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Seitdem hatten sie kaum ein Wort gewechselt. Der Engländer hatte weder danach gefragt, wohin sie in Wien gehen noch wen sie dort treffen und warum sie dies tun sollten — es wäre auch vergebens gewesen, denn der Franzose wußte es ebensowenig. Seine Anweisungen schrieben ihm lediglich vor, vom Londoner Flughafen aus zurückzurufen und seine Ankunft mit der BEA-Maschine auf dem Wiener Flughafen Schwechat zu bestätigen. Dort, so war ihm bei dem Anruf gesagt worden, sollte er sich umgehend am Informationsschalter melden. Alles das machte ihn nervös, und die souveräne Gelassenheit des Engländers neben ihm war nicht geeignet, ihn ruhiger zu stimmen.

Am Informationsschalter in der Haupthalle reichte ihm das hübsche österreichische Mädchen, nachdem er seinen Namen genannt und es in die Fächer des Regals geschaut hatte, einen Notizzettel, auf dem lediglich vermerkt war:»Rufen Sie die Nummer 614403 an. Verlangen Sie Schulze.«

Er wandte sich um und ging auf die Reihe öffentlicher Telephonzellen an der gegenüberliegenden Wand zu. Der Engländer tippte ihm auf die Schulter und deutete auf den Kiosk, der die Aufschrift» Wechselstube «trug.

«Sie werden ein paar Münzen brauchen«, sagte er in fließendem Französisch,»flicht einmal die Österreicher sind derart großzügig-«

Der Franzose bekam einen roten Kopf und marschierte zur Wechselstube, während der Engländer es sich auf einer der gepolsterten Bänke an der Wand bequem machte und sich eine weitere englische King-Size-Filterzigarette ansteckte. Kurz darauf kehrte sein Reisebegleiter mit einigen österreichischen Banknoten und einer Handvoll Kleingeld zurück. Der Franzose trat in eine leere Zelle und wählte. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Herr Schulze und gab ihm knappe, präzise Anweisungen. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann hatte er eingehängt.

Der junge Franzose ging zu der Sitzbank zurück, und der Engländer blickte ihn fragend an. »On y va?« fragte er.

«Ony va. « Als der Franzose sich zum Gehen wandte, zerknüllte er den Zettel mit der Telephonnummer und warf ihn auf den Boden. Der Engländer hob ihn auf, strich ihn glatt und hielt ihn in die Flamme seines Feuerzeugs. Sie flackerte einen Augenblick lang auf, und der Zettel zerfiel in schwarze Flocken, die unter der Sohle des eleganten Wildlederstiefels verschwanden.

Schweigend verließen sie das Flughafengebäude und bestiegen ein Taxi.

Im Zentrum der Stadt waren die Straßen vom Neonlicht gleißend hell erleuchtet und vom Automobilverkehr so gründlich verstopft, daß das Taxi erst nach vierzig Minuten vor der Pension Kleist hielt.

«Hier trennen wir uns. Ich habe Anweisung, Sie herzubringen und dann mit dem Taxi weiterzufahren. Sie sollen gleich zum Zimmer Nummer vierundsechzig hinaufgehen. Dort werden Sie erwartet.«

Der Engländer nickte und stieg aus. Der Taxifahrer drehte sich fragend zu dem Franzosen um.»Fahren Sie weiter.«

Während das Taxi die Straße hinunterfuhr und in der Dunkelheit verschwand, wanderte der Blick des Engländers von der altertümlichen Frakturschrift auf dem Straßenschild zu den großen römischen Ziffern der Hausnummer über dem Eingang der Pension Kleist hinauf. Schließlich warf er seine halbgerauchte Zigarette fort und betrat die Pension.

Der diensttuende Portier stand mit dem Rücken zu ihm hinter dem Empfangstisch, aber die Tür knarrte. Der Engländer machte keine Anstalten, an die Portiersloge heranzutreten, sondern ging sogleich auf die Treppe zu. Der Portier war im Begriff, den Besucher zu fragen, wen er zu sprechen wünsche, als der Engländer in seine Richtung blickte, ihm wie einem beliebigen Hotelbediensteten flüchtig zunickte und» Guten Abend!«sagte.

«Guten Abend, mein Herr«, erwiderte der Portier automatisch, und im nächsten Augenblick war der blonde Mann, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, ohne dabei den Eindruck sonderlicher Eile zu erwecken, bereits die Treppe hinaufgegangen. Oben angelangt, blieb er einen Moment lang stehen und blickte den Korridor entlang. Am anderen Ende befand sich Zimmer Nummer achtundsechzig. Rückwärts zählend, rechnete er sich aus, wo Nummer vierundsechzig sein müßte.

