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Antje van Brouken hatte mit bewundernswürdiger Fassung zugehört. Jetzt senkte sie den Kopf und begann leise zu weinen.

»Aber ein Mensch kann doch nicht einfach verschwinden«, schluchzte sie. »Sie müssen ihn doch finden, wenn er weg ist -dafür sind Sie doch die Polizei ...«

Die Naivität Antjes rührte das Herz der beiden Kriminalisten. Brox stand auf, holte ein Glas Wasser und reichte es ihr hin.

»Wir müssen jetzt vor allem die Ruhe behalten«, sagte er fest. »Es heißt hier, nüchtern zu denken und keine unnützen Schritte zu machen.«

»Ich habe bereits mit der Chefbehörde in Amsterdam und Den Haag gesprochen und die Erlaubnis erwirkt, alles nur Erdenkliche zu unternehmen«, berichtete Felix Trambaeren. »Der Fall wurde mir persönlich übertragen. Es heißt jetzt vor allem, die Bevölkerung aufzurufen, um festzustellen, wo Herr van Brouken zuletzt gesehen worden ist. Wir müssen seine Spuren aufrollen und jeden seiner Schritte zurückverfolgen. Daraus lassen sich dann schon bestimmte Schlüsse ziehen. Dafür brauchen wir ein gutes Bild Ihres Gatten.«

Antje nickte und nestelte aus ihrer Handtasche eine Fotografie Pieter van Broukens. Die beiden Kriminalisten beugten sich sofort darüber und blickten auf ein glattrasiertes, typisches Alltagsgesicht mit dem zufriedenen, lächelnden Ausdruck eines hoffnungsvollen Beamten.

»Hatte Ihr Gatte besondere Kennzeichen?« fragte Tambaeren. »Eine Narbe? Eine Verwachsung? Ein Leberfleck?«

Antje nickte und wischte sich mit einem kleinen Taschentuch die Tränen aus den Augen

»Er hatte auf dem Rücken eine kleine Narbe, etwa auf dem linken Schulterblatt. Er war als Junge bei einer Radtour gestürzt und hatte sich den Rücken aufgerissen.«

»Eine Narbe? Das könnte uns schon helfen.«

Und dann folgte die übliche Beschreibung der Person mit allen Einzelheiten, mit den kleinen Details, die wichtig für eine Identifizierung sind. Seine besonderen Eigenheiten wurden notiert, sein bisheriger Lebenswandel wurde Punkt für Punkt durchleuchtet, bis vor den beiden Kriminalisten das Bild eines Menschen entstand, der kein Geheimnis mehr besaß außer seinem plötzlichen Verschwinden.

»Ich danke Ihnen herzlich, Frau van Brouken«, sagte Felix Trambaeren nach einer guten Stunde Verhör. »Gehen Sie jetzt nach Hause und vertrauen Sie auf uns. Wir werden alles, was in unseren Kräften steht, versuchen. Sollten wir etwas erfahren, so geben wir Ihnen durch einen unserer Beamten umgehend Nachricht.«

Als Antje van Brouken gegangen war, begannen die beiden Kriminalisten eine fieberhafte Tätigkeit.

Alle Amsterdamer Zeitungen wurden benachrichtigt.

An die Polizeidruckereien wurde Pieter van Broukens Signalement weitergegeben.

Nach einer Stunde schon surrten die Druckmaschinen mit den großen Steckbriefen.

Der Rundfunk wurde alarmiert und in Kenntnis gesetzt. Er unterbrach mit der Suchmeldung sofort sein Programm.

Doch trotz Steckbrief, Rundfunk und Zeitung blieb Pieter van Brouken verschwunden!

Dagegen meldete sich um die Mittagszeit des nächsten Tages, als Brox allein war und Trambaeren schnell in einem nahen Lokal zu Mittag aß, ein junges Mädchen, welches angab, den Mann, den das Bild in der Zeitung zeige und der nun plötzlich verschwunden sei, um 1/2 5 Uhr am Botanischen Garten auf der Heerengracht gesehen und sogar gesprochen zu haben.

Ferdinand Brox triumphierte. Endlich eine Spur. Endlich ein Fingerzeig!

Mit Elan stürzte er sich auf die Aussage des Mädchens.

»Sie heißen Hendrikje Varens?« fragte er freundlich. »Beruf Stenotypistin, Alter 19 Jahre, ledig, wohnhaft in Amsterdam, Bloemstraat 5.«

»Ja«, nickte das Mädchen. Sie war erfreut, einen so liebenswürdigen Beamten zu sehen, und die Angst vor der Polizei fiel langsam von ihr ab. Freier und gewandter begann sie zu sprechen.

»Sie haben Pieter van Brouken gestern abend gesehen?« fragte Brox weiter.

