Jetzt entstand ein Stillschweigen, das erst das junge Mädchen mit dem ihr eigenen Takt dadurch unterbrach, daß sie das Gespräch wieder auf chemische Fragen lenkte.
Es war schon Mitternacht vorüber, als Cyprien sich entschließen konnte, nach seiner Wohnung zu gehen, wo ihn eine Anzahl Briefe aus der Heimat erwartete, die Miss Watkins sorglich auf seinen Arbeitstisch gelegt hatte.
Wie es nach längerem Abwesenheit öfter vorkommt, wagte er diese Briefe kaum zu erbrechen. Wenn sie ihm nun Nachricht von einem Unglücksfall brachten . . . sein Vater, seine Mutter, seine kleine Schwester Jeanne . . . Was hatte sich binnen 3 Monaten nicht alles ereignen können!
Als sich der junge Ingenieur durch eine flüchtige Durchsicht seiner Briefe im voraus überzeugt, daß sie ihm nur gute und erfreuliche Mitteilungen brachten, seufzte er erleichtert tief auf. Allen seinen Lieben ging es gut. Seine vorgesetzte Behörde erteilte ihm warmes Lob für seine sinnreiche Theorie der Diamantbildung und gestattete ihm gleichzeitig, noch ein halbes Jahr im Griqualand zu bleiben, wenn er das für die Wissenschaft für nutzbringend hielt. Alles gestaltete sich also nach Wunsch, und Cyprien schlief diesen Abend mit einem so leichten Herzen ein, wie er es lange Zeit nicht gekonnt hatte.
Der folgende Vormittag verging mit Besuchen bei seinen Freunden, besonders bei Thomas Steele, der in dem gemeinsamen Claim wirklich vorzügliche Funde gemacht hatte. Der brave Lancashireman empfing seinen Teilhaber deshalb mit nicht minderer Herzlichkeit. Cyprien verabredete mit ihm, daß Bardik und Li ihre Arbeiten wieder aufnehmen sollten wie vorher. Er behielt sich vor, ihnen, wenn sie gute Erfolge erzielten, einen Teil abzutreten, um für sie allmählich ein kleines Kapital zu sammeln.
Er selbst war freilich entschlossen, in der Mine das Glück nicht wieder zu versuchen, das ihm immer so ungünstig gewesen war, dagegen nahm er sich vor, nach dem Wunsch Alices wieder chemische Untersuchungen zu beginnen. Das Gespräch mit dem jungen Mädchen hatte überhaupt nur seine eigenen Absichten und Gedanken bestätigt; schon lange hatte er sich gesagt, daß weder die rauhe Handarbeit noch abenteuerliche Züge für ihn der richtige Weg wären. Viel zu ehrenwert und worthaltend, um nur einen
Augenblick an einen Mißbrauch des Vertrauens Tonaias zu denken und sich die Kenntnis zunutze zu machen, die er von der mit Kristallgebilden erfüllten Höhle besaß, erblickte er in dieser tatsächlichen Gewißheit nur eine höchst schätzenswerte Bekräftigung seiner Theorie von der Entstehungsweise der edlen Steine, die seinen Forschungseifer nur weiter anzufeuern vermochte.
Cyprien nahm also das frühere Leben im Labor wieder auf, er wollte aber nicht von dem Weg abweichen, auf dem er schon einmal Erfolg gehabt hatte, und entschied sich dahin, die früheren Untersuchungen wieder von vorn anzufangen. Dazu hatte er nicht nur einen Grund, sondern einen sehr zwingenden Grund, wie man leicht durchschauen wird.
Seit der künstliche Diamant nämlich als unwiederbringlich verloren zu betrachten schien, sprach Mr. Watkins, wenn er vorher einer Verbindung Cypriens und Alices geneigt gewesen war, jetzt davon kein Wort mehr. Dagegen war ja anzunehmen, daß er, wenn es dem jungen Ingenieur gelang, noch einmal einen Stein von außerordentlichen, vielleicht Millionen betragendem Wert herzustellen, doch auch zu der früheren Sinnesart zurückkehren könnte.
Cyprien entschloß sich daher, sofort an die Arbeit zu gehen, und machte gegenüber den Minengräbern der Van-dergaart-Kopje daraus kein Geheimnis, wenigstens bemühte er sich in dieser Richtung nicht besonders.
Nachdem er sich ein neues und widerstandsfähigeres
Rohr verschafft hatte, begann er seine Arbeiten ganz in der früher geübten Art und Weise.
