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«Sie haben vollständig richtig gehandelt», sagte ich ruhig, «und ich werde auch niemanden benachrichtigen. Ein paar Tage machen keinen Unterschied mehr aus. Schließlich sind sie alle nur flüchtige Bekannte, selbst Suzanne. Und wer diesen Brief geschrieben hat, der muss sehr viel wissen. Das war nicht das Werk eines Außenstehenden.»

Ich brachte es fertig, die Worte des Briefs ohne Erröten zu wiederholen.

«Wenn Sie einen guten Rat von mir annehmen wollen…», sagte er zögernd.

«Ich bezweifle, dass ich das tun werde», meinte ich aufrichtig, «aber lassen Sie nur hören.»

«Sie folgen wohl stets Ihrem eigenen Kopf, Miss Beddingfeld?»

«Meistens», entgegnete ich vorsichtig. Zu jedem anderen Menschen hätte ich gesagt: «Immer!»

«Ihr Mann kann mir Leid tun», kam es unerwartet zurück.

«Dazu besteht keine Veranlassung. Ich werde nie heiraten ohne die ganz große Liebe. Und es gibt nichts Schöneres für eine Frau, als alles zu tun für den Mann, den sie liebt. Je eigenwilliger sie sonst ist, desto glücklicher wird sie dabei sein.»

«Da kann ich Ihnen nicht zustimmen; meistens ist es umgekehrt.» Seine Worte klangen verbittert.

«Leider!», rief ich eifrig. «Und deshalb sind so viele Ehen unglücklich. Immer sind die Männer daran schuld. Entweder lassen sie ihrer Frau jeden Willen, und dann werden sie von ihr verachtet. Oder sie sind maßlos selbstsüchtig und haben nie ein Wort des Dankes. Kluge Ehemänner wissen ihre Frau so zu leiten, dass sie alle ihre Wünsche erfüllt, und loben sie dann sehr dafür. Frauen ordnen sich gern unter, aber sie möchten wenigstens eine Anerkennung. Außerdem schätzen es die Männer gar nicht, wenn eine Frau immer unterwürfig ist. Wenn ich einmal heiraten sollte, werde ich meinem Mann von Zeit zu Zeit die Hölle heiß machen, damit er danach erkennt, was für ein Engel ich im Grunde bin.»

Harry lachte hellauf. Dann wandte er sich zur Feuerstelle um.

«Wollen Sie noch etwas Suppe haben?», fragte er.

«Ja, bitte. Ich bin hungrig wie ein Nilpferd.»

«Fein!»

«Sobald ich aufstehen kann, werde ich für Sie kochen», versprach ich.

«Sie werden wohl kaum viel davon verstehen.»

«Ich kann genauso gut die Sachen aus den Büchsen wärmen wie Sie», begehrte ich auf.

Er lachte wieder. Sein ganzes Gesicht wandelte sich, wenn er lachte. Er wurde kindlich froh, ein völlig neuer Mensch.

Die Suppe schmeckte herrlich. Während des Essens erinnerte ich ihn daran, dass er mir seinen guten Rat noch schuldete.

«Richtig! Ich bin der Meinung, Sie sollten sich vorerst hier ganz ruhig verhalten, bis Sie sich gründlich gestärkt haben. Ihre Feinde glauben, dass Sie tot sind. Dass Ihr Körper nicht gefunden wurde, kann sie nicht erstaunt haben. Sie wären auf den Felsen zerschmettert worden, und der Strom hätte Sie mit fortgerissen.»

Ich erschauderte bei dem Gedanken daran.

«Sobald Sie wieder bei Kräften sind, können Sie ruhig und unbehelligt nach Beira fahren und dort ein Schiff nach England nehmen.»

«Nein, so gefügig bin ich nicht!», entgegnete ich wütend.

«Eigensinnig wie in Kind!» Er schüttelte den Kopf und ging hinaus.

Meine Genesung machte rasche Fortschritte. Die beiden Verletzungen, die ich davongetragen hatte, waren ein Loch im Kopf und ein verstauchter Arm. Der Arm brauchte länger zur Heilung; zuerst hatte mein Retter geglaubt, er sei gebrochen. Doch eine genaue Untersuchung hatte ergeben, dass dem nicht so war, und obwohl ich immer noch Schmerzen hatte, ging es mir doch von Tag zu Tag besser.

Es war eine seltsame Zeit. Ich bestand darauf, mit meinem gesunden Arm so gut wie möglich zu kochen. Harry war oft fort, doch dann lagen wir wieder stundenlang im Schatten der Palmen vor der Hütte, plauderten und stritten und versöhnten uns. Wir zankten uns sehr häufig, und doch wuchs zwischen uns eine echte und dauerhafte Freundschaft, wie ich sie nie für möglich gehalten hätte. Freundschaft – und noch etwas anderes.

