»Aber sobald unsere Verträge ausgelaufen sind, können wir uns doch anderweitig orientieren«, sagte Kokor.
Alle sahen sie an.
»Die Wüste ist nicht Basilika«, sagte Rasa. »Wir werden nur eine Handvoll Menschen sein. Die Ehen werden von Dauer sein. Gewöhne dich schon jetzt an die Vorstellung.«
»Das ist doch absurd«, sagte Kokor. »Ich komme nicht mit, und ihr könnt mich nicht dazu zwingen.«
»Nein, ich kann dich nicht dazu zwingen«, sagte Rasa. »Doch wenn du bleibst, wirst du sehr schnell herausfinden, wie anders das Leben ist, wenn du nicht mehr die Tochter der Herrin Rasa bist, sondern bloß eine junge Sängerin, von der man weiß, daß sie ihre viel berühmtere Schwester mit einem Schlag ihrer Hand zum Verstummen gebracht hat.«
»Damit kann ich leben!« sagte Kokor trotzig.
»Dann möchte ich dich gar nicht bei uns haben«, sagte Rasa wütend. »Welchen Nutzen kann auf der schrecklichen Reise, die vor uns liegt, ein Mädchen ohne Gewissen für uns haben?« Ihre Worte waren barsch, doch Rasa konnte ihre Enttäuschung über Kokor auf der Zunge schmecken wie ein übles Gift. »Ich habe alles gesagt, was ich zu sagen habe. Ihr alle habt zu arbeiten und Entscheidungen zu treffen. Trefft sie und bereitet alles vor.«
Damit waren sie entlassen, und Kokor und Sevet erhoben sich und gingen sofort, wobei Kokor die Nase in die Höhe reckte und noch einmal gekonnt ihren Hochmut unter Beweis stellte.
Mebbekew machte sich an Rasa heran — konnte der Junge nicht einfach ganz natürlich gehen, ohne gleich wie ein Spitzel oder Spion zu wirken? — und stellte seine Frage. »Ist Eljas Hochzeit heute abend nur auf ihn beschränkt?«
»Jeder im Haus ist herzlich eingeladen, der Feier beizuwohnen«, sagte Rasa.
»Nein, ich meine … wenn ich auch jemanden heiraten würde, würdest du die Zeremonie dann auch für mich durchführen?«
»Jemanden heiraten? Ich versichere dir, Dolja mag zwar indiskret gewesen sein, doch es würde mich überraschen, wenn sie dich zum Gatten nehmen würde, Mebbekew.«
Meb schaute wütend drein. »Luet hat es dir erzählt.«
»Natürlich hat sie es mir erzählt«, sagte Rasa. »Ein halbes Dutzend Dienstboten und Dolja selbst hätten es mir noch vor Anbruch der Dämmerung erzählt. Glaubst du wirklich, jemand könne solch ein Geheimnis in meinem eigenen Haus vor mir verbergen?«
»Wirst du die Zeremonie auch für uns durchführen«, sagte Meb, und dann nahm seine Stimme einen unglaublich sarkastischen Tonfall an, »wenn ich sie überreden könnte, ein so unwürdiges Stück Scheiße wie mich zu akzeptieren?«
»Es wäre gefährlich, dich ohne Frau in die Wüste mitzunehmen«, sagte Rasa. »Dolja wäre für dich die richtige Frau, obwohl sie sich selbst kaum etwas Schlimmeres antun könnte.«
Mebbekews Gesicht war rot vor Zorn. »Ich habe nichts getan, daß du mich so verächtlich behandeln müßtest.«
»Du hast alles getan, um dir meine Verachtung zuzuziehen«, sagte Rasa. »Du hast meine Nichte unter meinem eigenen Dach verführt, und nun überlegst du, sie zu heiraten — und glaube ja nicht, mich täuschen zu können. Du willst sie nur heiraten, um in Basilika bleiben zu können und nicht mit uns zu deinem Vater in die Wüste ziehen zu müssen. Sobald wir fort sind und du deinen Ehevertrag hast, wirst du ihr untreu werden.«
»Und ich schwöre dir bei den Augen der Überseele, daß ich Dolja mit in die Wüste nehmen werde, so wahr Elja Eiadh mitnehmen wird.«
»Sei vorsichtig, wenn du deine Eide vor der Überseele machst«, sagte Rasa. »Sie kennt Wege und Möglichkeiten, dich beim Wort zu nehmen.«
Mebbekew hätte fast etwas anderes gesagt, überlegte es sich dann jedoch anders und verließ Rasas privaten Empfangsraum. Zweifellos, um Dolja zu überreden, die Ehe mit ihm einzugehen.
