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Herbert W. Franke

Der Orchideenkäfig

Herbert W. Franke

Der Orchideenkäfig

Wilhelm Goldmann Verlag

Auflage Juni 1963 • 1.-20. Tsd.

vom Autor völlig neu- 21.-30. Tsd.

überarbeitete Ausgabe Februar 1982

Made in Germany 1982

© 1961 by Wilhelm Goldmann Verlag, München

Umschlagentwurf:

Atelier Adolf & Angelika Bachmann, München

Umschlagillustration: Andreas Nottebohm, München Gesamtherstellung:

Mohndruck Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh

Verlagsnummer: 23018

Lektorat: Peter Wilfert • Herstellung: Peter Papenbrok

ISBN 3-442-23018-7

Vom Autor überarbeitete neue Ausgabe des deutschen Klassikers der SF-Literatur.

Der erste Versuch

1

Immer sind es erregende Sekunden, wenn das Bewußtsein auf einem fremden Planeten erwacht. Wie auf ein Zeichen beginnt sich das Bild aufzubauen, Partie um Partie taucht aus dem Nichts, Detail reiht sich an Detail – manchmal in weichen Wellen, manchmal hart und schlagartig. Über allem liegt die prickelnde Erwartung unvorstellbarer Ereignisse. Was würde es diesmal sein, dem sie sich ausliefern mußten: vielleicht etwas übermenschlich Gewaltiges, vielleicht etwas tödlich Grausames?

Als erstes spürte Al den Geruch von Thymian. Er lag in einer Wiege von würzigem Duft, eingebettet in leises Rauschen und gestaltlose Dämmerung. Sachte drang das Gefühl der Schwere in ihn ein; und er spürte, wie ihn etwas hob und trug, und wieder niedergleiten ließ. Wohlige Wärme breitete sich über ihn. Aus dem Rauschen lösten sich leise knatternde Geräusche. Die Dämmerung wurde orangerot. Wie vom Wind gehoben, lösten sich die letzten Schleier. Das Wünschen und Fragen erwachte.

Al richtete sich auf. Mit einem Gefühl der Zufriedenheit, in das sich ein Anflug Enttäuschtsein mischte, stellte er fest, daß er sich wohl fühlte. Es gab keine sengende Hitze, keine elektrischen Entladungen, keine ihn beschnuppernden Saurier. Es gab keine offensichtliche Gefahr. Die Spannung wich von ihm. Er sah sich aufmerksam um.

Er saß neben der Baracke auf einer Schaumgummimatte. Das Knattern drang aus der Tür des Maschinenraums. Ein Robotwägelchen rollte über die eingeebnete Fläche, einen Schweißbrenner in den Greifzangen. Der Schatten der Relaisantenne lag als Maschenwerk darüber und kroch in seltsamen Verzerrungen an der automatischen Apparatur herauf und auf der anderen Seite wieder hinunter.

Al hatte noch mit einer gewissen Trägheit zu kämpfen. Jedesmal schmerzten die Muskeln ein wenig, wenn er sich regte. Auf seinem Gehirn lastete ein dumpfer Druck. Aber von Atemzug zu Atemzug fühlte Al sich beweglicher, freier, tatendurstiger. Er stand auf, ging in die Kniebeuge und reckte sich hoch. Er knöpfte den Kragen seines gelben Buschhemds auf und sog die Luft in vollen Zügen ein. Der Platz ist gut, dachte er. Don hat richtig gewählt.

Die Baracke lag etwa hundert Meter über dem Tal. Gleich daneben hatten die Automaten einen Sendemast aufgestellt. Fünfzig Meter seitlich davon, auf gleicher Höhe, stand der Hangar für den Hubschrauber. Das Auffälligste von allem war der Krater, aus dem die Rohstoffe stammten. Wie eine offene Wunde saß er im Boden, die Ränder aufgewölbt und blutrot gefärbt von oberflächennahen Verwitterungsschichten, das Innere grauschwarz. Hinter der Baracke stieg das Gebirge auf, unten dehnte sich eine Landschaft mit tausend flachen Hügeln und tausend kleinen Seen. Über allem lag der orangerote Schimmer einer fremden Sonne.

Die Schiebetür des Wohnraums der Baracke glitt auf, ein Wagen fuhr heraus, den Körper Katjas auf seinem Rücksitz. Mit Dutzenden feinfühliger Greifzangen bettete der Robotwagen das Mädchen auf die Matte, auf der Al vor kurzer Zeit erwacht war. Auch Katja war im Begriff, das Bewußtsein zu erlangen. Immer wieder lief ein leichtes Zucken durch ihre Glieder.

