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„Der Kerl klaut Regenschirme, wo er sie sieht, und macht sich aus dem Staub. Ein gesunder junger Mann, gut gekleidet, und stiehlt Regenschirme, anstatt einem anständigen Beruf nachzugehen. Eine Schande. Vor zwanzig Jahren hat es in unserem Land keine solchen Leute gegeben."

Alle stimmten ihr zu.

„Polizei", rief jemand, „man muß ihn der Polizei übergeben."

Die Haltung der Menge wurde immer drohender. Mir blieb keine andere Rettung, als zum Ausgang zu flüchten und so schnell wie möglich den Bus zu verlassen.

Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung kämpfte ich mir den Weg frei und sprang hinaus in den Regen.

Schützend hob ich die Hände über meinen Kopf... Die Hände? Beide Hände?

Seither sind in einem Wagen der Autobuslinie 5 drei Regenschirme auf dem Weg in die Ewigkeit.

Ich stand mit geschlossenen Augen im Regen und rührte mich nicht. Das Wasser lief mir in den Kragen, durch meine Unterwäsche, in meine Schuhe. Ich blieb stehen und wartete, bis die Sintflut kommen würde oder besseres Wetter.

Der quergestreifte Kaugummi

Wir hatten uns zu einer Erholungsreise entschlossen, meine Frau und ich, und machten uns an die Ausarbeitung eines genauen Reiseplans. Alles klappte, nur ein einziges Problem blieb offen: Was sollen wir den Kindern sagen? Nun, Rafi ist schon ein großer Junge, mit dem man vernünftig reden kann. Er begreift, daß Mami und Papi von der Königin von England eingeladen wurden, und daß man eine solche Einladung nicht ablehnen darf. Das ging also in Ordnung. Aber was machen wir mit Amir? Er ist noch so klein und möchte uns am liebsten dauernd um sich haben.

Ich besprach das Problem beim Mittagessen mit meiner Frau, und wir beschlossen, offen mit Amir zu reden.

„Weißt du, Amirlein", begann meine Frau, „es gibt so hohe Berge in -"

„Nicht wegfahren!" Amir stieß einen schrillen Schrei aus. „Mami, Papi nicht wegfahren! Amir nicht allein lassen!"

Tränen strömten über seine zarten Wangen.

„Wir fahren nicht weg!"

Beinahe gleichzeitig sprachen wir es aus, gefaßt, tröstend, endgültig.

Damit schien das Problem gelöst.

Doch am nächsten Morgen beschlossen wir, trotzdem zu fahren. Wir lieben unseren Sohn Amir, aber wir lieben auch Auslandsreisen sehr. Und wir wollten uns von dem Kind nicht um jedes Vergnügen bringen lassen.

Wir wandten uns an einige Leute aus unserem Bekanntenkreis, die viel von Kindern verstehen. Diese gaben uns den Rat, Amir von unserer Reise zu erzählen. Auf keinen Fall sollten wir heimlich die Koffer packen und abfahren.

Zu Hause angekommen, holten wir die beiden großen Koffer vom Dachboden, klappten sie auf und riefen Amir ins Zimmer.

„Amir", sagte ich mit klarer, kräftiger Stimme, „Mami und Papi -"

„Nicht wegfahren!" brüllte Amir. „Amir nicht ohne Mami und Papi lassen! Nicht wegfahren!"

Amir klammerte sich an mich und schluchzte laut.

Wir waren selbst nahe daran, in Tränen auszubrechen. Was hatten wir da angerichtet, um Himmels willen?

„Steh nicht herum wie ein Idiot!" ermahnte mich meine Frau. „Bring ihm einen Kaugummi!"

Amirs Schluchzen hörte sofort auf.

„Kaugummi? Papi bringt Amir Kaugummi aus Europa?"

„Ja, mein Liebling, ja, natürlich. Kaugummi. Viel, viel Kaugummi. Mit Streifen!"

Amir strahlte übers ganze Gesicht:

„Kaugummi mit Streifen, Kaugummi mit Streifen! Papi wegfahren! Amir Kaugummi aus Europa holen! Ganz viel Kaugummi mit Streifen. Papi schnell wegfahren!"

Amir hüpfte durchs Zimmer und klatschte in die Hände: „Papi wegfahren! Mami wegfahren! Beide wegfahren! Schnell, schnell! Warum Papi noch hier? Warum, warum..."

Er fing wieder an zu weinen.

„Wir fahren ja, Amir, mein Liebling", beruhigte ich ihn. „Wir fahren sehr bald."

