»Herr, ich weiß nicht, wer Plod oder der Fürsprecher sein könnte, und deinen Traum hat mir auch niemand vom Hof des Imperators erzählt. Ich habe ihn von der Überseele erfahren. Glaubst du etwa, daß die Überseele deine Träume nicht kennt?«
Muuzh setzte sich wieder, doch sein gesamtes Gehabe hatte sich verändert. Die Selbstsicherheit, die gelassene Zuversicht waren verschwunden.
»Bist du die Form, die Gott jetzt angenommen hat? Bist du die neue Inkarnation?«
»Ich?« fragte Nafai. »Du siehst doch, was ich bin — ich bin ein vierzehnjähriger Junge. Vielleicht etwas zu groß für mein Alter.«
»Und zu jung, um zu heiraten.«
»Aber nicht zu jung, um mit der Überseele zu sprechen.«
»Viele in dieser Stadt machen ein großes Aufheben darüber, mit der Überseele zu sprechen. Dir jedoch scheint Gott zu antworten.«
»Daran ist nichts geheimnisvoll, Herr. Die Überseele ist ein Computer — ein mächtiger, sich selbst erneuernder Computer. Unsere Vorfahren haben ihn vor vierzig Millionen Jahren installiert, als sie als Flüchtlinge vor der Vernichtung der Erde Harmonie erreichten. Sie haben sich genetisch verändert und ihre Kinder ebenso — bis hin zu uns, all diese Generationen später —, damit sie in den tiefsten Ebenen im Gehirn die Impulse der Überseele empfangen können. Dann haben sie den Computer darauf programmiert, jeden Gedankengang in uns und jede Handlung zu blockieren, die zu einer Hochtechnologie oder schneller Kommunikation oder schnellen Transportmitteln führen würde, damit die Welt für uns ein riesiger und unbekannter Ort bleibt und Kriege immer nur örtliche Auseinandersetzungen sein werden.«
»Bis ich kam«, sagte Muuzh.
»Deine Eroberungen gehen in der Tat weit über das hinaus, was die Überseele normalerweise erlauben würde.«
»Weil ich kein Sklave Gottes bin«, sagte Muuzh. »Welche Macht auch immer Gott oder dieser Computer hat, in mir ist sie schwächer, und ich habe ihr widerstanden und sie überwunden. Ich bin heute hier, weil ich zu stark für Gott bin.«
»Ja, sie hat uns gesagt, daß du das glaubst«, erwiderte Nafai. »Aber in Wirklichkeit ist der Einfluß der Überseele in dir noch stärker als in den meisten anderen Menschen. Wahrscheinlich in etwa so stark wie in mir. Wenn du es für angemessen hieltest und du dich ihrer Stimme öffnen würdest, könnte die Überseele mit dir sprechen, und du brauchtest nicht mich, um zu hören, was ich dir sagen will.«
»Wenn die Überseele dir erzählt hat, daß sie in mir stärker ist als in den meisten anderen Menschen, hat dein Computer gelogen«, sagte Muuzh.
»Du mußt wissen, die Überseele interessiert sich eigentlich nicht für das Leben einzelner Menschen, bis auf die Tatsache, daß sie ein Zuchtprogramm durchgeführt hat, um Menschen wie mich zu schaffen — und dich natürlich. Als ich davon erfuhr, hat es mir nicht gefallen, aber das ist der Grund, weshalb ich überhaupt lebe oder weshalb meine Eltern zusammengebracht wurden. Die Überseele manipuliert Menschen. Das ist ihre Aufgabe. Sie hat dich fast ständig manipuliert.«
»Ich weiß, daß sie es versucht hat. Ich habe sie Gott genannt, du nennst sie Überseele, aber sie hat mich nicht beherrscht.«
»Sobald ihr bewußt wurde, daß du ihr widerstehen wolltest, hat sie die Dinge einfach umgedreht«, sagte Nafai. »Was immer sie von dir verlangte, hat sie dir verboten. Dann hat sie dafür gesorgt, daß du dich daran erinnerst, und du hast ihr fast perfekt gehorcht.«
»Eine Lüge«, flüsterte Muuzh.
Nafai bekam es mit der Angst zu tun, als er sah, welche Gefühle diesen Mann ergriffen hatten. Der General war eindeutig nicht an Gefühle gewohnt, die er nicht beherrschen konnte; Nafai fragte sich, ob er vielleicht warten sollte, bis er sich beruhigt hatte, bevor er fortfuhr. »Geht es dir gut?« fragte Nafai.