»Was mir jedoch fehlt, den Kohlenstoff in Kristallform zu erhalten«, sagte er zu Alice, »ist ein geeignetes Lösungsmittel desselben, das durch Verdunstung oder durch Abkühlung die Erzeugung des Diamanten gestatten könnte. Für das Aluminium hat man dieses Lösungsmittel im Schwefelkohlenstoff, oder auch für dem ähnliche Körper, wie das Boron und das Silber, zu entdecken vermocht.«
Obwohl er indes nicht im Besitz dieses Lösungsmittels war, betrieb Cyprien doch sein Werk mit allem Eifer. In Ermangelung Matakits, der sich aus Vorsicht im Lager noch nicht wieder sehen ließ, fiel es jetzt Bardik zu, das Feuer Tag und Nacht zu unterhalten. Diesen Auftrag erledigte er übrigens mit dem gleichen Eifer wie sein Vorgänger.
Inzwischen und in der Voraussicht, daß er nach der für seinen Aufenthalt im Griqualand jetzt festgestellten Frist doch wohl nach Europa zurückreisen müsse, wollte Cy-prien auch noch eine in seinem Bericht schon erwähnte Arbeit vornehmen, die er noch nicht hatte beenden können; er gedachte nämlich, die ganz genaue Lage einer Bodensenke im Nordosten der Ebene zu bestimmen, eine Senke, die er für den Ausflußort der Gewässer ansah, von denen in weit entlegener Zeit die Diamantbildungen des Distrikts überhaupt ausgegangen sein mochten.
5 oder 6 Tage nach seiner Heimkehr aus dem Transvaal beschäftigte er sich also mit dieser Bestimmung, der er, wie allen Arbeiten, die peinlichste Genauigkeit widmete.
Schon seit 1 Stunde hatte er mehrfach Stangen in die Erde gesteckt und trug die gefundenen Punkte in einen sehr speziellen Plan ein, den er sich in Kimberley verschafft hatte. Merkwürdigerweise fand er aber bei allen Ziffern scheinbar starke Irrtümer und wenigstens keine Übereinstimmung mit jenem Plan. Endlich konnte er sich der Einsicht nicht verschließen, daß der Plan falsch aufgenommen und Längen- und Breitengrade darauf nicht richtig eingetragen seien.
Um die Länge des Orts zu bestimmen, bediente sich Cyprien genau zu Mittag eines ganz vorzüglichen, auf der Pariser Sternwarte regulierten Chronometers. Da er ferner von der Verläßlichkeit seines Kompasses und seines Deklinationsinstruments völlig überzeugt sein konnte, war es ihm leicht, bezüglich des Plans nachzuweisen, daß er wirklich ziemlich hohe Orientationsfehler zeigte, wenigstens soweit das seine eigenen Aufnahmen erkennen ließen.
Der auf dieser Karte nach englischer Gewohnheit durch einen Pfeil mit verschobenem Kreuz bezeichnete Endpunkt lag tatsächlich in Nordnordwest oder doch ziemlich so weit seitwärts. Infolgedessen litten natürlich alle darauf gegründeten Angaben der Karte an entsprechender Ungenauigkeit.
»Aha, ich sehe, wie das gekommen ist!« rief plötzlich der junge Ingenieur. »Die gesattelten Esel, die einst dieses Meisterwerk schufen, haben ganz einfach die Abweichung der Magnetnadel außer acht gelassen. Hier beträgt sie aber nicht weniger als 29 Grad nach Westen . . . Daraus ergibt sich, daß all ihre Längen- und Breitenangaben, um richtig zu sein, gleichsam um ein Bogenstück von 29 Grad in der Richtung von West nach Ost um den Mittelpunkt der Karte gedreht werden müssen! Man muß wahrlich glauben, daß England, um diese Aufnahmen zu machen, nicht seine geschicktesten Geometer hierhergesandt habe!«
Er lachte für sich über diesen Schnitzer.
»Gut! Errare humanum est! Möge der den ersten Stein auf diese wackeren Leute werfen, der sich nie in seinem Leben, und wär's auch nur ein einziges Mal, geirrt hätte!«
Cyprien hatte übrigens keine Ursache, die Richtigstellung, die ihm eben bezüglich der Lage der Diamantengebiete gelungen war, zu verheimlichen. Als er an demselben Tag auf dem Weg nach der Farm Jacobus Vandergaart begegnete, machte er diesem also davon Mitteilung.
»Es ist wirklich merkwürdig«, fügte er hinzu, »daß ein so großer geodätischer Fehler[7], der natürlich alle Karten des Distrikts beeinflußt, nicht früher schon bemerkt worden ist. Er erheischt doch eine sehr bedeutende Berichtigung auf allen Karten des Landes.«
Der alte Steinschneider sah Cyprien mit eigentümlichem Blick an.
»Sprechen Sie die Wahrheit?« fragte er voll Interesse.
»Gewiß!«
»Und Sie wären bereit, diese Tatsache auch vor den zuständigen Behörden zu vertreten?«