. John Foster Drinkwater, einer der großen amerikanischen Filmproduzenten. Er war überhaupt ein großer Mann: 1 Meter 90 in Socken. Das schafft nicht jeder.

Ursprünglich hatte er nur den Europachef der Firma schicken wollen. Ihm verdankte er den ersten Hinweis auf die Sensationen, die sich rund um den kleinen Mann abgespielt hatten. Doch dann hatte sich Mister Drinkwater höchstselbst in Bewegung gesetzt. Hollywood-New York-London-Berlin, die Zeit war ihm wie im Fluge vergangen. Er musste Mäxchens Geschichte verfilmen, koste es, was es wolle. Hoffentlich hatte die Konkurrenz noch nicht gewittert, was für ein Riesengeschäft hier mitten auf der Straße lag. Jetzt oder nie!

Als er am Hilton-Hotel in der Budapester Straße vorfuhr und in seiner ganzen Größe aus dem Taxi kletterte, standen bereits die Hoteldirektoren im Portal und verbeugten sich vor ihm.

»Was suchen Sie?«, fragte er, weil sie sich so tief bückten. Ehe sie über seinen Witz höflich lächeln konnten, war er schon am Lift. Und ehe sie am Lift waren, saß er schon im Hotelzimmer und telefonierte. Damit beginnt ...

Das zweite Kapitel

Direktor Brausewetter wechselt die Handschuhfarbe /Rosa Marzipan leiht Mister Drinkwater ein Opernglas / Filmgespräche im Blauen Salon / Manche dürfen nachts nicht schlafen, manche können es nicht, und manche wollen es nicht.

Mister Drinkwater war ein unermüdlicher Mann. »Ich schlafe nur zweimal im Jahr«, pflegte er zu sagen, »einmal im Juli und das zweite Mal im Dezember, dann aber den ganzen Monat hindurch, Tag für Tag vierundzwanzig Stunden lang, da kenne ich kein Erbarmen.«

Wenn die Reporter staunten und fragten, ob er denn nicht wenigstens gelegentlich aufstehe, um eine Kleinigkeit zu essen, antwortete er: »Nein. Von halben Sachen halte ich nichts. Ich verbringe die Schlafmonate auf meiner Jacht >Sleepwell< und habe, außer dem Kapitän und der Besatzung, zwei zuverlässige Angestellte an Bord. Der eine muss für mich essen und der zweite muss sich statt meiner waschen.« Ob er log oder nicht, war ihm nicht anzumerken. Denn er verzog dabei keine Miene.

Wie dem auch sei: Hier in Berlin machte John Foster Drinkwater, der große und lange Filmboss aus den USA, keinen schläfrigen Eindruck. Er telefonierte mit Jokus von Pokus. Er telefonierte mit Zirkusdirektor Brausewetter. Er telefonierte mit Kriminalkommissar Steinbeiß, dem das, weil er noch auf dem Sofa lag, gar nicht recht war. Er telefonierte mit dem amerikanischen Generalkonsul. Er telefonierte mit der Deutschen Bank. Und er telefonierte mit der Frankfurter Filiale seiner Filmgesellschaft. Dann wusch er sich. Diesmal eigenhändig, denn es war ja weder Juli noch Dezember. Später aß er in der >Golden City-Bar< des Hotels, auch das persönlich, ein mit Käse überbackenes Ragoüt fin.

Und zu Beginn der Zirkusvorstellung saß er in der für ihn reservierten Loge.

Direktor Brausewetter begrüßte ihn überschwänglich, trug blütenweiße Glacehandschuhe und erkundigte sich, ob er dem restlos ausverkauften Hause den interessanten Gast vorstellen dürfe.

»Warum fragen Sie ausgerechnet mich?«, meinte Drinkwater. »Fragen Sie ihn doch selber!«

Direktor Brausewetter schlug die weißen Handschuhe über dem Kopfe zusammen. »Welch ein Missverständnis!«, rief er bekümmert. »Der interessante Gast sind doch Sie.«

»Unterstehen Sie sich«, sagte Drinkwater ärgerlich. »Ich bin als Geschäftsmann hier. Verfrühte Reklame verteuert den Einkauf. Wollen Sie mir einen Gefallen tun?«

»Selbstverständlich.«

»Dann halten Sie sich, bis unser Vertrag perfekt ist, mit Ihren hübschen weißen Handschuhen den Mund zu.«

»Ich hoffe, Sie meinen das nur bildlich«, bemerkte Direktor Brausewetter spitz. »Und jetzt gehe ich.«

Mister Drinkwater blätterte im Programmheft und sagte nebenbei: »Ich dachte, Sie seien schon weg.«

In der Garderobe des Professors erzählte der Zirkusdirektor tief gekränkt, was er eben erlebt hatte. »So ein ungeschliffener Patron!«, schimpfte er. »Den Mund soll ich mir zuhalten!«