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Kommende Hungertage waren unvermeidlich. Die Neulinge waren die schwere Arbeit noch nicht gewohnt und verlangten immer mehr zu fressen, und Hal verdoppelte ihre Rationen, um sie anzuspornen. Noch dazu fütterte Mercedes die Tiere heimlich, wenn es den Tränen in ihren hübschen Augen nicht gelang, den Männern größere Portionen für die Hunde abzuschmeicheln. Aber es war ja nicht Futter, das Buck und den Huskies fehlte. Sie brauchten Ruhe, das war alles.

Dann kam der Hunger wirklich. Eines Tages entdeckte Hal, daß das Hundefutter halb verbraucht, der Weg jedoch erst zu einem Drittel zurückgelegt war. Nirgends war zusätzlich Nahrung aufzutreiben, weder mit Geld noch mit guten Worten. Hal kürzte die Rationen und erhöhte gleichzeitig die Tagesleistung. Das erste hätten die Tiere vielleicht noch ausgehalten, das letztere ging über ihre Kräfte.

Als erster schied Dub aus. Armer, ungeschickter Dieb, stets war er erwischt und bestraft worden! Aber er hatte seine Arbeit redlich verrichtet. Niemand kümmerte sich um sein verletztes Schulterblatt, es wurde immer schlechter, und eines Tages erschoß ihn Hal mit seinem großen Revolver. Ein Sprichwort im Nordland sagt, daß ein Hund aus dem Süden bei der Ration eines Huskies an Hunger stirbt. Die sechs Neulinge in Bucks Gespann, die nun nur mehr die halbe Ration eines Huskies erhielten, waren daher bald mit ihrer Kraft am Ende. Eines Morgens fand man den Neufundländer tot am Boden liegen, ihm folgten die drei kurzhaarigen Jagdhunde, die beiden Mischlinge hielten noch eine Zeitlang aus, aber gingen endlich auch ein.

Der Norden war für die Männer und Mercedes ein Land des Zaubers, der Romantik gewesen, die rauhe Wirklichkeit zerstörte aber bald nicht nur ihre Träume, sondern auch ihre guten Sitten. Mercedes weinte nicht mehr über das Elend der Hunde, sie war zu sehr damit beschäftigt, über ihr eigenes zu weinen, sich zu bemitleiden und mit den Männern zu zanken. Mochten sie für alles andere zu müde sein, für einen Streit waren sie niemals zu müde. Ihr Elend machte sie reizbar, und je elender sie sich fühlten, um so streitsüchtiger wurden sie. Die Ruhe und Ausgeglichenheit der echten Nordleute, die harte Entbehrungen mit Geduld und Ausdauer ertragen und friedlich und hilfsbereit bleiben, war diesen Männern und dieser Frau fremd. Je mehr sie leiden mußten, um so unduldsamer wurden sie.

Sie zankten sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Sie warfen sich gegenseitig Faulheit und Bequemlichkeit vor. Jeder glaubte, seine eigene Leistung sei etwas ganz besonderes, und war tief beleidigt, wenn es die anderen nicht anerkannten. Mercedes stand bald auf der Seite ihres Mannes, bald auf der ihres Bruders, und einem regelrechten Familienstreit stand nichts mehr im Weg, in den auch Väter und Mütter, Vettern und Basen mit hineingezerrt wurden; auch solche, die mit ihrer gegenwärtigen Lage gar nichts, aber schon gar nichts zu tun hatten, gaben Anlaß zu nie endenden Auseinandersetzungen. Konnten sie sich nicht einigen, wer das Brennholz schneiden sollte, beschimpften sie sich gegenseitig. Was, um Himmels willen, hatten die Dramen, die ein Onkel schrieb, mit dem Schneiden von Brennholz zu tun? Über ihrem Zank vergaßen sie alles. Sie vergaßen die Hunde zu füttern, das Feuer anzumachen, das Lager aufzubauen.

Mercedes war stets gekränkt oder fühlte sich beleidigt. Sie war eine hübsche und anlehnungsbedürftige Person und gewöhnt, galant und ritterlich behandelt zu werden. Was sie aber jetzt von ihrem Mann und ihrem Bruder zu hören bekam, hatte mit Ritterlichkeit nicht die geringste Ähnlichkeit mehr. Sie spielte gern die Hilflose und pochte auf Vorrechte, die, wie sie glaubte, einer Frau gebührten. Aber die Männer hatten in der Lage, in der sie sich befanden, keinen Sinn dafür. Längst hatte sie ihr Mitleid mit den Hunden vergessen, sie war müde und fußwund und bestand darauf, auf dem Schlitten zu fahren. Eine hübsche kleine Frau war sie, aber die abgerackerten und halbverhungerten Tiere hatten den Schlitten auch ohne ihr Gewicht kaum mehr schleppen können. Tagelang saß sie oben, bis die Hunde nicht mehr weiterkonnten. Charles und Hal baten sie abzusteigen, befahlen und flehten, und als dies nichts nützte, begann Hal zu fluchen. Mercedes schluchzte nur und rief den Himmel zum Zeugen für die Brutalität ihrer Männer an.

