Выбрать главу

Mit einer angeketteten Hand nahm ich den Schwertgriff. Ich gab mir Mühe, die Waffe möglichst ungeschickt zu halten, wie einen Hammer und viel zu weit oben am Schutzsteg, was im Falle eines Kampfes meine Bewegungsfreiheit entscheidend beschnitten hätte.

Einige Männer lachten. Kliomenes lehnte sich auf seinem Thron zurück. Er hatte mich genau beobachtet. Er war ein eitler, arroganter Mann, aber nicht dumm. Er hatte seinen Leutnantposten bei Policrates nicht mit Dummheit errungen.

»Kannst du mich nicht töten, wie ich bin, in Ketten?« fragte ich. »Mußt du mich noch verspotten?«

»Bringt ihn nach draußen«, befahl Kliomenes, stand auf und reckte sich.

»Bitte, Kapitän, tu mir einen Gefallen!« flehte ich.

»Was?«

»Die Männer aus dem Windenraum sollen nicht erfahren, was mit mir geschehen ist!«

»Bringt sie in Ketten nach draußen!« wandte sich Kliomenes prompt an meinen Bewacher. »Sie sollen beobachten, was mit diesem Burschen geschieht.«

»Nein, Kapitän, bitte!«

Doch schon zerrten mich zwei Männer an den Armen aus dem Raum.

Im grellen Licht der Sonne kniff ich die Augen zusammen.

Ich spürte, wie mir die Ketten von Armen und Beinen genommen wurden. Bewaffnete umringten mich. In einer Hand hielt ich noch immer das Schwert des Piraten – und spielte weiter den Unerfahrenen und Ängstlichen.

Ich sah mich um. Ich stand auf einem etwa zwanzig Fuß breiten Bohlengang, der das Innenbecken der Festung säumte. Wir befanden uns innerhalb der furchteinflößend hohen Mauern. In dem Becken lagen nur fünf Schiffe und kleinere Boote. Rechts von mir erhob sich die große Eisentür, die in die Tiefen der Festung führte. Auf der anderen Seite des Innenbeckens, etwa hundert Meter Wasserfläche entfernt, sah ich den Holzgang am Fuße der Außenmauer und die Treppe, die zu den Wehrgängen der Mauer emporführte. Mein Blick ruhte schließlich auf dem nächsten Wassertor.

»Du wirst bald erkennen müssen, wohin deine Tollkühnheit führt«, sagte mein Wächter, dessen Schwert ich umklammert hielt.

Ringsum wurde gelacht.

Im nächsten Moment hörte ich das Klappern von Ketten, die in langsamem Rhythmus bewegt wurden. Meine Leidensgenossen von der Winde wurden ins Freie geführt, um sich mein Schicksal anzuschauen.

Ich senkte den Kopf, als sei ich beschämt, als würde ich gleich als Lügner vor ihnen stehen. Mit dieser Bewegung verdeckte ich zugleich mein Lächeln über die Tatsache, daß die Männer nicht mehr oben im Windenraum hockten und schwere Transportketten trugen. So würde es gewiß mehrere Ehn dauern, ehe sie an die Winde zurückkehren und das Wassertor öffnen konnten.

»Zurück! Macht Platz!« sagte Kliomenes und trat auf mich zu. Erschaudernd wich ich zurück. Er reichte einem Begleiter sein Schwert und zog sich die Tunika bis zur Hüfte herab. Dann nahm er die Waffe zurück und vollführte damit mehrere Hiebe durch die Luft, um die Balance der Klinge zu testen. Es war eine schnelle Waffe. Ich wußte aber auch, daß meine sich noch schneller bewegen konnte.

»Wir brauchen Platz«, sagte Kliomenes.

Die Männer traten zurück und bildeten einen großen Kreis. Zwei Begleiter des Kliomenes, das entging mir nicht, hatten blank gezogen. Sollte er zufällig in die Enge getrieben werden, so würden sie sich bestimmt sofort für ihn verwenden. Nützen konnte es mir in meiner derzeitigen Lage nicht, Kliomenes zu verwunden oder zu töten. Mein Ziel war es nicht, mit ihm abzurechnen, sondern aus der Festung freizukommen. Und das schien mir nur möglich zu sein, wenn es mir gelang, seine Eitelkeit und vielleicht auch eine gewisse Unvernunft in ihm anzustacheln, die mir nützen konnten.

»Bist du bereit, du störrischer Einfaltspinsel, du hübscher Prahlhans, deine großen Worte einzulösen?« fragte Kliomenes.

Ich betrachtete meine Leidensgenossen von der Winde. Mürrisch standen sie in ihren Ketten vor mir. Ihre niedergeschlagene Stimmung freute mich. Trotz meiner großen Töne an der Winde, die ihnen sicher auf die Nerven gegangen waren, schienen sie sich nicht darauf zu freuen, einen der ihren niedergemetzelt zu sehen. Dies freute mich. Es ließ sich auch hoffen, daß sie es schwierig finden würden, sehr schnell in den Windenraum zurückzukehren. In ihrer Eile würden sie vielleicht sogar stürzen oder sich in ihre Ketten verwickeln. Solche Dinge geschehen nun mal.

