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Und plötzlich wusste ich, dass ich in großer Gefahr war. Es war derselbe Instinkt, der mich auf der Kilmorden gewarnt hatte.

Ich blickte über meine Schulter. Völlige Stille. Ich tat wieder zwei Schritte – und wieder hörte ich das Rascheln. Im Gehen sah ich nochmals zurück. Aus dem Schatten hob sich die Gestalt eines Mannes ab, doch es war zu dunkel, um ihn zu erkennen. Ich sah nur, dass er groß und ein Weißer sein musste.

Er merkte, dass ich ihn entdeckt hatte, und sprang direkt auf mich zu. Ich lief um mein Leben; die weißen wiesen mir den Weg. Doch plötzlich trat mein Fuß ins Leere. Ich hörte den Mann hinter mir lachen, ein böses unheilvolles Lachen. Es hallte in meinen Ohren nach, als ich kopfüber in die Tiefe stürzte – tiefer, immer tiefer ins Nichts.

25

Mein Erwachen war langsam und schmerzhaft. Mein Kopf brummte, und scharfe Stiche durchzuckten meinen linken Arm, wenn ich ihn zu bewegen versuchte. Alles erschien mir unwirklich, wie ein böser Traum. Wieder hatte ich das Gefühl zu fallen. Einmal war mir, als beuge sich Harry Rayburn über mich. Dann zerfloss sein Gesicht wieder in der Dunkelheit. Irgendjemand hielt mir eine Schale an den Mund, und ich trank gierig. Ein schwarzes Gesicht grinste mich an wie ein Teufel. Ich schrie laut auf. Dann wieder Träume. Dunkle Fieberträume, in denen ich vergeblich versuchte, Harry Rayburn zu warnen. Wovor? Ich wusste es nicht. Doch rings um ihn lauerte Gefahr, und nur ich allein konnte ihn retten. Wieder zerfloss alles in Dunkelheit, doch diesmal in eine ruhige Zuversicht, und ich schlief ein, tief und fest.

Endlich kam ich zu mir, der lange Alpdruck war vorbei. Ich erinnerte mich wieder, was geschehen war: Meine Flucht aus dem Hotel, um Harry Rayburn zu treffen, der Mann im Schatten, und dieser letzte, entsetzliche Sturz ins Leere…

Auf wundersame Weise hatte ich mir nicht den Hals gebrochen. Ich war zerschlagen und sehr müde, aber ich lebte! Doch wo befand ich mich? Mühsam bewegte ich den Kopf und blickte mich um. Ich war in einem kleinen Raum mit rohen Holzwänden, an denen Tierfelle und Elfenbeinzähne hingen. Mein Lager war ebenfalls mit Fellen bedeckt. Mein linker Arm war verbunden. Erst glaubte ich allein im Zimmer zu sein, doch dann entdeckte ich, dass ein Mann zwischen mir und dem Fenster saß. Er drehte mir den Rücken zu und schien unbeweglich wie eine Holzfigur. Sein kurzgeschorener dunkler Kopf kam mir bekannt vor, aber ich wagte es nicht, meiner Einbildung zu trauen. Doch auf einmal wandte er sich um, und ich hielt den Atem an: Es war Harry Rayburn, wirklich und wahrhaftig.

Er erhob sich und trat neben mein Lager.

«Fühlen Sie sich jetzt besser?», fragte er etwas verlegen.

Ich konnte nicht antworten, die Tränen strömten über mein Gesicht.

«Nicht weinen, Anne! Bitte, nicht weinen. Sie sind in Sicherheit, niemand wird Ihnen etwas tun.»

Er holte eine Schale und hielt sie mir hin. «Trinken Sie etwas von dieser Milch.»

Gehorsam trank ich. Er redete weiter, in dem leisen, beruhigenden Ton, mit dem man zu einem Kind spricht.

«Stellen Sie keine weiteren Fragen; Sie müssen jetzt schlafen, Anne, dann werden Sie sich wieder kräftiger fühlen. Soll ich weggehen?»

«Nein!», flüsterte ich flehend. «O nein!»

«Dann bleibe ich bei Ihnen.»

Er holte einen kleinen Hocker und setzte sich neben mich. Ich spürte seine Hand auf der meinen, warm und besänftigend, und ruhig schlief ich wieder ein.

Es musste heller Tag sein, als ich erwachte; die Sonne stand hoch am Himmel. Ich war allein in der Hütte, doch als ich mich regte, erschien eine alte Negerin. Sie war hässlich wie die Sünde, aber sie lachte mich aufmunternd an, brachte Wasser in einer Schüssel und half mir, Gesicht und Hände zu waschen. Dann kam sie mit einem großen Teller voll Suppe, und ich aß, bis nichts mehr übrig war. Auf alle meine Fragen grinste sie nur, nickte und schnatterte in einer gutturalen Sprache, so dass ich annehmen musste, sie verstünde kein Englisch.