Einmal wandten sie Gewalt an und warfen sie vom Schlitten herunter. Sie taten es aber nicht wieder, denn sie setzte sich wie ein ungezogenes Kind einfach in den Schnee. Sie fuhren weiter, sie aber blieb sitzen. Nach drei Meilen war nichts mehr zu sehen von ihr, und es blieb den Männern nichts anderes übrig, als den Schlitten abzuladen und sie wieder zu holen. Sie saß noch an derselben Stelle.

Das eigene Elend machte sie zu Egoisten. Jeder dachte nur mehr an sich selbst. Die Theorie Hals, man müsse hart werden, bezog er nur auf die anderen, nicht aber auf sich selbst. Als sie bei seiner Schwester und bei seinem Schwager nichts fruchtete, hämmerte er sie den Hunden mit seinem Stock ein. Am Fünffingergebirge war das Hundefutter zu Ende. Eine alte, zahnlose Indianersquaw bot ihnen einige Pfund gefrorener Pferdehaut gegen den Revolver an Hals Gürtel an. Diese alte Haut, die man vor einem halben Jahr einem verhungerten Pferd abgezogen hatte, war ein armseliger Ersatz für die Fischrationen. Den Hunden blieben die Stücke wie hartes Eisen im Magen liegen, eine unverdauliche, haarige Masse.

In all diesem Elend schritt Buck an der Spitze des Gespanns wie in einem bösen Traum. Wenn er sich stark genug fühlte, dann zog er, wenn er nicht mehr konnte, fiel er hin und blieb liegen, bis ihn Peitschenschläge oder Stockhiebe wieder auf die Füße trieben. Er sah jammervoll aus. Der Glanz und die Schönheit seines Fells waren dahin, und die Haare hingen verfilzt und mit Blut verkrustet von seinem Körper. Man konnte jede Rippe an ihm zählen. Nur sein Herz schlug im alten Takt, es konnte nicht gebrochen werden. Der Mann im roten Sweater hatte es ihm gestählt.

Die anderen sechs Hunde sahen nicht anders aus. Sie waren wandelnde Skelette. Ihr Elend war so groß, daß sie die Schläge, die auf sie niederfielen, nicht mehr spürten. Der Schmerz kam ihnen nur mehr schwach und verschwommen zum Bewußtsein. Alles, was sie sahen und hörten, schien sehr weit weg von ihnen zu sein. Sie waren nur mehr ein Haufen Knochen, in denen ein schwacher Lebensfunke zuckte. Wenn angehalten wurde, dann fielen sie wie tot hin, bis die Hiebe sie auf kurze Zeit wieder auf die Beine brachten.

Eines Tages stand der gutmütige Billie nicht mehr auf. An Stelle des verschacherten Revolvers nahm Hal die Axt und schlug Billie den Schädel ein, dann schnitt er die Leiche aus dem Geschirr und zerrte sie beiseite. Buck und seine Gefährten standen daneben, und sie wußten, daß ihr Ende genauso aussehen würde.

Am nächsten Tag schied Koona aus. Fünf von ihnen waren noch übrig: Joe, zu matt, um noch bösartig zu sein; Pike, verkrüppelt und hinkend, der nicht mehr zu simulieren brauchte; der einäugige Solleks, traurig, daß er nur mehr so wenig Kraft zum Ziehen hatte; Teek, der in diesem Winter noch nicht so oft diese Strecke gefahren war und die meisten Schläge erhielt, weil er noch kräftiger war; und an der Spitze des Gespanns Buck, nur mehr ein Schatten seiner selbst.

Es war Frühling geworden, aber weder Hunde noch Menschen merkten es. Jeden Tag ging die Sonne früher auf und später unter. Es dämmerte um drei Uhr morgens, und das Tageslicht verweilte bis zum späten Abend. An dem blanken, strahlenden Himmel hing eine blanke, strahlende Sonne. Lange genug hatte das tote Schweigen des Winters über dem Land gelegen, nun füllte es sich wieder mit Stimmen, mit Stimmen voll von Lebensfreude und Frische und neuer Lust. Der Todesschlaf unter dem Eis, dem Schnee und der beißenden Kälte war vorbei. Der Saft stieg in den Föhren hoch, und die jungen Knospen barsten aus den Weiden- und Espenzweigen hervor. Büsche und Ranken hatten sich mit Grün überzogen. Nachts sangen die Heimchen, und tagsüber raschelte, kroch, krabbelte, huschte und flatterte es in der alten Moos- und Flechtendecke am Boden. Rebhühner schwirrten auf, und das Klopfen der Spechte erfüllte den Wald. Eichhörnchen schwatzten, und Vögel sangen. Mit knatternden Flügelschlägen teilten die Keile der wilden Gänse die Luft auf ihrem Zug nach Norden.