Und es wird klappen, dachte Rasa verbittert. Weil dieser Junge, für den sonst so wenig spricht, mit Frauen umgehen kann. Habe ich nicht von den Müttern so vieler Mädchen in der Puppenstadt und Dauberville von seinen Heldentaten gehört? Arme Dolja. Hat das Leben dich so hungrig belassen, daß du sogar diese schlechte Imitation von Liebe schluckst?
Jetzt waren nur noch Elemak und Nafai bei ihr.
»Ich will meine Zeremonie nicht mit Mebbekew teilen«, sagte Elemak kalt.
»Es ist tragisch, daß wir auf dieser Welt nicht immer das bekommen, was wir haben wollen«, sagte Rasa. »Jeder, der heute abend heiraten möchte, wird auch heiraten. Wir haben nicht die Zeit, deine Eitelkeit zu befriedigen, und das weißt du selbst am besten. Wenn du mir einen unparteiischen Rat geben würdest, würdest du selbst darauf bestehen.« )
Elemak betrachtete kurz ihr Gesicht. »Ja«, sagte er dann. »Du bist sehr weise.« Dann ging auch er.
Doch Rasa verstand ihn, und zwar besser, als er glaubte. Sie wußte, daß er sie abgeschätzt hatte. In Basilika mochte sie zwar mächtig sein, aber in der Wüste war sie es nicht mehr. Er würde sich heute abend ihrer Herrschaft beugen, doch sobald sie in der Wüste waren, würde er seine Freude daran nehmen, sie zu unterwerfen. Nun, ich habe keine Angst davor, erniedrigt zu werden, dachte Rasa. Ich kann mehr ertragen, als du es dir vorstellst. Was bedeuten mir schon die Qualen, die du mir zufügst, wenn ich den Schmerz meiner geliebten Stadt spüre und weiß, daß ich in meinem Exil gar nichts tun kann, um sie doch noch zu retten?
Nur Nafai war jetzt noch bei ihr.
»Mutter«, sagte er, »was ist mit Issib? Und Gaballufix’ Schatzmeister Zdorab? Sie brauchen ebenfalls Frauen. Und Elemak hat in seinem Traum gesehen, daß wir alle Frauen hatten.«
»Dann muß die Überseele Frauen für sie bereitstellen, meinst du nicht auch?«
»Schedemei wird kommen«, sagte er. »Auch sie hatte einen Traum. Die Überseele wird sie zu uns schicken. Und Huschidh. Sie gehört dazu, nicht wahr? Auch sie wird die Überseele zu uns führen. Für Issib oder für Zdorab.«
»Warum fragst du sie nicht?« sagte Rasa.
»Sie ist nicht für mich bestimmt«, sagte Nafai.
»Du hast mir erzählt, die Überseele hätte gesagt, eines Tages würdest du deine Brüder führen. Wie kann das geschehen, wenn du nicht einmal die Kraft findest, einem so netten und großmütigen Mädchen wie Schuja in die Augen zu sehen?«
»Dir mag sie nett vorkommen«, sagte Nafai. »Aber mir … und sie so etwas zu fragen …«
»Sie weiß, daß ihr Jungs zurückgekommen seid, um Frauen zu holen, du törichtes Kind. Glaubst du, sie könnte nicht zählen? Sie ist eine Entwirrerin — glaubst du, sie hätte die Verbindungen noch nicht gesehen?«
Er war verlegen. »Nein, daran habe ich nicht gedacht. Wahrscheinlich weiß sie mehr über das alles als ich.«
»Nur über einige Dinge«, sagte Rasa. »Und du schreckst noch immer vor der wichtigsten Frage überhaupt zurück.«
»Nein, das tue ich nicht«, sagte Nafai. »Ich weiß, daß ich Luet heiraten soll, und ich weiß, daß ich sie bitten werde, die Ehe mit mir einzugehen. Ich brauche deinen Rat in dieser Angelegenheit nicht.«
»Dann habe ich nichts um dich zu fürchten, mein Sohn«, sagte Rasa.
Die Soldaten brachten Raschgallivak und warfen ihn, wie Muuzh ihnen zuvor befohlen hatte, brutal zu Boden. Als die Soldaten gegangen waren, berührte Raschgallivak seine Nase. Sie war nicht gebrochen, doch sie blutete vom Aufprall auf dem Boden, und Muuzh reichte ihm nichts, womit er das Blut hätte abwischen können. Da die Soldaten Raschgallivak nackt ausgezogen hatten, bevor sie ihn hierher gebracht hatten, mußte Raschgallivak das Blut einfach in seinen Mund und sein Kinn hinab fließen lassen.
»Ich wußte, daß ich dich früher oder später sehen würde«, sagte Muuzh. »Ich mußte nicht nach dir suchen. Ich wußte, die Zeit würde kommen, da du dir einbildest, du hättest etwas, das von Wert für mich ist, und dann würdest du zu mir kommen und mit mir zu verhandeln versuchen. Aber ich kann dir versichern, ich brauche nichts, das du hast.«