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Noch ein paar Stunden, und dann erwartet die ISD-Schlangen der Schock ihres Lebens, dachte Drakon. Zweihundert Jahre lang haben sie willkürliche Verhaftungen und Durchsuchungen vorgenommen. Jetzt bin ich gespannt, wie es ihnen gefällt, der Willkür anderer ausgesetzt zu sein.

Es wäre schön gewesen, jetzt sofort losschlagen zu können, doch Drakon wusste, dass dieser Prozess wie eine endlos lange Reihe aus Dominosteinen war, bei der ein Stein nach dem anderen umfallen musste und nicht einfach ein Teil der Reihe übersprungen werden konnten. Sensoren, Spionage- und Überwachungsanlagen mussten überall auf dem Planeten getäuscht oder umgangen werden. Die loyal zu Drakon stehenden Truppen mussten in Stellung gehen, während sich der Aufstand formierte, ohne dass diejenigen etwas davon bemerkten, die nach wie vor in der Lage waren, Verheerungen auf dieser Welt anzurichten, sollten sie nicht von den Ereignissen überrascht und überrollt werden. Also hielt er sich genau an den Plan, der vor Monaten in Gang gesetzt worden war und der schon bald deutlich an Fahrt zunehmen würde.

Aus diesem Grund trug Drakon auch seinen CEO-Anzug, so wie man es von einem loyalen CEO erwarten durfte, auch wenn er das Ding am liebsten verbrannt hätte. Sein Erscheinungsbild ließ es einen normalen Bürger nicht erkennen, ob er im Bereich Herstellung, Verkauf, Verwaltung oder in irgendeiner anderen Sparte des integrierten Systems aus Wirtschaft, Militär und Politik eine Führungsposition innehatte. Nachdem er fast sein ganzes Leben bei den Bodenstreitkräften zugebracht und bei der Führung der Truppen sein Leben riskiert hatte, gefiel es Drakon nicht, dass man ihn nicht von einem Mann unterscheiden konnte, der genauso lange lediglich in der Werbebranche tätig gewesen war. Einmal hatte er sogar die Demütigung hinnehmen müssen, mit einem Anwalt verwechselt zu werden.

Aber er wusste auch, dass er jetzt nicht von der Routine abweichen durfte, wenn er nicht riskieren wollte, dass der ISD hellhörig wurde. Zügig, aber äußerlich scheinbar unbekümmert ging er an den Ladenlokalen vorbei nach draußen. Dort führte ihn der Weg an einem unscheinbaren Gebäude entlang, in dem sich eine geheime Relaisstation des ISD befand. Es erforderte eine gewisse Übung, völlig gelassen zu wirken, wenn man an denjenigen vorbeiging, die über die Einhaltung der Gesetze wachten, und man sich in Wahrheit etwas Gravierendes hatte zuschulden kommen lassen. Allerdings hatte es noch niemand bis zum CEO gebracht, wenn er auf diesem Gebiet nicht über ein hohes Maß an einschlägiger Erfahrung verfügte.

Die ihm auf der Straße begegnenden Bürger machten ihm automatisch Platz, sobald sie sahen, dass sie einen CEO vor sich hatten. Manche von ihnen waren sehr eifrig um einen Blickkontakt bemüht, weil sie darauf hofften, dass ein CEO von ihnen Notiz nahm, aber mindestens genauso viele waren darauf bedacht, gar nicht erst auf sich aufmerksam zu machen. Die Bürger der Syndikatwelten machten ihre eigenen Erfahrungen mit der Obrigkeit, und dazu gehörte auch die Erkenntnis, dass es eine zweischneidige Angelegenheit sein konnte, die Aufmerksamkeit eines CEO auf sich zu lenken; vielleicht war es von Vorteil, womöglich zog das Interesse eines CEOs aber auch katastrophale Folgen nach sich.

Als Drakon diese Bürger beobachtete, die sich tatsächlich vor ihm fürchteten oder ihn – mit vermutlich vorgetäuschter – Unterwürfigkeit anhimmelten, musste er über Malins letzte Bemerkungen nachdenken. Was würde als Nächstes kommen? Er war vollauf damit ausgelastet gewesen, sich einen Weg zu überlegen, wie er die Schlangen töten konnte, ohne dabei den halben Planeten in die Luft zu jagen. Auch seine Aussage, er habe noch keine Gelegenheit gehabt, mit Iceni über die Situation zu reden, traf zu. Selbst ihre wenigen, kurzen Treffen hatten ein fast schon zu großes Risiko dargestellt. Umständlich hatten sie mit verschlüsselten Sätzen und ablenkenden Worten die Vereinbarung umreißen müssen, gemeinsam die Schlangen unschädlich zu machen und so dem Sternensystem eine Chance zu geben, den allgemein um sich greifenden Zusammenbruch der Syndikat-Regierung zu überleben. Midway würde entweder in den Todeskampf der Syndikatwelten hineingezogen werden oder aber sich von dieser Tyrannei befreien.

