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»Mutter«, sagte ihr mittlerer Sohn. »Mutter, ich glaube, du weinst in einem Traum. Wach auf.«

Sie wachte auf.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte er. Er war ein guter Junge, und sie wollte ihn nicht allein lassen.

»Ich muß eine Reise unternehmen«, sagte sie.

»Wohin?«

»An einen fernen Ort, doch ich werde zurückkommen, falls die Überseele es zuläßt.«

»Warum mußt du gehen?«

»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Die Überseele hat mich gerufen, und ich weiß nicht, warum. Dein Vater arbeitet bereits auf den Feldern. Sage es ihm nicht, bis er zum Nachmittagsmahl nach Hause kommt. Bis dahin werde ich zu weit fort sein, als daß er mich verfolgen könnte. Sage ihm, daß ich ihn liebe und zu ihm zurückkehren werde. Wenn er mich nach meiner Rückkehr bestrafen will, werde ich mich seiner Strafe gern unterwerfen. Denn ich möchte lieber hier bei ihm sein und bei unseren Kindern, als eine Königin in irgendeinem anderen Land.«

»Mama«, sagte der Junge, »ich weiß seit einem Monat, daß du gehen wirst.«

»Woher weißt du das?« fragte sie. Und einen Augenblick lang befürchtete sie, daß auch er mit der Stimme der Überseele in seinem Herzen verflucht sein könnte.

Aber der Junge hatte keinen Gott-Wahn — sondern nur einen gesunden Menschenverstand. »Du siehst seit einem Monat nach Nordwesten, und Vater erzählt uns manchmal, daß du von dort gekommen bist. Ich dachte, du würdest gern nach Hause zurückkehren.«

»Nein«, sagte sie. »Ich möchte nicht nach Hause, denn ich bin zu Hause, genau hier. Aber diesen Botengang muß ich hinter mich bringen, und dann werde ich zu euch zurückkehren.«

»Falls die Überseele dich zurückkehren läßt.«

Sie nickte. Dann nahm sie ein kleines Bündel Vorräte und eine lederne Wasserflasche und brach zu Fuß auf.

Ich hatte nicht die Absicht, dir zu gehorchen, Überseele, sagte sie. Aber als ich diesen Engel sah, dessen Flügel weggefressen wurden, weil ich nichts unternommen habe, um ihm zu helfen, als er mich brauchte, wußte ich nicht, ob dieser Engel meine Töchter darstellt oder den Mann, der sie mir schenkte, oder vielleicht sogar dich — ich weiß nur, daß ich nicht zu Hause bleiben und zusehen kann, wie etwas Schreckliches passiert, obwohl ich nicht weiß, worum es sich bei diesem Schrecklichen handelt, oder was ich tun muß, um es zu verhindern. Ich weiß nur, daß ich dorthin gehen werde, wohin du mich führst, und wenn ich dort ankomme, werde ich versuchen, Gutes zu tun. Wenn das auch deinen Zwecken dient, Überseele, werde ich es trotzdem tun.

Aber wenn es getan ist … bitte, oh, bitte, laß mich nach Hause zurückkehren!

In Basilika, und nicht in einem Traum

Es war nun an der Zeit, sich Rasas Erlaubnis zu holen, und Elemak war keineswegs sicher, daß er sie auch bekommen würde. Im Haus wurde das Gerücht verbreitet, sie sei in einer ausgesprochen elenden Stimmung von ihrem Gespräch mit dem Gorajni-General zurückgekehrt, und niemand konnte die Tatsache übersehen, daß auf der Straße vor dem Haus Gorajni-Soldaten standen. Doch ganz gleich, was in Basilika geschehen würde, Elemak würde nicht ohne Gattin in die Wüste zurückkehren. Und da sie dazu bereit war, würde es Eiadh sein, ob nun mit oder ohne Rasas Erlaubnis. Aber besser mit ihrer Erlaubnis. Es war besser, wenn Rasa selbst die Zeremonie vornahm.

»Das ist eine ungünstige Zeit«, sagte Rasa.

»Bitte sprich nicht wie eine alte Frau, Tante Rasa«, sagte Eiadh. Ihre Stimme war so weich und süß, daß Rasa sich von dem, was nur als Ungehörigkeit aufzufasssen war, nicht beleidigt zeigte. »Vergiß nicht, daß junge Frauen nicht furchtsam sind. Wir heiraten am bereitwilligsten, wenn unsere Männer in den Krieg ziehen müssen, oder wenn die Zeiten schwer sind.«

»Du weißt nichts vom Leben in der Wüste.«

»Aber du bist gelegentlich mit Wetschik in die Wüste gezogen.«

»Zweimal, und beim zweitenmal nur, weil ich meiner Erinnerung daran zu mißtrauen begann, wie sehr ich es das erste Mal verabscheut hatte. Ich kann dir versprechen, daß du nach einer Woche in der Wüste bereit sein wirst, in Basilika als Schulddiener zu arbeiten, nur damit du zurückkehren darfst.«

»Meine Herrin Rasa«, setzte Elemak an.

