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Da er in der Dunkelheit nichts erkennen konnte, tastete Tolpan neugierig über den großen Stein. Er schien mit geschnitzten Bildern verziert zu sein – vielleicht Runen? Und das kam ihm vertraut vor. Auch die Form des riesigen Steins war merkwürdig. »Es ist überhaupt kein Stein! Es ist anscheinend ein Tisch«, sagte er verwirrt. »Ein Steintisch mit Runen...« Dann kehrte seine Erinnerung zurück. »Ich weiß!« rief er triumphierend.

»Das ist der große Steintisch im Laboratorium, in das ich gelaufen bin, um Raistlin, Caramon und Crysania aufzuspüren, und wo ich herausgefunden habe, daß sie alle verschwunden waren und mich zurückgelassen hatten. Ich stand dort, als das feurige Gebirge direkt auf mich fiel. In der Tat ist das der Ort, an dem ich gestorben bin.«

Er fühlte an seinem Hals. Ja, das Eisenband war immer noch da – das Band, das sie ihm angelegt hatten, als er als Sklave verkauft wurde. Sich weiter durch die Dunkelheit tastend, trat er auf etwas. Er griff nach unten und schnitt sich an etwas Scharfem. »Caramons Schwert«, sagte er, als er den Griff befühlte. »Ich erinnere mich. Und das bedeutet«, sagte Tolpan mit wachsender Entrüstung, »daß sie mich nicht einmal begraben haben! Sie haben meinen Körper einfach dort liegen gelassen, wo ich gestorben bin. Ich bin im Keller dieses zerstörten Tempels.« Grübelnd saugte er an seinem blutenden Finger. Ein Gedanke kam ihm. »Und vermutlich haben sie auch noch entschieden, daß ich hinlaufen soll, wo das auch ist, wo ich im Leben nach dem Tod hinlaufen soll. Sie haben sich nicht einmal um Transportmittel gekümmert. Jetzt reicht es mir aber wirklich!« Er erhob seine Stimme zu einem Schrei. »Hört zu!« rief er und schüttelte seine kleine Faust. »Ich will mit der verantwortlichen Person reden, egal, wer das ist!«

Aber es kam keine Antwort.

»Kein Licht«, brummte er, als er wieder über etwas fiel. »Im Keller eines zerstörten Tempels festhängen – tot! Wahrscheinlich am Grund des Blutmeeres von Istar... Nun«, sagte er, »vielleicht treffe ich ein paar Meerelfen, von denen Tanis mir erzählt hat. Aber nein, ich bin tot, und dann kann man nicht, so weit ich in der Lage bin, das zu verstehen, Leute treffen. Soweit man kein Untoter wie Fürst Soth ist.«

Tolpan rappelte sich wieder auf und schaffte es, dorthin zu kommen, wo er den vorderen Teil des Zimmers unter dem Tempel vermutete. Er dachte gerade über das Blutmeer von Istar nach und wunderte sich über das fehlende Wasser, als ihm plötzlich etwas anderes einfiel. »O je!« murmelte er. »Der Tempel ist nicht im Blutmeer untergetaucht! Er wurde nach Neraka gebracht! Ich war doch in dem Tempel, als ich die Königin der Finsternis besiegte.«

Er erreichte den Türeingang – und spähte in die Dunkelheit. »Neraka«, sagte er und fragte sich, ob das besser oder schlechter war, als sich am Grunde eines Meeres zu befinden.

Vorsichtig tat er einen Schritt nach vorne und spürte etwas unter seinem Fuß. Er streckte seine kleine Hand aus, sie schloß sich um etwas – »Eine Fackel! Das muß diejenige über dem Türeingang gewesen sein. Nun, irgendwo habe ich doch eine Zunderbüchse.« Er wühlte sich durch mehrere Beutel und fand schließlich eine. »Seltsam«, sagte er, als er sich im Korridor umschaute, während die Fackel im Licht erstrahlte. »Es sieht genauso aus, wie ich es verlassen habe – alles zerbrochen und zerstört nach dem Erdbeben. Man könnte doch annehmen, daß die Königin alles ein bißchen aufgeräumt hätte. Ich erinnere mich nicht, daß es so unordentlich war, als ich damals im Tempel in Neraka war. Ich frage mich, wie man hier rauskommt.«

Er sah zu den Stufen, die er auf seiner Suche nach Crysania und Raistlin hinuntergestiegen war. Lebhafte Erinnerungen an berstende Wände und einstürzende Säulen kamen ihm. »Das ist nicht gut, das steht fest«, murmelte er und schüttelte den Kopf. »Aber das war der einzige Weg nach draußen, soweit ich mich erinnere.« Er seufzte. Aber seine für Kender typische Fröhlichkeit gewann bald die Oberhand. »Es gibt sicherlich eine Menge von Spalten in den Wänden. Vielleicht bietet sich da eine Möglichkeit.«

Er trat langsam in den Korridor hinaus und überprüfte sorgfältig jede Wand, ohne etwas Vielversprechendes zu sehen, bis er das Ende des Flurs erreichte. Hier entdeckte er einen Spalt im Marmor, der, anders als die anderen, eine tiefere Öffnung aufwies.