Aber was kam danach? Er war nur mit der Art der Syndikat-Regierung vertraut. Und die war gescheitert, wie Malin zutreffend gesagt hatte. Aber wie hielt man die Dinge sonst am Laufen, ohne dass alles auseinanderbrach? Etwa so, wie man es in der Allianz machte? Darüber hatte er nur wenig in Erfahrung bringen können, aber das Wenige genügte, um sein Misstrauen zu wecken.

Drakon schüttelte den Kopf und setzte eine finstere Miene auf, was die Bürger in seiner unmittelbaren Nähe dazu veranlasste, mitten in der Bewegung zu verharren, als habe ein Kaninchen eine Schlange gesehen und hoffe darauf, durch völlige Reglosigkeit unbemerkt bleiben zu können. Er konnte es sich momentan nicht leisten, über die Leute oder darüber nachzudenken, was der Syndikat-Herrschaft nachfolgen sollte. Vielmehr musste er einen klaren Kopf bewahren, damit er sich ganz darauf konzentrieren konnte, auch noch den Rest des Tages lebend zu überstehen.

Etliche Bürger warfen ihm verwunderte Blicke zu, was wohl daran lag, dass er als CEO nicht mit ein paar Leibwächtern unterwegs war, die für freie Bahn sorgten. Allerdings war es auch nicht so ungewöhnlich, einen CEO ohne Begleitung auf der Straße zu sehen. Schon vor Monaten hatte Drakon damit begonnen, das zu seiner neuen Gewohnheit zu machen. In diesem Zug hatte er bei den richtigen Leuten beiläufige Bemerkungen fallen lassen, er könne sehr gut auf sich aufpassen und benötige keine Leibwächter – bei den Leuten, von denen er wusste, dass sie diese Äußerungen an die Innere Sicherheit weitergeben würden. Die Schlangen würden sich nicht über das arrogante und selbstsichere Auftreten eines CEO wundern. Drakon selbst fühlte sich im Übrigen aufgrund seiner militärischen Ausbildung und wegen der in seinem Anzug versteckten Ausrüstung wirklich in der Lage, den meisten Bedrohungen die Stirn bieten zu können, solange er nicht in irgendeine Routine verfiel, die Anschläge auf ihn planbar machte.

Fünfzehn Minuten dauerte es, bis er endlich das Büro von CEO Gwen Iceni erreicht hatte, der Seniorvertreterin der Syndikatwelten im Midway-Sternensystem. Aber Malin hatte völlig recht gehabt: Jede Nachricht konnte abgefangen werden, jeder Code ließ sich knacken. Wenn der ISD jetzt von ihren Plänen erfuhr, also an einem Punkt, da Drakon viel zu tief in die Sache verstrickt war, als dass er noch einen Rückzieher hätte machen können, würde die Entdeckung eine Katastrophe auslösen.

Trotz der Waffen, die er verborgen bei sich trug, wurde er von allen menschlichen Bewachern und sämtlichen automatischen Sicherheitssystemen durchgewinkt, die auf mehrere Ebenen verteilt den Schutz von Iceni gewährleisten sollten. Falls Iceni doch vorhatte, ihn zu hintergehen, würde sie das vermutlich erst machen, nachdem seine Streitkräfte sich der Schlangen angenommen hatten, die von der Bildfläche verschwunden sein mussten, ehe die nächsten Schritte in Angriff genommen werden konnten. Es war anzunehmen, dass sie umgekehrt zu dem gleichen Schluss gekommen war, er werde bis auf Weiteres nichts gegen sie unternehmen, da sie erst einmal die mobilen Streitkräfte im System loswerden musste.

Dennoch kosteten die Sicherheitsvorkehrungen Zeit, die er eigentlich nicht erübrigen konnte, weshalb er Mühe hatte, Iceni nichts von seiner Verärgerung spüren zu lassen, als er ihr Büro betrat.