»Wenn du noch einmal etwas sagst, lieber Elemak, werde ich dich aus dem Zimmer schicken«, sagte Rasa im liebenswürdigsten Tonfall. »Ich versuche, deiner Geliebten Vernunft einzubläuen. Aber du mußt dir keine Sorgen machen. Eiadh ist dermaßen erfüllt von ihrer Liebe zu deiner … zu was, deiner Kraft? Wie ich vermute, hat sie Visionen von perfekter Männlichkeit in ihrem Herzen, und du erfüllst all diese Phantasien.«

Eiadh errötete. Elemak bemühte sich, ein Lächeln zu unterdrücken. Darauf hatte er von Anfang an gehofft — daß Eiadh keinen Wert auf Wohlstand oder gesellschaftliche Stellung legte, sondern eher auf Mut und Stärke. Mit Kühnheit, nicht mit Protzerei würde er ihr Herz für sich gewinnen: Das hatte Elemak zu Anfang seines Werbens erkannt, und es hatte sich als richtig erwiesen. Rasa selbst hatte es bestätigt. Elemak hatte ein Mädchen gewählt, das ihn nicht liebte, weil er des Wetschiks Erbe war, sondern jene Tugenden hatte, die sich draußen in der Wüste am wertvollsten erweisen würden — die Eignung, die Befehlsgewalt zu übernehmen und schnelle, kühne Entscheidungen zu treffen; seine körperliche Ausdauer; seine Kenntnisse über das Leben in der Wüste.

»Welche Träume auch immer sie in ihrem Herzen hat«, sagte Elemak, »ich werde mein Bestes geben, sie zu verwirklichen.«

»Sei vorsichtig mit dem, was du versprichst«, sagte Rasa. »Eiadh ist durchaus imstande, einem Mann mit ihrer Hingabe das Leben auszusaugen.«

»Tante Rasa!« sagte Eiadh ehrlich entsetzt.

»Herrin Rasa«, sagte Elemak, »mir ist unbegreiflich, welche grausame Absicht dich dazu treibt, so etwas über diese Frau zu sagen.«

»Verzeih mir«, sagte Rasa. Sie wirkte aufrichtig betroffen. »Ich dachte, ihr würdet meine Worte als Hänselei verstehen, doch mir fehlt im Augenblick der Sinn für die dazu nötige Leichtigkeit, und so wurde eine Beleidigung daraus. Das war nicht meine Absicht.«

»Herrin Rasa«, sagte Elemak, »alles ist vergeben, wenn Soldaten der Naßköppe auf der Straße vor deinem Haus stehen und Wache halten.«

»Glaubt ihr, das würde mich interessieren?« sagte Rasa. »Wenn ich eine Entwirrerin und eine Wasserseherin in meinem Haus habe? Die Soldaten sind unbedeutend. Um meine Stadt habe ich Angst.«

»Die Soldaten sind nicht unbedeutend«, sagte Elemak. »Man hat mir erzählt, wie Huschidh die Soldaten des armen Raschgallivak von ihrer Treue für ihn entbunden hat, doch du darfst nicht vergessen, daß Raschgallivak ein schwacher Mann war, der gerade erst die Stellung meines Bruders angetreten hatte.«

»Und auch die deines Vaters«, sagte Rasa.

»Beide hat er an sich gerissen«, sagte Elemak. »Und die Soldaten, die Schuja von ihm gelöst hat, waren Söldner. Von Muuzh jedoch heißt es, er sei der größte General seit tausend Jahren, und seine Soldaten würden ihn über jede Vernunft hinaus lieben und ihm vertrauen. Schuja wird feststellen, daß es nicht einfach sein wird, diese Bande zu lösen.«

»Bist du plötzlich ein Experte für die Gorajni?«

»Ich bin Experte dafür, wie Männer einen starken Führer lieben und ihm vertrauen«, sagte Elemak. »Ich weiß, welche Gefühle die Männer meiner Karawanen mir entgegengebracht haben. Fürwahr, sie wußten, daß ich sie bezahlen würde. Aber sie wußten auch, daß ich ihr Leben nicht unnötig aufs Spiel setzen würde und sie ihr Geld auch nach dem Ende der Reise ausgeben können, wenn sie mir in allen Belangen folgen. Ich habe meine Männer geliebt, und sie haben mich geliebt, doch wie ich von General Muuzh gehört habe, lieben seine Soldaten ihn noch zehnmal mehr. Er hat sie zum stärksten Heer der Westküste gemacht.«