Nur ein Kender konnte sich durch diesen Spalt quetschen, und selbst für Tolpan war er knapp bemessen. »Ich kann lediglich sagen, daß Totsein eine Menge Ärger bedeutet!« brummte er, während er sich durch den Spalt zwängte und sich ein Loch in seine blaue Hose riß. Einer seiner Beutel verfing sich an einem Stein, und er mußte anhalten und an ihm ziehen, bis er endlich frei war. Dann wurde der Spalt so eng, daß er sich überhaupt nicht mehr sicher war, daß er es schaffen würde. Er nahm seine Beutel ab, hielt sie und die Fackel über seinen Kopf, und nachdem er seinen Atem angehalten hatte, schlängelte er sich weiter durch. Aber alles tat ihm weh, ihm war heiß, und er war schlechter Laune.

Er verschnaufte kurz, um wieder Atem zu schöpfen und seine Beutel zu sortieren, und war entschieden froh, als er am anderen Ende des Spaltes Licht erspähte. Er leuchtete mit der Fackel umher und entdeckte, daß der Spalt breiter wurde. Er setzte seinen Weg fort und erreichte bald das Ende, die Quelle des Lichts.

Als er die Öffnung erreichte, spähte er hinaus, holte tief Luft und sagte: »Das entspricht eher dem, was ich mir vorgestellt habe!«

Solch eine Landschaft hatte er noch nie in seinem Leben gesehen. Sie war flach und öde, erstreckte sich immer weiter und ging schließlich in einen riesigen, leeren Himmel über, der von einer seltsamen Glut erleuchtet war, als ob die Sonne gerade untergegangen wäre oder ein Feuer in der Ferne brennt. Aber der ganze Himmel hatte eine seltsame Farbe, auch über ihm. Und trotz dieser Helligkeit war alles in Dunkelheit getaucht. Das Land schien aus schwarzem Papier geschnitten und unter den schaurig aussehenden Himmel geklebt zu sein. Und der Himmel selbst war leer – keine Sonne, keine Monde, keine Sterne. Nichts.

Tolpan tat vorsichtig einen oder zwei Schritte nach vorne. Der Boden fühlte sich nicht anders an als jeder andere Boden. Nur wies er die gleiche Farbe wie der Himmel auf, wie er beim Laufen bemerkte. Nach einigen weiteren Schritten hielt er an, um zu den Ruinen des großen Tempels zurückzublicken.

»Beim Barte des großen Reorx!« keuchte Tolpan und ließ fast seine Fackel fallen. Hinter ihm war nichts! Was es auch war, aus dem er gekommen war, es war verschwunden! Der Kender drehte sich im Kreis herum. Nichts war vor ihm, nichts hinter ihm, nichts, egal, in welche Richtung er sah.

»Das kann nicht das Leben nach dem Tod sein«, sagte der Kender jämmerlich. »Das kann nicht stimmen! Es muß ein Fehler vorliegen. He, ich sollte hier doch Flint treffen! Das hat Fizban gesagt. Fizban war wohl bei den anderen Dingen ein wenig durcheinander, aber bei diesem Punkt schien er nicht durcheinander zu sein!... Mal sehen – wie war das noch mal? Da ist ein großer Baum, ein wunderschöner Baum, und unter ihm sitzt ein mürrischer, alter Zwerg, der Holz schnitzt und – He! Da ist ja ein Baum! Nun, woher kommt der denn plötzlich?«

Der Kender blinzelte vor Verblüffung. Vor ihm, wo einen Augenblick zuvor nichts gewesen war, stand nun ein großer Baum. »Nicht genau meine Vorstellung von einem wunderschönen Baum«, murrte Tolpan, als er auf ihn zuging und bemerkte, daß der Boden eine merkwürdige Angewohnheit entwickelt hatte, nämlich zu versuchen, unter seinen Füßen wegzugleiten. »Aber Fizban hatte einen komischen Geschmack und, wenn wir schon dabei sind, Flint auch.«

Er näherte sich dem Baum, der schwarz – wie alles andere auch —, verkrümmt und zusammengekauert wie eine Hexe war, die er einmal gesehen hatte. Er trug keine Blätter. »Dieses Ding ist mindestens hundert Jahre alt!« Tolpan rümpfte die Nase. »Wenn Flint denkt, daß ich mein Leben nach dem Tod verbringe, indem ich mit ihm unter einem toten Baum sitze, muß er sich schon etwas anderes ausdenken. Ich... He, Flint!« schrie der Kender, als er an den Baum herantrat und sich umsah. »Flint, wo bist du? Ich... Oh, da bist du ja«, sagte er, als er eine kurze, bärtige Gestalt auf der anderen Seite des Baumes sitzen sah. »Fizban hat mir gesagt, daß ich dich hier finde. Ich wette, du bist überrascht, mich zu sehen! Ich...«