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Alle Teile seines Körpers, alle Nerven und Muskeln waren wunderbar aufeinander abgestimmt, und zwischen allen diesen Teilen herrschte eine vollkommene Harmonie.

Auf jeden Laut, auf jeden Vorfall, der eine Tat verlangte, reagierte Buck blitzschnell. Jede seiner Bewegungen war doppelt so schnell wie die der Polarhunde, Entschluß und Ausführung folgten fast gleichzeitig. Seine Muskeln strotzten von Vitalität und waren hart wie Stahlfedern. Wenn Thornton mit der Hand zärtlich über den Rücken des Hundes strich, spürte er ein Knistern, als wäre jedes einzelne Haar elektrisch geladen.

»Nie gab es einen solchen Hund«, sagte John Thornton eines Tages zu seinen Gefährten, als er Buck im Lager herumstreichen sah.

»Als er gegossen wurde, ging die Form entzwei«, meinte Pete.

»Wahrhaftig, das glaub’ ich auch«, setzte Hans hinzu.

Sie sahen ihn das Lager verlassen, sie sahen aber nicht die augenblickliche, schreckliche Veränderung, die mit ihm vorging, sobald ihn das Dunkel des Waldes aufnahm. Er schritt nicht mehr; auf einmal wurde er zum Raubtier, das katzenartig dahinschlich, zu einem gleitenden Schatten, der plötzlich auftauchte und wieder verschwand. Er wußte jede Deckung auszunutzen. Er kroch wie eine Schlange auf dem Bauch, und wie eine Schlange stieß er zu und tötete. Er holte sich das Schneehuhn aus dem Nest und das Kaninchen aus seinem Bau. Die kleinen gestreiften Erdhörnchen schnappte er sich im Flug, wenn sie eine Sekunde zu spät auf den nächsten Baum springen wollten. Er tötete, wenn er hungrig war, nicht aus Lust am Morden. Manchmal spielte er vergnügt wie ein junger Welpe, beschlich die Eichhörnchen, jagte sie und ließ sie wieder laufen, und er empfand eine diebische Freude, wenn sie laut schimpfend in die höchsten Wipfel der Bäume flüchteten.

Als der Herbst kam, tauchten die Elche scharenweise auf und zogen langsam in die tieferen, weniger rauhen Täler, um dort zu überwintern. Buck hatte schon einmal ein vereinzeltes, halbwüchsiges Kalb niedergerissen, aber er wollte eine größere und gefährlichere Beute. Eines Tages stieß er auf eine Herde von zwanzig Tieren, die vom Land der Ströme und der Wälder über die Wasserscheide herübergewechselt waren. Das Leittier war ein außergewöhnlich mächtiger, großer Bulle, und da er sich obendrein in gereizter Stimmung befand, so konnte sich Buck keinen würdigeren Gegner wünschen. Nach allen Seiten stieß er mit seinen riesigen Schaufeln, seine kleinen Augen brannten bösartig, und als Buck auftauchte, fing er sofort zornig zu röhren an. Aus seiner Flanke ragte das gefiederte Ende eines Indianerpfeiles, und seine Wut war begreiflich. Buck hatte noch niemals mit einem Elch gekämpft, aber der Instinkt aus alten Jagdtagen einer urzeitlichen Welt leitete ihn. Er begann den Bullen von der Herde abzusondern, und das war keine leichte Aufgabe. Er bellte und tanzte um ihn herum, aber stets außer Reichweite der mächtigen Schaufeln und der furchtbaren Spalthufe. Die Wut des verwundeten Elchbullen steigerte sich zur Raserei. Er griff Buck an, der geschickt auswich und ihn von den anderen Tieren weglockte. Aber jedesmal wenn der Leitbulle von seiner Herde getrennt wurde, griffen zwei oder drei jüngere Tiere Buck an, und der alte Schaufler fand wieder Anschluß an seine Herde.

Jedes Tier, das sich seine Nahrung selbst erjagen muß, verfügt über eine Geduld, die uns kaum begreiflich ist.

Die Spinne kann endlose Stunden regungslos in ihrem Netz sitzen, die Schlange zusammengerollt auf ihr Opfer lauern und der Panther in seinem Hinterhalt liegen. Buck verfolgte den Bullen mit unendlicher Geduld. Er heftete sich an die Herde, hinderte sie bei ihrer Wanderung und reizte die jungen Bullen, verängstigte die Kühe mit ihren halbwüchsigen Kälbern und machte den verwundeten alten Elch vor hilfloser Wut fast wahnsinnig. Einen halben Tag lang dauerte diese Jagd. Buck war überall zugleich, griff stets an und bedrohte die Herde von allen Seiten und ließ die Tiere nicht mehr zur Ruhe kommen.

