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Selbst Astinus konnte bei dem Anblick ein Zusammenschrecken nicht unterdrücken, aber es war offenbar nichts weiter als eine Illusion, denn mit einer Geste ließ Raistlin die Kugel nach vorne schweben. Mit der anderen Hand zog er das schwarze Gewebe wieder über seine schmale Brust.

Als die Kugel in seine Nähe trieb, legte Astinus seine Hände über sie, streichelte sie liebevoll. Bei der Berührung wurde die Kugel mit Mondlicht erfüllt, silbernem, rotem; sogar die seltsame Aura des schwarzen Mondes war sichtbar. Unterhalb der Monde wirbelte eine Vision nach der anderen auf.

»Du siehst die Zeit vergehen, noch während wir hier sitzen«, sagte Raistlin; in seiner Stimme lag ein Hauch unbewußten Stolzes. »Und folglich, Astinus, wirst du nicht länger auf deine unsichtbaren Boten von den jenseitigen Ebenen angewiesen sein, um das Wissen, was auf der Welt geschieht, zu erhalten. Von jetzt an werden deine eigenen Augen deine Boten sein.«

»Ja! Ja!« keuchte Astinus. Die Augen, die in die Kugel blickten, schimmerten von Tränen, die Wände, die sie hielten, zitterten.

»Und jetzt mein Lohn«, fuhr Raistlin kühl fort. »Wo ist das Portal?«

Astinus sah von der Kugel auf. »Kannst du dir das nicht denken, Mann der Zukunft und der Vergangenheit? Du hast die Geschichtsbücher gelesen...«

Raistlin starrte Astinus schweigend an, und sein Gesicht wurde blaß und eisig, bis es wie eine Totenmaske wirkte. »Du hast recht. Ich habe die Geschichtsbücher gelesen. Darum reiste Fistandantilus nach Zaman«, sagte er schließlich.

Astinus nickte stumm.

»Zaman, die magische Festung, gelegen in den Ebenen von Dergod, in der Nähe von Thorbadin, der Heimat der Bergzwerge. Und Zaman befindet sich in dem Gebiet, das von den Bergzwergen kontrolliert wird«, sprach Raistlin weiter; seine Stimme war ausdruckslos, als ob er aus einem Buch vorläse. »Und wohin gerade jetzt ihre Vettern, die Hügelzwerge, gehen – vertrieben von dem Bösen, das die Welt seit der Umwälzung verzehrt —, um Schutz in der uralten Gebirgsheimat zu finden...«

»Das Portal liegt...«

»... tief in den Verliesen von Zaman«, sagte Raistlin bitter. »Hier führt Fistandantilus den Großen Zwergenkrieg...«

»Wird führen...«, berichtigte Astinus.

»Den Krieg, der seinen eigenen Untergang herbeiführen wird.« Der Magier verstummte. Dann erhob er sich und ging zu Astinus’ Schreibtisch. Er legte die Hände auf das Buch und drehte es zu sich.

Astinus beobachtete ihn mit kaltem, distanziertem Interesse.

»Du hast recht«, sagte Raistlin, der die immer noch nasse Schrift auf dem Pergament durchforschte. »Ich komme aus der Zukunft. Ich habe die ›Chroniken‹ gelesen, während du sie niedergeschrieben hast. Auf jeden Fall erinnere ich mich an Ausschnitte, wenn ich diesen Eintrag lese – einen, den du schreiben wirst.« Er zeigte auf eine leere Stelle, dann rezitierte er aus dem Gedächtnis: »›An diesem Tag nach Spätwacht, die auf dreißig gesunken ist, brachte mir Fistandantilus die Kugel der Gegenwart.‹«

Astinus erwiderte nichts.

Raistlins Hand begann zu zittern. »Du wirst das schreiben«, beharrte er, Zorn ließ seine Stimme heiser klingen.

Astinus hielt inne, dann gab er mit einem leichten Schulterzucken seine Einwilligung kund.

Raistlin seufzte. »Ich tue also nichts, was nicht zuvor getan wurde!« Seine Hand ballte sich plötzlich zusammen, und als er wieder sprach, klang seine Stimme angespannt vor Anstrengung. »Crysania besuchte dich vor mehreren Tagen. Sie erzählte mir, du habest bei ihrem Eintreten geschrieben und dann, als du sie gesehen hast, etwas durchgestrichen. Zeig mir die Stelle.«

Astinus’ Blick verdüsterte sich.

»Zeig sie mir!« Raistlins Stimme brach; es war fast ein Kreischen.

Astinus legte die Kugel auf eine Seite des Schreibtisches, wo sie in seiner Nähe schwebte, und nahm widerstrebend die Hände von ihrer Kristalloberfläche. Das Licht flimmerte, die Kugel wurde dunkel und leer. Der Historiker griff hinter sich und zog einen riesigen, ledergebundenen Band hervor und fand, ohne zu zögern, die gewünschte Stelle. Er drehte das Buch um, damit Raistlin hineinsehen konnte.

