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Versteckt unter der verfilzten Decke des vorjährigen Grases rannen unzählige Frühlingsbäche von jedem Hügel. Das Eis auf den Flüssen barst. Und inmitten dieses gewaltigen, pochenden, pulsierenden, neuerwachenden Lebens, unter einer blendenden Sonne, in der sanften, milden Luft wankten, dem Tode nahe, die zwei Männer, die Frau und die Hunde weiter, bis sie John Thorntons Lager am Weißen Fluß erreichten.

Der Schlitten blieb stehen, und die Hunde fielen wie tot nieder. Mercedes trocknete ihre Tränen und lächelte John Thornton an. Hal fluchte ununterbrochen, Charles ließ sich schweigend auf einem Baumstamm nieder. Ganz langsam und vorsichtig setzte er sich, denn jedes Glied schmerzte ihn.

Hal begann zu reden, John Thornton glättete die letzten Unebenheiten an einem Axtgriff aus Birkenholz und arbeitete ruhig weiter, hörte zu, gab einsilbige und kurze Antworten, erteilte Ratschläge, wenn er darum gefragt wurde, obwohl er genau wußte, daß diese Gesellschaft sie doch nicht befolgen würde.

»Die Leute da oben haben uns gesagt, daß das Eis nicht mehr trägt. Aber, wie Sie sehen, sind wir trotzdem da«, triumphierte Hal, und seine Stimme bekam einen höhnischen Beiklang.

»Nur ein Narr geht jetzt noch aufs Eis«, antwortete Thornton. »Die da oben hatten ganz recht. Nicht um alles Gold von Alaska bringt mich jemand auf diesen Fluß!«

»Wir aber gehen!« rief Hal eigensinnig. »Steh auf, Buck! Auf nach Dawson!« Er schwang wieder seine Peitsche. »Auf, sage ich! He! Go on!«

Aber das Gespann rührte sich nicht. Lange schon reagierten die Hunde nur mehr auf Schläge, und die Peitsche fiel auch sofort erbarmungslos auf ihre Rücken nieder. John Thornton nagte an seiner Unterlippe. Solleks erhob sich als erster. Teek folgte. Joe winselte vor Schmerzen und versuchte mühselig auf die Beine zu kommen. Pike fiel zweimal nieder, bevor er aufstehen konnte.

Nur Buck bemühte sich nicht. Er lag ruhig dort, wo er hingefallen war. Die Peitsche biß sich in seinen Rücken, immer wieder, er winselte nicht, er regte sich nicht. Ein paarmal schien es, als ob Thornton sprechen wollte, er schwieg aber doch, nur seine Augen wurden feucht. Er stand auf und ging unentschlossen hin und her.

Es war das erste Mal, daß Buck versagte, und es versetzte Hal in Raserei. Er vertauschte die Peitsche mit dem Prügel. Aber Buck rührte sich noch immer nicht. So viel hatte er schon erleiden müssen, daß er die Schläge kaum mehr fühlte.

Plötzlich, ohne Warnung, stieß John Thornton einen Schrei aus, der dem Aufschrei eines wilden Tieres glich, und sprang auf den Mann mit dem Prügel los. Hal taumelte und stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden. Mercedes schrie entsetzt auf, Charles aber blieb teilnahmslos. Er rieb seine wäßrigen Augen, er war viel zu müde, um einzugreifen.

John Thornton stand über dem Hund. Er war kreidebleich, und es kostete ihn Mühe, zu sprechen.

»Wenn Sie den Hund noch einmal schlagen, bringe ich Sie um!« stieß er schließlich mit erstickter Stimme hervor.

»Mit meinem Hund kann ich machen, was ich will«, erwiderte Hal. Er wischte sich das Blut vom Mund. »Weg da, oder es passiert etwas. Ich fahre nach Dawson und damit Schluß!«

Thornton stand zwischen ihm und Buck und machte keine Miene, aus dem Weg zu gehen. Hal zog sein langes Jagdmesser, und Mercedes schrie zuerst auf, dann brach sie in hysterisches Lachen aus. Thornton schlug ihm mit dem Axtgriff das Messer aus der Hand. Als Hal es aufheben wollte, holte er sich blutige Knöchel. Thornton beugte sich nieder, hob das Messer selbst auf und durchschnitt Bucks Stränge.

Hal gab seinen Widerstand auf. Seine Schwester, die halb ohnmächtig in seinen Armen lag, machte ihm genug zu schaffen. Buck war mehr tot als lebendig, was sollte er mit einem Hund machen, der zu nichts mehr zu gebrauchen war?

Einige Minuten später zogen sie mit ihrem Schlitten dem Fluß zu. Buck hörte sie fortfahren und hob schwerfällig den Kopf. Pike führte, Solleks zog an der Stange, zwischen ihnen trotteten Joe und Teek. Alle hinkten und taumelten. Mercedes kauerte auf dem hochbeladenen Schlitten, Hal steuerte, und Charles stolperte hinter ihnen her.

