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Der Kender ging um den Baum, dann blieb er stehen. »Donnerwetter«, schrie er wütend, »du bist nicht Flint, sondern Arak!« Er taumelte zurück, als der Zwerg, der der Meister der Spiele in Istar gewesen war, plötzlich den Kopf wandte und ihn mit einem so bösartigen Grinsen in dem entstellten Gesicht ansah, daß das Blut des Kenders gefror – eine ungewöhnliche Empfindung; er konnte sich nicht erinnern, so etwas erlebt zu haben.

Aber bevor er Zeit hatte, sich darüber Gedanken zu machen, sprang der Zwerg auf die Füße und stürzte sich mit einem Knurren auf den Kender.

Mit einem Aufschrei schwang Tolpan seine Fackel, um Arak zurückzuhalten, während er mit seiner anderen Hand nach dem kleinen Messer an seinem Gürtel suchte. Aber gerade als er sein Messer hervorzog, verschwand Arak. Der Baum verschwand. Wieder stand Tolpan inmitten des Nichts unter dem feuerhellen Himmel. »In Ordnung«, sagte er, und ein leises Beben schlich sich in seine Stimme, obgleich er sein Bestes tat, es zu verbergen. »Ich finde das alles gar nicht lustig. Es ist erbärmlich und entsetzlich, und auch wenn Fizban mir nicht genau versprochen hat, daß das Leben nach dem Tod eine niemals endende Party ist, bin ich mir sicher, daß er so etwas nie im Sinn hatte!« Er drehte sich mit gezogenem Messer langsam um und hielt die Fackel nach vorne. »Ich weiß, ich war nie besonders religiös«, fügte Tolpan schniefend hinzu, sah in die düstere Landschaft und versuchte, seine Füße auf dem unheimlichen Boden zu halten, »aber ich denke schon, daß ich ein recht gutes Leben geführt habe. Und ich habe die Königin der Finsternis besiegt. Natürlich mit ein wenig Hilfe«, ergänzte er, »und ich bin ein persönlicher Freund von Paladin und...«

»Im Namen Ihrer Dunklen Majestät«, ertönte eine leise Stimme hinter ihm, »was tust du hier?«

Tolpan sprang in die Luft – ein sicheres Zeichen, daß er völlig entnervt war – und wirbelte herum. Dort, wo einen Augenblick zuvor nichts gewesen war, stand eine Gestalt, die ihn stark an einen Kleriker Paladins, Elistan, erinnerte; nur trug diese Gestalt schwarze klerikale Roben statt weiße, und um seinen Hals hing statt des Medaillons von Paladin das Medaillon des Fünfköpfigen Drachen.

»Verzeihung, Herr«, stammelte Tolpan, »aber ich bin mir nicht so sicher, was ich hier tue. Ich bin mir überhaupt nicht sicher, wo hier ist, um die Wahrheit zu sagen, und – oh, nebenbei, mein Name ist Tolpan Barfuß.« Er streckte höflich seine kleine Hand aus. »Wie heißt du?«

Aber die Gestalt übersah die Hand des Kenders, warf ihre schwarze Kapuze zurück und trat einen Schritt näher. Tolpan war ziemlich erschrocken, langes eisengraues Haar unter der Kapuze hervorfließen zu sehen; ein langer grauer Bart schien plötzlich aus dem Gesicht hervorzusprießen.

»Donnerwetter, das ist recht... bemerkenswert«, stotterte Tolpan; sein Mund war sperrangelweit geöffnet. »Wie hast du das geschafft? Vermutlich kannst du mir das nicht sagen, aber was hast du gesagt, wo ich bin? Du siehst...« Die Gestalt trat einen weiteren Schritt näher. »Ich... ich bin tot«, fuhr Tolpan fort und versuchte zurückzuweichen, aber aus einem unerklärlichen Grund hinderte ihn etwas daran, »und... übrigens« – Empörung machte sich immer besser als Angst – »bist du hier verantwortlich? Weil ich nämlich finde, daß die Sache mit dem Tod hier nicht gut gehandhabt wird. Ich bin verletzt!« sagte Tolpan und funkelte die Gestalt anklagend an. »Mein Kopf schmerzt und meine Rippen auch. Und dann mußte ich den ganzen Weg laufen, vom Keller des Tempels...«

Die Gestalt hielt nun an, nur einige Zentimeter von Tolpan entfernt. Ihr graues Haar schwebte umher, als ob es von einem heißen Wind berührt würde. Tolpan konnte nun erkennen, daß die Augen die gleiche rote Farbe wie der Himmel hatten, das Gesicht war grau wie Asche.

