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Der Zug bewegte sich im Gänsemarsch, als erster Unteroffizier Befar, als Schlußglied in

der langen Kette General Lan Pirot. Hinter ihnen ritt Urfin auf dem Rücken von Meister

Petz.

Nur ein Mann in diesem seltsamen Zug verspürte Müdigkeit und Hunger: Urfin, der Begründer und Gebieter der Armee.

Es war schon Mittag und an der Zeit, Rast zu machen. Unteroffizier Befar aber stapfte

unbeirrt vorwärts, gefolgt von den zackig marschierenden, unermüdlichen Soldaten. Urfin,

aber hielt es nicht länger aus und befahl Lan Pirot:

„General, die Armee soll halten. Gebt den Befehl nach vorn weiter."

Lan Pirot stieß mit seiner Keule den letzten Soldaten in den Rücken und schrie:

,,Weitergeben . . ."

Der Holzkopf wartete das Ende des Befehls gar nicht ab. Er glaubte, daß sein Vorgesetzter aus irgendeinem Grunde, der ihn, den Mann Gelb Nr. 10, nichts angehe, es für notwendig hielt, daß der Stoß nach vorn weitergegeben werde. Er rief „weitergeben" und stieß seinen Knüppel in den Rücken des Vordermannes, Gelb Nr. 9. Der Stoß war aber kräftiger ausgefallen als der, den er empfangen hatte.

„Weitergeben!" schrie Gelb Nr. 9 und hieb seinen Knüppel mit solcher Wucht gegen den Rücken von Gelb Nr. 8, daß dieser fast umfiel.

„Weitergeben! Weitergeben! Weitergeben!" ging der Ruf durch die Kolonne, und die Hiebe wurden immer zahlreicher und stärker.

Die Holzköpfe waren in Eifer geraten, die Knüppel hämmerten wütend gegen die bemalten Körper, einige Soldaten stürzten . . .

Erst nach geraumer Zeit gelang es Urfin, die Ordnung wiederherzustellen und seine arg zugerichtete Holzarmee auf eine Lichtung hinauszuführen, wo Rast gemacht wurde. Dann ging es weiter nach Norden.

Bald zeigten sich zu beiden Seiten des Weges die reichen Farmen des Smaragdenlandes. Alles war hier grün: die Häuser, die Zäune, die Kleider der Leute und ihre spitzen Hüte, an deren breiten Krempen jedoch keine Silberschellen hingen.

Die auf den Feldern arbeitenden Einwohner des Smaragdenlandes flohen beim Anblick der Holzköpfe, die dröhnend den Backsteinweg daherstampften. Die Leute versteckten sich hinter ihren grünen Zäunen und blickten ängstlich auf die ungebetenen grimmigen Gäste, doch keiner wagte es, sich ihnen zu nähern und zu fragen, wer sie seien und was sie hier begehrten.

Kaggi-Karr, eine geschwätzige und zänkische, im Grunde aber gutmütige Krähe, hatte dem Scheuch den Gedanken eingegeben, sich ein Gehirn zu besorgen. Wir wollen erzählen, was aus ihr geworden ist, nachdem Elli den Scheuch vom Pfahl heruntergeholt und in die Smaragdenstadt mitgenommen hatte.

Die Krähe war Elli und dem Scheuch nicht gefolgt. Sie betrachtete das Weizenfeld als ihr rechtmäßiges Besitztum und blieb dort in Gesellschaft zahlloser anderer Krähen, Dohlen und Elstern. Sie fraßen dermaßen, daß der Farmer, als er die Ernte einbringen wollte, nichts als leeres Stroh vorfand.

„Da hat selbst die Vogelscheuche nichts geholfen", seufzte der Farmer. Er kümmerte sich aber nicht weiter um den verschwundenen Scheuch und ging mit leeren Händen nach Hause.

Später erfuhr Kaggi-Karr durch die Vogelpost, daß irgendein Scheuch als Nachfolger des großen Zauberers Goodwin Herrscher in der Smaragdenstadt geworden sei. Im ganzen Wunderland könne es keine andere lebende Vogelscheuche geben, überlegte Kaggi-Karr, als die, der sie einst geraten hatte, sich ein Gehirn zu verschaffen. Für diese großartige Idee gebühre ihr eine Belohnung, folgerte die Krähe und flog schnurstracks in die Smaragdenstadt. Es war aber nicht leicht, zum Weisen Scheuch vorzudringen. Din Gior lehnte es ab, eine gewöhnliche Krähe, wie er sagte, zum Herrscher vorzulassen.