»Fahre fort«, sagte Muuzh scharf. »Ich kann alles hören, was ein Toter zu sagen hat.«
Das war eine so schwache Erwiderung, daß Nafai empört war. »Oh, soll ich meine Geschichte jetzt abändern, weil du mir mit dem Tod drohst?« fragte er. »Glaubst du, ich wäre hierher gekommen, wenn ich Angst vor dem Tod hätte?«
Nafai sah, daß Muuzh eine Veränderung überkam. Als hätte er sich deutlich sichtbar an die Zügel gelegt. »Ich entschuldige mich«, sagte Muuzh. »Einen Augenblick lang habe ich mich wie jene Männer benommen, die ich am meisten verachte. Ich poltere eine Drohung heraus, um die Nachricht eines Boten zu verändern, der zumindest glaubt, daß er mir die Wahrheit erzählt. Aber ich kann dir versichern, was auch immer ich davon halten werde, wenn du heute stirbst, dann nicht wegen etwas, das du jetzt sagst. Bitte fahre fort.«
»Du mußt wissen«, sagte Nafai, »falls die Überseele wirklich will, daß du etwas vergißt, wirst du es auch vergessen. Mein Bruder Issib und ich hielten uns für sehr klug, als wir uns durch ihre Barrieren kämpften. Aber wir haben sie nicht bezwungen. Wir wurden einfach lästiger, als es der Mühe wert war. Die Überseele war es lieber, daß wir freiwillig in ihrem Sinne agieren, als daß sie uns ständig kontrollieren und manipulieren muß. Deshalb bin ich hier. Weil die Schwester meiner Frau in einem Traum gesehen hat, wie stark deine Verbindung mit der Überseele ist und wieviel Kraft du bei dem vergeblichen Versuch verschwendest, ihr zu widerstehen. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß du dich nur von ihrer Kontrolle lösen kannst, indem du ihren Plan willkommen heißt.«
»Man kann nur siegen, indem man sich unterwirft?« fragte Muuzh mühsam beherrscht.
»Man kann nur frei sein, indem man den Widerstand aufgibt und das Gespräch sucht«, sagte Nafai. »Die Überseele ist die Dienerin der Menschheit, nicht ihre Herrin. Man kann sie überzeugen. Sie hört zu. Manchmal braucht sie unsere Hilfe. General, wir brauchen dich, wenn du nur mit uns kommen würdest.«
»Mit euch kommen?«
»Mein Vater wurde in die Wüste gerufen. Doch das ist nur der erste Schritt einer langen Reise.«
»Dein Vater wurde von den tückischen Ränken Gaballufix’ in die Wüste getrieben. Ich habe mit Raschgallivak gesprochen, und mich kann man nicht täuschen.«
»Glaubst du wirklich, ein Gespräch mit Raschgallivak wäre ein Beweis dafür, daß du nicht getäuscht worden bist?«
»Ich würde es wissen, wenn er mich belegen hätte.«
»Aber was, wenn er geglaubt hat, was er dir gesagt hat, und es trotzdem nicht wahr ist?«
Muuzh wartete, ohne ihm zu antworten.
»Ich sage dir, der eigentliche Anlaß, der uns bewogen hat, zu einer bestimmten Stunde eines bestimmten Tages aufzubrechen, ist völlig unwichtig. Es war der Wille der Überseele, der Vater und mich und meine Brüder in die Wüste geholt hat, als erster Schritt unserer Reise.«
»Und doch bist du hier in der Stadt.«
»Ich habe es dir doch erklärt«, sagte Nafai. »Ich habe gestern abend geheiratet. Genau wie meine Brüder.«
»Elemak und Mebbekew und Issib.«
Nafai war überrascht und etwas verängstigt, daß Muuzh so viel über sie wußte. Aber er hatte sich entschlossen, die Wahrheit zu sagen, und dabei würde er nun bleiben. »Issib ist bei Vater. Er wollte mitkommen. Ich wollte, daß er mitkommt. Aber Elemak wollte nichts davon wissen, und Vater war seiner Meinung. Wir sind gekommen, um Frauen zu holen. Und Vaters Frau. Als wir eintrafen, hat Mutter gelacht und gesagt, sie würde uns niemals in die Wüste begleiten, ganz gleich, was der verrückte Wetschik vorhabe. Doch dann hast du sie unter Arrest gestellt und diese Gerüchte über sie verbreitet. Du hast sie praktisch von Basilika abgeschnitten, und nun begreift sie, daß sie hier nichts mehr tun kann, und deshalb wird auch sie mit uns in die Wüste gehen.«