„Nicht bald! Papi und Mami jetzt gleich wegfahren!"

Und aus diesem Grund fuhren wir ein paar Tage früher ab, als wir geplant hatten.

In Rom bestiegen wir das Flugzeug, um nach Hause zu fliegen. Uns war seltsam unbehaglich zumute. Wir hatten irgend etwas vergessen. Was war es denn nur? Was, um Himmels willen...

„Ich hab's!" rief meine Frau plötzlich. „Der gestreifte Kaugummi. Wir haben den gestreiften Kaugummi vergessen!"

Ich erschrak und versuchte, meine Frau zu trösten, der es ähnlich ergangen war.

„Vielleicht", stotterte ich, „vielleicht erinnert sich Amir nicht mehr..." Aber daran glaubte ich selbst nicht.

Während der kurzen Zwischenlandung in Athen liefen wir von Kiosk zu Kiosk, um Kaugummi zu kaufen. Aber es gab keinen. Das einzige, was man uns für ein Kind in Amirs Alter anbot, war eine zwei Meter große Stoffgiraffe. Wir nahmen sie mit.

Zwei Stunden später landeten wir auf dem Flughafen von Tel Aviv. Als wir von fern unsere beiden Söhne erspähten, die uns hinter der Sperre erwartungsvoll entgegenschauten, wurden wir nervös. Mit Rafi würde es keine Schwierigkeiten geben, er war schon ziemlich vernünftig. Aber wie stand es mit Amir?

Wir hoben ihn hoch, umarmten ihn, stellten ihn behutsam wieder auf den Boden. Und während ihm seine Mutter vorsorglich über die Locken strich, fragte ich ihn:

„Na? Haben wir dir die Stoffgiraffe mitgebracht oder nicht?"

Amir gab keine Antwort. Er schaute zuerst die Giraffe an, dann uns. Es schien, als wären wir ihm völlig fremd, als hätte er uns vergessen. Im Auto saß er stumm auf den Knien seiner Großmutter und starrte vor sich hin. Erst als wir uns unserer Wohnung näherten, fragte er: „Wo ist der Kaugummi?"

Ich brachte kein Wort heraus. Auch meine Frau seufzte nur leise. Dann faßte sie Mut und sagte beruhigend:

„Der Onkel Doktor... weißt du, Amir lein... der Onkel Doktor sagt, gestreifter Kaugummi ist schlecht fürs Bauchi...ungesund, weißt du..."

Amirs Antwort erfolgte so plötzlich und in einer solchen Lautstärke, daß der Taxifahrer das Steuer verriß.

„Onkel Doktor blöd, Onkel Doktor ekelhaft!" brüllte Amir. „Papi und Mami pfui! Amir will Kaugummi haben. Gestreiften Kaugummi."

Jetzt mischte sich die liebe Oma ein: „Wirklich, warum habt ihr dem Kind keinen Kaugummi mitgebracht?"

Nach diesen Worten schrie Amir noch lauter. Zu Hause angekommen, fragte ich ihn:

„Na, Amir, mein Sohn? Womit werden wir denn die Giraffe füttern?"

„Mit Kaugummi", antwortete Amir, „mit gestreiftem Kaugummi."

Ich beschloß, es anders zu versuchen und Amir die Wahrheit zu sagen. Ich wollte ihm gestehen, daß wir den Kaugummi vergessen hatten, ganz einfach vergessen.

„Papi hatte auf dieser Reise sehr viel zu tun, und er hatte keine Zeit, Kaugummi zu kaufen", begann ich.

Amirs Gesicht verfärbte sich. Um zu verhindern, daß er wieder zu brüllen anfing, erzählte ich ihm:

„Aber die Königin von England hat mir fünf Kilo Kaugummi für dich mitgegeben. Sie stehen im Keller. Gestreifter Kaugummi für Amir in einem gestreiften Karton. Aber du darfst nicht hinuntergehen, hörst du? Sonst kommen Krokodile und fressen dich auf. Krokodile sind ganz verrückt nach Kaugummi. Wenn sie erfahren, daß in unserem Keller so viel Kaugummi liegt, fliegen sie sofort los - moderne Krokodile haben Propeller, weißt du - und suchen unseren Keller. Dann kommen sie ins Kinderzimmer und schnappen nach dir. Willst du, daß Krokodile in unser Haus kommen?"

„Ja!" jauchzte Amir. „Gestreifte Krokodile. Wo sind die Krokodile? Wo?"