»Wo ist Don?« fragte Al.

Der Robotwagen blieb stehen. »Er schläft noch«, klang es aus seinem Lautsprecher.

Al scheuchte ihn mit einer Handbewegung fort. »Mach weiter!« befahl er.

Don schlief also noch, und Katja erwachte. Don und Katja waren von der Kommission für Genetik als Paar zugelassen und würden einmal ein Kind haben. Dadurch waren die beiden miteinander in Verbindung gekommen. Don hatte Katja in den Kreis seiner Freunde eingeführt. Sie war ein guter Kamerad und hatte bei allen Spielen munter mitgetan. Dabei störte Al nur eines: daß Don sie als eine Art Besitz behandelte und sich das Recht herausnahm, ihr Vorschriften zu machen. Mit leichter Schadenfreude malte er sich aus, wie Don reagieren würde, wenn er als letzter erwachte.

»Hallo, Don!«

Die Stimme klang so leise, daß Al sie kaum vernahm.

»Kat!« rief er. »Ich bin’s: Al!« Durch einen schnellen Blick überzeugte er sich davon, daß sein khakibraunes Tropenjackett gut saß, und strich die dunkelblonden Haare zurück.

Katja lag auf der Matte und versuchte sich aufzusetzen. Al kniete neben ihr nieder, schob die Hand unter ihren Rücken und stützte sie. Sie blinzelte zwischen den Lidern hindurch.

»Scheußlich, dieses Licht«, flüsterte sie.

»Wie geht’s?« fragte Al.

»Ich hab’s überstanden. Ich glaube… mir geht’s ganz gut.«

»An das Licht gewöhnst du dich«, erklärte Al. »Bald merkst du nicht mehr, daß es orange ist. Es wird weiß. Alles bekommt normale Farben. Dann schaut es hier nicht viel anders aus als auf der Erde.«

»Aber der Himmel«, sagte Katja. »Der Himmel–«

»Auch der Himmel wird blau – warte nur ab. Es geht ganz von selbst. Es ist, als ob sich ein Nullpunkt auf einer Skala verschöbe.«

Seltsam, dachte Al, die schmutziggraue Färbung des Himmels hat mich überhaupt nicht gestört. Wahrscheinlich empfinden Frauen anders.

Er beobachtete Katja. Ihre blonden Haare bewegten sich im Wind. Das Mädchen war noch etwas blaß; ihre Blässe unterstrich die leicht vorstehenden Backenknochen, die ihr ein exotisches Aussehen gaben. Die dunkelblauen Augen waren halb unter den Lidern verborgen. Katja trug rote Jeans und eine schwarze Lederjacke über einem schwarzen Pullover. Sie erholte sich schnell. Ihre Bewegungen wurden zielbewußter, ihr Blick klarer.

»Fein, Al«, sagte sie, »fein, daß ich dabeisein darf! Es ist das erstemal. Sei nicht böse, wenn ich mich ungeschickt anstelle.«

Sie lächelte ein wenig verlegen und kam Al noch netter vor als früher. »Aber was ist mit Don?«

Wieder versuchte sie aufzustehen, doch Al hielt sie zurück.

»Schone dich noch!« bat er. »Ich sehe nach.« Er ging zur Baracke und trat durch die Tür. Der Helligkeit der Außenwelt gegenüber erschien es ihm hier düster. Er tastete nach einem Schalter und schob den Hebel hinunter. In grellem Weißblau flutete das Licht auf. Unglaublich primitiv hier, dachte Al, und dieser Eindruck verstärkte sich, als er sich umsah. Alles war auf Platzersparnis ausgerichtet. Rechts bot ein Fenster Aussicht ins Tal, darunter standen ein Tisch und drei Hocker. In die Stirnwand eingeschnitten war die Tür zum Maschinenraum, der übrige Flächeninhalt war durch Fächer unterteilt; sie enthielten die wichtigsten Werkzeuge. Alles nicht unmittelbar Erforderliche mußte durch die Automaten eigens angefertigt werden. An die Wand links waren drei Liegestätten übereinander montiert. Auf der mittleren lag Don. Sein großer, schwerer Körper war tief in die Luftmatratze gesunken. Die Decke reichte dem Schläfer bis zum Mund. Von Dons etwas grobem Gesicht lag nur die Nasenpartie frei; die Stirn war von kurzen schwarzbraunen Haarfransen versteckt. Er atmete schon.