Mit Riesenschritten näherte ich mich dem Tag, an dem ich kräftig genug sein würde, um fortzugehen. Der Gedanke daran machte mir das Herz schwer. Würde er mich wirklich ziehen lassen? Ohne ein Wort, ohne ein Zeichen? Manchmal hatte er schweigsame Phasen, manchmal Momente, in denen er aufsprang und einfach davonlief. Und eines Abends kam die Krisis. Wir hatten unser einfaches Mahl beendet und saßen auf der Schwelle der Hütte. Die Sonne sank bereits.

Haarnadeln gehörten zu den Dingen, die mir Harry nicht verschaffen konnte; mein Haar hing offen herunter. Ich stützte mein Kinn in die Hand und fühlte, wie Harry mich anblickte.

«Sie sehen aus wie eine kleine Hexe, Anne», sagte er schließlich, und in seiner Stimme klang ein Ton mit, den ich noch nie gehört hatte.

Er streckte die Hand aus und berührte mein Haar. Plötzlich sprang er auf. «Morgen müssen Sie von hier fort, Anne», rief er. «Sie wissen schließlich selbst, dass dies nicht ewig so weitergehen kann.»

«Nein, wahrscheinlich nicht», sagte ich langsam. «Wenn Sie wollen, dass ich gehe, gehe ich morgen. Doch wenn Sie möchten, dass ich bleibe, dann bleibe ich!»

«Führen Sie mich nicht in Versuchung, Anne!», rief er. «Wissen Sie denn, wer ich bin? Ein Verbrecher, der von der Polizei gehetzt wird – ein Verfolgter. Man kennt mich hier als Harry Parker, und die Leute glauben, ich hätte einen weiten Treck durch das Land gemacht. Aber eines Tages zählen sie vielleicht zwei und zwei zusammen – und dann ist es mit einem Schlag aus. Anne, Sie sind so jung und schön. Die ganze Welt steht Ihnen offen – Liebe, Leben, alles. Mein Leben liegt hinter mir, versengt, zerstört…»

«Wenn Sie mich nicht brauchen…»

«Sie wissen, wie sehr ich Sie brauche! Sie wissen, dass ich mein Seelenheil dahingäbe, um Sie für immer hierzubehalten. Aber ich muss Sie retten – vor sich selbst und vor mir. Sie werden noch heute fortgehen. Sie werden nach Beira fahren…»

«Ich gehe niemals nach Beira», unterbrach ich ihn.

«Sie werden! Und wenn ich Sie selbst hinschleppen müsste. Glauben Sie, ich will jede Nacht mit der fürchterlichen Angst erwachen, dass man Sie vielleicht wieder erwischt hat? Sie müssen nach England zurückkehren, Anne – und heiraten und glücklich sein.»

«Und was geschieht mit Ihnen?»

Sein Gesicht wurde hart.

«Ich habe mein Werk zu vollenden. Fragen Sie mich nicht danach; wahrscheinlich können Sie es erraten. Eines kann ich Ihnen sagen: Ich will meinen Namen reinwaschen oder daran sterben. Und ich werde den Mann umbringen, der versuchte, Sie zu ermorden.»

«Wir müssen gerecht sein, er hat mich eigentlich nicht in den Abgrund gestoßen.»

«Das hatte er gar nicht nötig. Ich bin später dem Pfad gefolgt. Alles sah ganz harmlos aus, doch ich konnte an den Zeichen deutlich sehen, dass die Markierungssteine und versetzt worden waren, so dass sie direkt zum Abgrund hinführten.»

Er hielt inne und fuhr dann in völlig verändertem Ton fort: «Wir haben nie davon gesprochen, Anne, aber jetzt ist die Zeit gekommen, da Sie meine ganze Lebensgeschichte hören sollen – von Anfang bis Ende.»

«Wenn es Ihnen wehtut, von der Vergangenheit zu sprechen, dann lassen Sie es», sagte ich leise.

«Ich möchte, dass Sie alles wissen.»

Einige Zeit saß er schweigend da. Die Sonne war untergegangen, und der samtene Mantel der afrikanischen Nacht hüllte uns ein.

«Einiges weiß ich bereits», sagte ich zaghaft.

«Und was?»

«Ihr wirklicher Name ist Harry Lucas.»

26

«Sie haben Recht», begann er, «mein Name ist Harry Lucas. Mein Vater übernahm als ehemaliger Offizier eine Farm in Rhodesien. Er starb, als ich mein zweites Jahr in Cambridge verbrachte.»

«Haben Sie ihn sehr geliebt?», wollte ich wissen.

«Warum fragen Sie das, Anne? Natürlich liebte ich meinen Vater. Wir sagten uns bittere Dinge, als wir uns zum letztenmal sahen, und wir hatten oft Streit wegen meines ausgelassenen Lebens und meiner Schulden, aber ich hing sehr an dem alten Mann.