»Ja!« Tolpan schluckte. Abgesehen von allem anderen verbreitete die Gestalt auch noch den entsetzlichsten Gestank. »Ich... ich folgte Crysania, und sie folgte Raistlin und...«

»Raistlin!« Die Gestalt sprach den Namen in einen Tonfall aus, daß Tolpans Haar buchstäblich zu Berge stand. »Komm mit!«

Die Hand der Gestalt, eine höchst merkwürdig aussehende Hand, schloß sich um Tolpans Handgelenk.

»Aua!« quietschte Tolpan, als der Schmerz durch seinen Arm schoß. »Du tust mir weh...«

Aber die Gestalt schenkte ihm keine Beachtung. Sie schloß ihre Augen, wie in tiefer Konzentration verloren, hielt den Kender in festem Griff, und der Boden um ihn begann sich plötzlich zu heben und zu senken. Der Kender war erstaunt, als die Landschaft selbst in eine schnelle, fließende Bewegung geriet. »He«, sagte er leise, »was hast du gesagt, wo ich bin?«

»Du bist in der Hölle«, antwortete die Gestalt mit Grabesstimme.

»O je«, sagte Tolpan kummervoll, »ich habe nicht gedacht, daß ich so schlecht war. Das ist also die Hölle. Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich dir sage, daß ich fürchterlich enttäuscht bin. Ich habe immer vermutet, die Hölle sei ein faszinierender Ort. Aber das ist sie nicht, nicht im geringsten. Es ist hier furchtbar langweilig und häßlich, und, ich will ja nicht grob sein, aber hier ist ein höchst merkwürdiger Geruch. Was hast du gesagt, wohin wir gehen?«

»Du wolltest die verantwortliche Person sprechen«, entgegnete die Gestalt, und ihre Knochenhand schloß sich um das Medaillon an ihrem Hals.

Die Landschaft veränderte sich. Es war, als erschiene jede Stadt, in der sich Tolpan aufgehalten hatte, und dann war sie es doch wieder nicht. Er konnte nichts sehen und hören, dennoch waren um ihn Geräusche und Bewegung.

Tolpan starrte auf die Gestalt neben sich, auf die sich bewegenden Ebenen, die sich im Jenseits oder über und unter ihm befanden, und er war völlig sprachlos.

Wenn jeder Kender auf dem Antlitz Krynns aufgefordert werden würde, die Plätze, die er am liebsten besuchen würde, aufzulisten, würde die Existenzebene, auf der die Königin der Finsternis lebte, auf vielen Listen zumindest an dritter Stelle rangieren. Aber nun war Tolpan Barfuß hier und stand im Warteraum der großen und schrecklichen Königin, befand sich an einem der interessantesten Plätze, die Menschen und Kendern bekannt waren, und er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie unglücklicher gefühlt.

Erstens war das Zimmer, in dem er bleiben sollte, wie der grauhaarige, schwarzgekleidete Kleriker ihm befohlen hatte, völlig leer. Es gab keine Tische mit interessanten kleinen Gegenständen, es gab keine Stühle, es gab nicht einmal Wände! In der Tat wußte er überhaupt nur, daß er sich in einem Zimmer befand, weil der Kleriker ihn angewiesen hatte, »im Wartezimmer zu bleiben«, und Tolpan plötzlich spürte, daß er in einem Zimmer war.

Aber soweit er es beurteilen konnte, stand er im völligen Nichts. Er war sich nicht einmal im klaren, wo es nach oben oder nach unten ging. Alles sah gleich aus – eine unheimliche, glühende, flammengleiche Farbe.

Er versuchte sich zu trösten, indem er sich immer wieder sagte, daß er die Dunkle Königin kennenlernen würde. Er rief sich Geschichten ins Gedächtnis, die ihm Tanis über seine Begegnung mit der Königin im Tempel von Neraka erzählt hatte.

»Ich war von unermeßlicher Dunkelheit umgeben«, hatte Tanis gesagt, und obgleich das Erlebnis schon Monate zurücklag, zitterte seine Stimme immer noch, »aber es schien sich mehr um eine Dunkelheit meiner eigenen Vorstellung zu handeln als um eine tatsächliche, körperliche Erscheinung. Ich konnte nicht atmen. Dann hob sich die Dunkelheit, und sie sprach zu mir, obgleich sie kein Wort sagte. Ich hörte sie in meinem Geist. Und ich sah sie in all ihren Gestalten – dem Fünfköpfigen Drachen, der Finsteren Kriegerin, der Schwarzen Verführerin der Nacht —, denn sie war auf der Welt noch nicht vollständig da. Sie hatte noch nicht die Kontrolle gewonnen.«