Buck sah dem Zug nach. Thornton kniete neben ihm und suchte mit rauhen und gütigen Händen nach gebrochenen Knochen. Aber er konnte nur Wunden und zahllose Schrammen entdecken. Inzwischen kroch der Schlitten langsam über das Eis des Flusses. Plötzlich versank das Ende im Wasser. Hal klammerte sich in Todesangst vergeblich an die Stange. Sie hörten den schrillen Schrei der Frau, sie sahen Charles umkehren, aber das Eis rundherum brach: Menschen, Hunde und Schlitten verschwanden, und nur ein schwarzes Loch blieb zurück.

John Thornton und Buck blickten einander an. »Armer Teufel«, sagte John Thornton leise, und Buck leckte ihm die Hand.

Um die Liebe eines Menschen

John Thornton hatte sich im vergangenen Dezember die Füße erfroren, und als seine Gefährten den Fluß hinauffuhren, um eine Ladung Schnittholz für Dawson herunterzubringen, hatten sie ihn gut versorgt zurückgelassen.

Er hinkte noch immer leicht, aber bei dem warmen und schönen Wetter wurden seine Füße schnell besser. Die langen Frühlingstage lag Buck am Flußufer, schaute dem vorüberfließenden Wasser nach, lauschte schläfrig auf den Gesang der Vögel, und langsam gewann er seine alte Kraft wieder. Nach dreitausend Meilen eines langen und mühseligen Weges konnte er endlich rasten.

Seine Wunden vernarbten, die Muskeln festigten sich wieder, er setzte Fleisch an. Alle genossen das Nichtstun, auch Thornton und die beiden anderen Hunde, Skeet und Nig. Sie warteten auf das Floß, das sie nach Dawson bringen sollte. Skeet war eine kleine irische Vorstehhündin, die bald mit Buck Freundschaft schloß. Sie war die geborene Pflegeschwester, und in den ersten Tagen, als Buck noch halbtot war, hatte er nicht die Kraft, sich gegen ihre Teilnahme aufzulehnen. Sie leckte und reinigte Bucks Wunden wie eine Katze, die ihre Jungen pflegt. Jeden Morgen gleich nach dem Frühstück fing sie mit ihrem Liebeswerk an, und Buck gewöhnte sich bald daran genauso wie an Thorntons Pflege. Nig, ein großer, schwarzer Hund mit gutmütigen Augen, war ebenfalls freundlich, nur zurückhaltender.

Zu Bucks Erstaunen zeigten diese Hunde keine Eifersucht. Sie waren so großherzig wie ihr Herr. Als Buck seine Kräfte wiedergewann, verleiteten sie ihn zu allen möglichen lustigen Streichen, an denen sich auch Thornton vergnügt beteiligte. So balgte sich Buck in ein neues Leben hinein, und zum erstenmal spürte er Liebe, echte, leidenschaftliche Liebe. Er hatte sie nie kennengelernt, selbst bei seinem ersten Herrn in Santa Clara nicht. An ihn hatte ihn gute und feste Freundschaft gebunden, für die Söhne war er ein Kamerad, für die Enkel ein Spielgefährte gewesen, aber Liebe, fiebernde, brennende Liebe, lernte er erst bei John Thornton kennen.

Dieser Mann hatte sein Leben gerettet, das war schon viel, aber darüber hinaus war er der ideale Herr. Andere Männer sorgten für ihre Hunde, weil es ihre Pflicht war und sie die Tiere zur Arbeit brauchten, John sorgte für sie, weil er sie so liebte, als wären es seine eigenen Kinder. Nie vergaß er sie freundlich anzurufen, mit ihnen zu reden, und oft setzte er sich in ihren Kreis und hielt mit ihnen lange Gespräche, und die Hunde liebten dies genauso wie er. Buck kannte keine größere Freude, als wenn sein Herr ihm rauh und gütig das Fell zerzauste, mit beiden Händen seinen Kopf packte und hin und her beutelte und ihm dabei Schimpfworte wie »alter Lump« oder »verrückter Gauner« ins Ohr flüsterte.

Und Buck erwiderte diese Zärtlichkeiten! Er nahm die Faust des Mannes in sein Maul und drückte sie so fest mit den Zähnen, daß sich ihre Spuren lange auf der Hand abzeichneten. Und so wie für Buck die Schimpfworte zu Koseworten wurden, die er liebte, so wußte Thornton, daß Bucks Bisse nur Liebkosungen waren. Buck verehrte seinen Herrn grenzenlos, er wurde wild vor Glück, wenn dieser ihn ansprach und berührte.