Der Erzmagier las das Geschriebene, dann die Verbesserung. Als er sich erhob, war sein Gesicht leichenblaß, aber beherrscht. »Dies verändert die Zeit.«

»Dies verändert nichts«, entgegnete Astinus kühl. »Sie trat an seine Stelle, das ist alles. Ein Austausch. Die Zeit fließt ungestört weiter.«

»Und trägt mich mit ihr?«

»Wenn du über die Macht verfügst, den Lauf der Flüsse zu verändern, indem du einen Kieselstein hineinwirfst«, erwiderte Astinus sarkastisch.

Raistlin sah ihn an und lächelte plötzlich. Dann zeigte er auf die Kugel. »Hüte dich, Astinus«, flüsterte er, »hüte dich vor dem Kieselstein! Lebwohl, Unsterblicher!«

Im Zimmer war plötzlich nur noch Astinus. Der Historiker saß still und nachdenklich da. Dann drehte er das Buch um und las noch einmal die Stelle, die er geschrieben hatte, als Crysania eingetreten war.

»An diesem Tag, wenn die Spätwacht auf 15 ansteigt, erscheint Denubis, ein Kleriker Paladins, von dem großen Erzmagier Fistandantilus geschickt, um den Verbleib des Portals herauszufinden. Für meine Hilfe wird Fistandantilus etwas herstellen, was er mir seit langem versprochen hat – die Kugel der Gegenwart...«

Denubis’ Namen war durchgestrichen, Crysanias Name hineingeschrieben.

7

»Ich bin tot«, sagte Tolpan Barfuß. Einen Augenblick verharrte er erwartungsvoll. »Ich bin tot«, sagte er wieder. »Das muß das Leben nach dem Tod sein.« Wieder verstrich kurze Zeit. »Nun«, sagte er, »eins kann ich jedenfalls sagen – es ist auf alle Fälle dunkel.«

Es passierte immer noch nichts. Tolpans Interesse am Totsein begann zu schwinden. Er lag, wie er herausfand, mit dem Rücken auf etwas äußerst Hartem und Ungemütlichem, Kaltem und Steinigem. »Vielleicht liege ich auf einer Marmorplatte wie Huma«, sagte er. »Autsch!« Er spürte einen stechenden Schmerz in den Rippen und gleichzeitig einen im Kopf. Allmählich wurde ihm auch bewußt, daß er zitterte, ein scharfer Stein in seinen Rücken stach und er einen steifen Hals hatte.

»Nun, so etwas habe ich bestimmt nicht erwartet«, sagte er gereizt. »Ich meine, nach allem, was man hört, soll man, wenn man tot ist, nichts spüren.« Er sagte das ganz laut, für den Fall, daß jemand zuhörte. »Verdammt!« brummte er. »Vielleicht bin ich tot, und es hat sich noch nicht in meinem ganzen Körper herumgesprochen. Ich bin sicherlich noch nicht steif, und ich bin mir sicher, daß das eintritt. Ich warte also einfach weiter.«

Tolpan drehte sich in eine gemütlichere Lage, nachdem er den Stein unter seinem Rücken entfernt hatte, legte die Hände über die Brust und starrte in die undurchdringliche Dunkelheit. Nach einigen Minuten runzelte er die Stirn. »Wenn das Totsein so ist, dann steht fest, daß es auch nicht das Wahre ist«, bemerkte er streng. »Und jetzt bin ich nicht nur tot, sondern auch noch gelangweilt. Nun«, sagte er nach einigen weiteren Augenblicken, in denen er in die Dunkelheit starrte, »ich vermute, gegen das Totsein kann ich nicht viel ausrichten, aber gegen die Langeweile. Ich muß mich einfach nur mit jemandem darüber unterhalten.«

Er setzte sich auf und entdeckte, daß er offenbar auf einem Steinboden lag. »Wie primitiv!« bemerkte er beleidigt. »Warum mich nicht gleich in irgendeinem Wurzelkeller abladen!« Er stolperte auf die Füße, tat einen Schritt nach vorne und stieß gegen etwas Hartes und Festes. »Ein Stein«, stellte er düster fest, als er mit seinen Händen darüberfuhr. »Pah! Flint stirbt und bekommt einen Baum! Ich sterbe und bekomme einen Stein. Es ist klar, daß jemand alles vermasselt hat. He!« schrie er und tastete sich in der Dunkelheit herum. »Ist jemand... Na so was! Ich habe immer noch meine Beutel! Sie haben mich alles mitnehmen lassen, sogar das magische Gerät. Zumindest war das taktvoll. Dennoch«, Tolpans Lippen strafften sich entschlossen, »jemand sollte etwas gegen diesen Schmerz unternehmen. Damit werde ich mich auf keinen Fall abfinden.«