Kaggi-Karr war empört.

„Eine gewöhnliche Krähe, sagst du? So höre denn, Langbart: Ich bin eine alte Freundin deines Herrn, sozusagen seine Erzieherin und Lehrmeisterin. Ohne mich wäre er niemals zu seiner hohen Stellung gekommen! Und meldest du mich nicht augenblicklich dem Weisen Scheuch, so wird es dir schlimm ergehen!"

Der Langbart meldete die Krähe seinem Herrn und war nicht wenig erstaunt, als dieser

befahl, sie sofort einzulassen und ihr alle höfischen Ehren zu erweisen.

Der Scheuch hatte die Krähe f ür immer in dankbarer Erinnerung behalten. Er empfing sie

strahlenden Angesichts in Anwesenheit der Höflinge, stieg von seinem Thron und machte

mit seinen weichen, schwachen Beinen drei Schritte auf sie zu.

Das ging in die Annalen des Hofes als größte Ehrung ein, die jemals einem Gast zuteil

wurde.

Auf Befehl des Scheuchs wurde Kaggi-Karr in den Rang einer Hofdame erhoben und erhielt den Titel Erste Abschmeckerin. Der Scheuch selber brauchte zwar kein Essen, doch er führte einen guten Tisch für seine Höflinge. Unter Goodwin hatte es einen solchen Brauch nicht gegeben, und die Höflinge priesen und lobten die Freigebigkeit ihres neuen Herrschers.

Der Krähe wurde ein herrliches Weizenfeld unweit der Stadtmauer zugewiesen, das von nun an als ihr Besitztum galt.

Als Urfins Holzarmee anrückte, war Kaggi-Karr gerade dabei, eine zahlreiche Vogelgesellschaft auf ihrem Feld zu bewirten. Beim Anblick der bunt bemalten grimmigen Holzmänner auf dem Backsteinweg erriet sie, daß es Feinde waren. Sie befahl ihren Gästen, diese aufzuhalten, und flog eiligst in die Stadt.

Das Amt des Torhüters der Smaragdenstadt versah Faramant. Seine oberste Pflicht bestand darin, zahlreiche grüne Brillen aller Größen aufzubewahren, die auf Goodwins Befehl ein jeder beim Betreten der Stadt aufsetzen mußte. Damit die Leute die Brillen nicht abnahmen, waren diese hinten mit kleinen Schlössern versehen. Der Weise Scheuch, der Goodwins Gesetze achtete, änderte nichts an diesem Brauch.

Kaggi-Karr schrie dem Hüter des Tores zu, daß Feinde im Anzug seien, und flog in das Schloß.

Die unzähligen Dohlen, Elstern und Spatzen, die auf dem Felde zurückgeblieben waren, stürzten sich auf Urfins Holzarmee, um ihren Vormarsch aufzuhalten. Die Vögel flatterten vor den Gesichtern der Soldaten, stießen ihnen die Schnäbel in die Rücken, gingen auf ihre Köpfe nieder und versuchten, ihnen die Glasaugen herauszupicken. Eine flinke Elster riß dem General sogar den Hut vom Kopf und flog mit ihm davon.

Die Holzsoldaten fuchtelten mit ihren Säbeln und Knüppeln, doch die Vögel wichen ihnen geschickt aus. Ein blauer Soldat traf aus Versehen den Arm eines grünen, der sich, vom Gefecht benommen, auf ihn stürzte. Es kam zu einem wüsten Handgemenge. Als Unteroffizier Giton sich zwischen die beiden warf, traf ihn zufällig der Knüppel eines orangefarbenen Holzkopfs (der Schlag hatte einer Elster gegolten) und riß ihm das Ohr ab. Es entstand ein schrecklicher Tumult. Urfin brüllte und stampfte mit den Füßen, General Lan Pirot wußte nicht, was er eher tun sollte: dem diebischen Vogel nachrennen oder das Heer wieder ausrichten. Die militärische Disziplin gewann jedoch die Oberhand: Der General gab seinen Hut auf (die Elster baute aus ihm später ein prächtiges Nest) und begann mit seiner schweren Keule die Holzköpfe zu bearbeiten. Es gelang ihm, die Ordnung notdürftig wiederherzustellen. Die Armee hatte indessen die Vögel abgewehrt und trampelte nun auf das Tor zu. Wegen des Getümmels hatte sie aber viel Zeit verloren, und Kaggi-Karr schaffte es gerade noch, die Stadt vom Anzug des Feindes zu benachrichtigen.