Plötzlich erhob sie sich und trat respektvoll zur Seite. Harry Rayburn war eingetreten. Er nickte ihr freundlich zu; sie zog sich zurück und ließ uns allein. Er lächelte mich an.

«Jetzt geht es Ihnen aber bedeutend besser!»

«Ja, doch ich bin sehr verwirrt. Wo bin ich eigentlich?»

«Auf einer kleinen Insel im Sambesi, etwa vier Meilen oberhalb der Victoriafälle.»

«Wissen meine Freunde, wo ich bin?»

Er schüttelte den Kopf.

«Wie lange bin ich schon hier?»

«Nahezu einen Monat.»

«Oh!», rief ich erschrocken. «Ich muss unbedingt Suzanne benachrichtigen. Sie wird in großer Angst um mich sein.»

«Wer ist Suzanne?»

«Mrs Blair. Ich wohnte mit ihr im Hotel, mit ihr und Colonel Race und Sir Eustace. Doch das wissen Sie ja.»

Er schüttelte den Kopf. «Ich weiß gar nichts – außer, dass ich sie in der Gabel eines Baums fand, ohnmächtig und mit einem ausgerenkten Arm.»

«Wo stand dieser Baum?»

«Er hing dicht über der Schlucht. Wenn sich Ihre Kleider nicht in den Ästen verfangen hätten, wären Sie in die Tiefe gestürzt.»

Ich schauderte. Dann kam mir ein schrecklicher Gedanke.

«Sie sagen, Sie hätten nicht gewusst, dass ich hier sei. Was hat es dann mit dem Brief auf sich?»

«Was für ein Brief?»

«Sie schrieben mir doch, ich sollte Sie bei der Lichtung an den Fällen treffen.»

Er starrte mich verblüfft an.

«Ich habe Ihnen keinen Brief geschrieben.»

Ich fühlte, dass ich bis zu den Haarwurzeln errötete. Glücklicherweise schien er es nicht zu bemerken.

«Wie kam es dann, dass Sie gerade im richtigen Moment dort auftauchten?» Meine Frage sollte möglichst leicht klingen. «Und was tun Sie überhaupt in dieser Gegend?»

«Hier wohne ich», sagte er schlicht.

«Auf dieser Insel?»

«Ja. Ich kam nach dem Krieg hierher. Manchmal fahre ich Gäste des Hotels in meinem Boot herum, aber das Leben kostet mich hier fast nichts, und meistens tue ich einfach, wozu ich Lust habe.»

«Sie leben ganz allein?»

«Ich habe nicht die geringste Sehnsucht nach Gesellschaft», versicherte er kalt.

«Oh, es tut mir Leid, dass ich Ihnen die meine aufgedrängt habe», erwiderte ich. «Doch mir scheint, ich hatte wenig zu sagen in dieser Angelegenheit.»

Zu meinem Erstaunen zwinkerte er vertraulich.

«Überhaupt nichts. Ich habe Sie über die Schultern geworfen wie einen Sack Kohlen und Sie in mein Boot getragen.»

«Sie haben mir aber immer noch nicht erklärt, wie es kam, dass Sie mich wie einen Sack abschleppen konnten?»

«Ich war an diesem Abend unruhig und nervös. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass etwas geschehen würde. Schließlich fuhr ich mit dem Boot zum Ufer, ging an Land und dann zu den Fällen hinüber. Da hörte ich Ihren Aufschrei.»

«Und weshalb haben Sie nicht versucht, Hilfe aus dem Hotel zu holen, statt mich den ganzen langen Weg hierherzuschaffen?» Sein gebräuntes Gesicht überzog sich mit tiefer Röte.

«Ich weiß, Sie müssen mich für unglaublich eigenmächtig halten, aber Sie machen sich immer noch nicht klar, in welcher Gefahr Sie schweben 1 Sie sind der Ansicht, ich hätte Ihre Freunde informieren sollen! Nette Freunde, die Sie in den Tod locken wollten. Nein, ich habe mir geschworen, dass ich besser auf Sie aufpassen werde. Hierher kommt keine Seele. Ich habe die alte Batani, die ich einmal vom Fieber kurierte, gebeten, mir bei Ihrer Pflege zu helfen. Sie ist treu und wird nie ein Wort verlauten lassen. Ich könnte Sie monatelang bei mir versteckt halten, ohne dass ein Mensch eine Ahnung davon hätte.»