Als die Sonne im Nordwesten versank, kamen die jungen Bullen immer zögernder ihrem bedrängten Anführer zu Hilfe. Der nahende Winter trieb sie zu den tiefer gelegenen Ebenen, und es schien, als könnten sie den unermüdlichen Quälgeist, der sie aufhielt, nicht abschütteln. Das Leben der Herde, das Leben der jungen Bullen war nicht bedroht, die Verfolgung galt nur einem von ihnen. Sollten sie um dieses einen willen die ganze Herde in Gefahr bringen?

Die Dämmerung brach herein. Der alte Bulle stand mit gesenktem Haupt allein und verlassen da und blickte seinen Artgenossen nach, die rasch im Zwielicht verschwanden: seinen Kühen, den Kälbern, denen er ein Vater gewesen war, und den Bullen, die er gemeistert hatte. Er konnte nicht folgen, vor seiner Nase tanzte ein erbarmungsloser, zähnefletschender Schrecken. Um dreihundert Pfund mehr als eine halbe Tonne wog der Bulle, er hatte ein langes, starkes Leben gelebt, voll von Kämpfen und Anstrengungen, und nun stand ihm der Tod durch die Zähne eines Tieres bevor, dessen Kopf nicht über seine Knie reichte.

Buck ließ seiner Beute keine Ruhe mehr, keinen Augenblick der Rast. Er hinderte den Bullen, die Blätter der jungen Birken und Weiden abzuäsen, er gab ihm keine Gelegenheit, seinen brennenden Durst in den seichten Flüssen, die sie überquerten, zu stillen. In heller Verzweiflung floh der Elch oft in langen Fluchten davon. Buck versuchte nicht, ihn dann zu stellen, er folgte ihm nur in einem mühelosen, federnden Trab. Wenn der Elch stillstand, legte sich Buck nieder, und er griff ihn wütend an, wenn er äsen oder trinken wollte.

Das große Haupt des Elches senkte sich immer mehr unter seinen gewaltigen Hörnern, und der schlenkernde Gang wurde unsicherer und schwächer. Er blieb sehr oft und lange stehen, die Muffeln berührten fast den Boden, und die gesenkten Lauscher hingen schlaff herab. Buck fand Zeit genug zu rasten und sich mit Wasser zu versorgen. In jenen Augenblicken, wenn Buck keuchend am Boden lag und den Elch nicht aus den Augen ließ, schien es ihm, als hätte sich das Land um ihn verändert. Nicht nur die Elche waren gekommen, er spürte andere, neue Wesen. Er konnte sie nicht sehen, nicht hören und nicht riechen, aber mit einem anderen namenlosen Sinn fühlte er sie. Sie füllten Wälder aus mit ihrer Gegenwart. Buck wußte nicht, wer sie waren, noch wo sie waren, und er beschloß, nach ihnen zu sehen, sobald er seine Beute getötet hatte.

Gegen Ende des vierten Tages riß er den Bullen nieder. Einen Tag und eine Nacht blieb er bei dem erlegten Tier, er fraß und schlief und fraß weiter. Ausgeruht und frisch machte er sich auf den Weg zu John Thornton und dem Lager. Er fiel in den langen, leichten und mühelosen Trott, lief stets geradeaus, ohne jemals in Verlegenheit zu kommen, welche Richtung er einschlagen sollte. Schnurstracks hielt er durch das unbekannte Land auf das Lager zu, mit einer Gewißheit, die jeden Menschen und jede Magnetnadel beschämte.

Das Neue, Unbekannte wurde immer stärker. Es war nicht hier gewesen, während des ganzen Sommers nicht. Buck fühlte es nun nicht mehr unbewußt wie auf der Elchjagd, jetzt war der ganze Wald voll davon. Die Vögel riefen davon, die Eichhörnchen schwätzten darüber, jeder Luftzug erzählte es. Einige Male blieb er stehen und zog die frische Morgenluft ein, und die Botschaft, die sie enthielt, ließ ihn in langen Sätzen weitereilen. Das Gefühl eines drohenden Unheils überkam ihn, eines Unheils, das vielleicht schon geschehen war, und als er dem Lager näher kam, wurde er immer vorsichtiger.

Drei Meilen vorher stieß er auf eine frische Fährte. Seine Rückenhaare sträubten sich, und er bebte am ganzen Körper. Die Fährte führte zum Lager. Er hastete vorwärts, jeden Nerv aufs höchste angespannt. Seine Nase gab ihm eine Vorstellung von den Lebewesen, deren Fährte er folgte, und die Spur erzählte ihm eine Geschichte, nur deren Ende nicht! Er merkte das unheilvolle Schweigen im Wald. Die Vögel hatten sich verzogen, die Eichhörnchen waren in ihren Verstecken. Nur ein einziges sah er, einen schlanken, grauen Körper, der sich flach gegen einen grauen, toten Ast preßte und wie ein Teil davon erschien.