»Ja, auf der Heerengracht. Er lehnte sich gegen einen Baum; ihm schien übel oder schwindelig zu sein. Ich half ihm, sich auf eine Bank zu setzen.«

Ferdinand Brox blickte auf. In seine Augen trat ein Leuchten.

»Schwindelig war er, sagten Sie?« fragte er lebhaft und beugte sich interessiert vor. »Bitte, erinnern Sie sich an jede Einzelheit, jede Wahrnehmung kann Licht in das rätselhafte Dunkel bringen. Wie sah Herr van Brouken aus? Leidend, elend, oder schwitzte er?«

»Nein.« Das Mädchen dachte kurz nach. »Bleich war er, sehr bleich. Und schwitzen tat er auch - ja - ich führte ihn zur Bank und berührte dabei seine Wange. Es war kalter Schweiß. Man liest, daß so die Toten schwitzen oder die Sterbenden ... so genau weiß ich das nicht mehr ... Ich weiß nur noch, wie ich bei der Berührung zusammenschauderte.«

»Gut! Sehr gut!« Ferdinand Brox machte sich einige Notizen. Eine unbändige Freude durchrann seinen Körper.

»Kalter Schweiß und Schwindelanfälle. Was haben Sie sonst noch bemerkt?«

Fräulein Varens schaute vor sich auf die Diele rnd dachte nach.

»Ja«, sagte sie nach einiger Zeit, in der Brox den Fall logisch durchdachte. »Er klagte über einen Druck im Hinterkopf und sagte wörtlich: >Die Hitze bekommt mir nicht!<«

»Aha! Hatten Sie den Eindruck, daß es sich um einen Hitzschlag handelte?«

»Ich weiß nicht - ich kenne keinen Hitzschlag.«

»Natürlich.« Ferdinand Brox machte sich wieder Notizen. Mit größter Freundlichkeit diktierte er einem herbeigerufenen Polizisten das Protokoll und schob es dann Fräulein Varens zu. Langsam las sie das Schriftstück durch und unterschrieb es dann mit sichtlichem Ernst.

Brox strahlte und drückte dem Mädchen die Hand.

»Ich danke Ihnen«, rief er. »Ich glaube, mit Ihrer Aussage haben wir den Fall van Brouken auf die schnellste Art gelöst. Sollten Sie Ihre Aussage noch vervollständigen müssen, erhalten Sie von uns Nachricht.«

Mit diesem Verhör begann für Ferdinand Brox eine Glückssträhne, die ihm den Mittag vergoldete. Denn kaum hatte Fräulein Varens das Zimmer verlassen, meldete der diensttuende Wachtmeister weitere Zeugen in Sachen van Brouken.

Einer nach dem anderen betrat das Zimmer und beeidete schriftlich im Protokoll, daß er den abgebildeten Pieter van Brouken gestern abend von 1/2 5 bis 1/2 7 Uhr auf einer Bank am Botanischen Garten sitzend oder wie schwindelig oder übel an einem Baum lehnend gesehen hatte. Sie waren auf der Straße vorübergegangen und hatten nicht sonderlich auf den Mann geachtet. Einige sogar behaupteten, sie hätten gedacht, er sei betrunken.

Es waren acht Zeugen aller Altersklassen und Berufe.

Die Aussage Fräulein Varens war achtmal bestätigt.

Als der letzte Zeuge gegangen war, atmete Ferdinand Brox tief auf, lehnte sich zurück und schloß die Augen.

Das Rätsel war gelöst. Anders, als er erwartet hatte, aber immerhin noch auf einer psychologischen Basis.

Als Felix Trambaeren vom Mittagessen zurückkam, legte ihm Brox stumm die Protokolle vor. Erstaunt und immer wieder mit Kopfschütteln las der Inspektor die Aussagen und blickte dann fragend zu Ferdinand Brox.

»Und was folgern Sie aus diesen Aussagen?« fragte er leise in die Stille.

»Für mich ist der Fall klar. Auf Grund sensibler Komplexe plötzlich eintretender Trübsinn und Selbstmord durch Gift. Der in der Aussage von Fräulein Varens erwähnte Druck im Hinterkopf beweist es deutlich. Ich denke an Strychnin.«

Felix Trambaeren nickte.

»Und seine Leiche?«

»Ich vermute, er hat sich wieder von der Bank erhoben, ist zu einer Seitengracht gestolpert und hat sich mit letzter Kraft in das tiefe Wasser fallen lassen.«

Der Inspektor nickte wieder. Sein Gesicht war ernst.

»Benachrichtigen Sie bitte die unglückliche Gattin. Und an den Chefinspektor melden Sie: Fall Pieter van Brouken erledigt. Selbstmord. Motiv: Trübsinn.«

Ferdinand Brox nahm das Aktenstück auf und drückte Trambaeren die Hand.