Die Entfernung zwischen ihm und der Tür von Zimmer vierundsechzig betrug etwa sechseinhalb Meter; zur Rechten wurde die Korridorwand von zwei Türen unterbrochen, zur Linken von einem schmalen, zum Teil mit einem Vorhang aus rotem Velours verhängten Alkoven. Er unterzog den Alkoven einer eingehenden Betrachtung. Unter dem bis auf etwa zehn Zentimeter über dem Fußboden herabhängenden Vorhang war die Spitze eines einzelnen schwarzen Schuhs sichtbar.

Der Engländer drehte sich auf dem Absatz um und ging zur Portiersloge zurück.»Geben Sie mir Zimmer vierundsechzig, bitte«, sagte er. Der Portier sah ihn einen Augenblick unschlüssig fragend an, gehorchte dann aber. Nach wenigen Sekunden trat er von dem kleinen Klappenschrank zurück, nahm den Hörer des Telephons auf dem Tresen ab und reichte ihn dem Engländer.

«Wenn der Gorilla im Alkoven nicht innerhalb von fünfzehn Sekunden verschwunden ist, fliege ich sofort zurück«, sagte der blonde Mann und legte auf. Dann stieg er wieder die Treppe hinauf.

Oben angekommen, wartete er, bis sich die Tür von Nummer vierundsechzig öffnete und Oberst Rodin erschien. Er starrte einen Moment zu dem Engländer hinüber und rief dann leise:»Viktor.«

Der hünenhafte Pole trat aus dem Alkoven heraus und blieb, vom einen zum anderen blickend, abwartend stehen. Rodin sagte:»Es ist in Ordnung. Er wird erwartet.«

Kowalsky ließ den Engländer, der jetzt auf den Oberst zuging, nicht aus den Augen.

Rodin führte den Besucher in das Zimmer. Das Mobiliar war umgestellt worden, und der Raum wirkte jetzt wie die Schreibstube einer Musterungskommission. Von Papieren übersät, diente der Schreibtisch als Tisch des Vorsitzenden. Dahinter stand der Stuhl mit der hohen Lehne, den jetzt zwei weitere, aus den angrenzenden Zimmern herbeigebrachte Stühle flankierten. Montclair und Casson, die auf ihnen Platz genommen hatten, blickten dem Engländer neugierig entgegen. Vor dem Tisch stand kein Stuhl.

Der Engländer sah sich in dem Raum um, entschied sich für einen der beiden Sessel und drehte ihn so, daß er dem Tisch gegenüber stand. Als Rodin Viktor mit neuen Instruktionen versehen und endlich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, saß der Engländer bereits bequem zurückgelehnt in dem Sessel und starrte seinerseits unverwandt Casson und Montclair an. Rodin nahm auf seinem Stuhl hinter dem Tisch Platz. Sekundenlang fixierte er den Mann aus London. Was er sah, mißfiel ihm keineswegs, und er war ein Experte in der Beurteilung von Männern. Der Besucher war etwa einsachtzig groß, Anfang Dreißig und von schlankem athletischem Wuchs. Er sah fit aus, seine regelmäßigen, aber nicht sonderlich auffallenden Gesichtszüge waren gebräunt, und seine Hände lagen ruhig auf den Armlehnen des Sessels. Auf Rodin machte er den Eindruck eines Mannes, der auch in kritischen Situationen die Kontrolle über sich selbst nicht verlor. Was ihn störte, waren einzig die Augen des Engländers. Sie erwiderten ungerührt den kritischen Blick, mit dem man ihn musterte,und wirkten offen und klar, sofern man von dem fleckigen Grau der Iris absah, das einen unwillkürlich an den nebligen Frost eines frühen Wintermorgens denken ließ. Rodin brauchte ein paar Sekunden, um zu entdecken, daß sie bar jeden Ausdrucks waren. Was auch immer sich in diesem Menschen abspielen mochte, das Grau seiner Augen blieb undurchdringlich wie eine Rauchwand und verriet nichts. Rodin beschlich ein Gefühl des Unbehagens. Wie jedem von Systemen und vorgeschriebenen Prozeduren geprägten Menschen mißfiel ihm alles Unberechenbare und daher Unkontrollierbare.

«Wir wissen, wer Sie sind«, begann er ohne Übergang.»Es ist daher an der Zeit, daß ich mich Ihnen vorstelle. Ich bin Oberst Marc Rodin — «

«Ich weiß«, sagte der Engländer.»Sie sind der Stabschef der OAS. Sie sind Major Rene Montclair, Schatzmeister, und Sie Monsieur Andre Casson, Chef der Untergrundbewegung in der Metropole. «Während er sprach, blickte er die drei Männer der Reihe nach an und griff nach einer Zigarette.