Abrupt zuckte die Klinge auf mich zu.

Aus dem Gleichgewicht geworfen, torkelte ich zurück.

»Ein Glücksstreich der Abwehr«, sagte einer der Piraten.

»Hier gibt es keinen Callimachus, der dich rettet, Dummkopf!« fauchte Kliomenes, betrachtete mich abschätzend und bewegte seine Schwertklinge einen Meter vor meiner Brust hin und her.

Und wieder fuhr der Stahl wie eine Ost auf mich zu.

»Der Hafenarbeiter hat Glück«, sagte einer der Piraten.

Doch nun überkam mich wirkliche Angst, denn ich erkannte, daß Kliomenes mich diesmal wirklich hatte treffen wollen. Er war einen Schritt zurückgetreten und betrachtete mich aufmerksam. Ein Parierstreich mochte Glück sein, aber zwei von der Sorte, hintereinander, offensichtlich ungeschickt geführt und doch gleichermaßen wirkungsvoll, sprachen gegen die Wahrscheinlichkeit bei solchen Kämpfen.

»Er kennt sich aus«, verkündete Kliomenes.

»Er ist ungeschickt!« rief einer seiner Männer lachend. Andere fielen in das Lachen ein. »Hast du Angst, Kliomenes?« fragte jemand.

Kliomenes warf einen Blick auf die beiden Männer, die ihm am nächsten standen, die Männer, die ihre Schwerter gezogen hatten. Es genügte ein Wort, und die beiden würden sich auf mich stürzen, womöglich gefolgt von anderen.

Ich ließ mein Schwert fallen.

Kliomenes erstarrte, griff aber nicht an. »Jetzt hättest du ihn töten können«, sagte ein Mann.

Schweratmend und ungeschickt nahm ich die Waffe wieder auf. Ich blickte Kliomenes an, als sei ich zutiefst erschrocken.

Unentschlossen musterte mich mein Gegner. Er wußte, daß ich das Schwert wieder an mich hätte nehmen können, ehe er mich erreichte. Dagegen konnte er nicht sicher sein, ob ich das ebenfalls wußte.

»Sei gnädig, Herr«, sagte ich.

»Er hat Angst«, bemerkte einer der Piraten.

Da erkannte ich, daß ich mich auf ein höchst gefährliches Spiel einlassen mußte. Nicht die anderen waren von meinem Unvermögen mit der Klinge zu überzeugen, sondern Kliomenes selbst. Die Zuschauer waren nicht wichtig.

»Verzeih mir, Kapitän«, flehte ich, kniete nieder und legte mein Schwert auf die Bohlen vor mir. Dann schob ich es mit dem Griff voran auf ihn zu.

Die Piraten machten ihrer Verachtung Luft.

»Bitte, Kapitän!« rief ich. »Laß mich wieder an die Winde ketten!«

Kliomenes lächelte. »Feigling!« riefen mehr als eine Stimme.

Ich kniete auf dem Holz und war der Gnade des Kliomenes wehrlos ausgeliefert. Er hätte sich auf mich stürzen und töten können wie eine angebundene Verr.

»Bitte, Kapitän!« schien ich zu bitten, »laß mich wieder an die Winde ketten!«

Kliomenes sah sich um und lächelte. Dann schob er die Klinge zu mir zurück. »Nimm dein Schwert!« befahl er.

Ich gehorchte; im gleichen Moment griff er an, und ich begegnete der herabzuckenden Klinge mit empordrängendem Stahl und einem Funkenschauer. Kliomenes stand nicht im Gleichgewicht, und ich wuchs dicht vor ihm empor, innerhalb seiner Abwehr, und packte ihn und drehte ihn in der Beuge meines rechten Arms halb herum, die Klinge in dieser Hand haltend. »Zurück!« rief ich den herbeieilenden Piraten zu. Meine linke Hand war in seinem Haar vergraben und zog seinen Kopf zurück, meine Klinge lag an seiner Kehle.

»Zurück!« flüsterte Kliomenes angespannt, ohne sich rühren zu können. Ohne ihn loszulassen, drehte ich mich um und vergewisserte mich, daß die anderen nicht zu nahe heranrückten.

»Nicht näherkommen!« warnte ich die Piraten. »Sonst schneide ich ihm die Kehle durch!«

»Ich bin ausgerutscht«, sagte Kliomenes. »Ausgerutscht.«

»Laß dein Schwert fallen«, sagte ich zu Kliomenes, und er gehorchte.

»Loslassen!« forderte einer der Piraten. »Du hast keine Chance zur Flucht!«