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Laura hatte sich die Finger aufgerissen, der zweite Schieferstein war von ihrem Blut naß, als der barfüßige Mann im weißen Hemd und der schwarzen Hose zwölf Meter von ihr entfernt um die Biegung des engen Arroyos kam.

Klietmann trat wachsam näher und fragte sich, weshalb zum Teufel sie so verzweifelt an dem Feuerlöscher herummurkste. Glaubte sie wirklich, ein Strahl chemisch erzeugten Nebels könne ihn ablenken und sie vor MP-Feuer schützen?

Oder war der Feuerlöscher nicht, was er zu sein schien? Seit er vor weniger als zwei Stunden in Palm Springs angekommen war, hatte er mehrere Dinge gesehen, die etwas anderes waren, als sie zu sein schienen. Beispielsweise bedeutete ein roter Randstein nicht KURZPARKZONE, wie er gedacht hatte, sondern DURCHGEHENDES PARKVERBOT. Wer hätte das ahnen können? Und wer konnte beurteilen, was es mit diesem Behälter, an dem sie herumwerkte, auf sich hatte?

Sie hob den Kopf, schaute kurz zu ihm hinüber und fummelte dann weiter am Handgriff des Feuerlöschers herum.

Klietmann schob sich durch den Arroyo vorwärts, der jetzt nicht einmal mehr Platz für zwei Männer nebeneinander geboten hätte. Wäre der Junge zu sehen gewesen, wäre er nicht näher an die Frau herangegangen. Falls sie den Kleinen jedoch unterwegs in irgendeiner Spalte versteckt hatte, würde er sie zur Preisgabe seines Verstecks zwingen müssen, denn er hatte Befehl, sie alle zu liquidieren - Krieger, die Frau und den Jungen. Klietmann bezweifelte, daß der Junge eine Gefahr für das Reich darstellte, aber Befehl war Befehl.

Stefan fand ein ausgezogenes Paar Schuhe und zusammengeknüllte schwarze Socken voller Sand. Schon zuvor hatte er eine Sonnenbrille gefunden.

Er war noch nie einem Mann gefolgt, der sich unterwegs ausgezogen hatte, und das erschien ihm anfangs irgendwie komisch. Aber dann dachte er an die in den Romanen Laura Shanes geschilderte Welt, in der sich Komik und Entsetzen mischten, eine Welt mit Tragik in Augenblicken der Heiterkeit, und hatte plötzlich Angst vor den abgelegten Schuhen und Socken, weil sie komisch waren. Er hatte sogar den verrückten Gedanken, unter keinen Umständen lachen zu dürfen, weil sein Lachen Lauras und Chris’ Tod zur Folge haben würde.

Wenn sie diesmal starben, würde er sie nicht retten können, indem er in die Vergangenheit zurückreiste und ihnen eine weitere Warnung schickte, die früher ankommen mußte als die in der Glaskaraffe, denn dafür hätte nur eine Zeitspanne von fünf Sekunden zur Verfügung gestanden. Selbst mit einem IBM-PC ließ sich kein so feines Haar mehr spalten.

Im Sand des Flußbetts führten die Fußabdrücke des Barfüßigen zur Einmündung eines Nebenarms. Obwohl die Schmerzen in Stefans halbverheilter Schulter ihm den Schweiß auf die Stirn trieben und ihn benommen machten, folgte er der Fährte, wie Robinson Crusoe der Freitags gefolgt war - nur mit schlimmeren Vorahnungen.

Laura beobachtete mit wachsender Verzweiflung, wie der Nazi-Killer durch die Schatten am Boden der Erdschlucht näher kam. Seine Uzi war auf sie gerichtet, aber aus irgendeinem Grund hämmerte sie nicht sofort los. Sie benützte diese unerklärliche Galgenfrist, um fieberhaft weiter an dem Sicherheitsdraht um den Handgriff des Vexxon-Zylinders zu sägen.

Daß sie selbst unter diesen Umständen noch hoffen konnte, hing mit einem Gedanken aus einem ihrer Romane zusammen, an den sie sich soeben erinnert hatte: In Tragik und Verzweiflung, wenn eine endlose Nacht herabgesunken zu sein scheint, finden wir Hoffnung in der Erkenntnis, daß der Gefährte der Nacht keine weitere Nacht ist, daß der Gefährte der Nacht der Tag ist, die Dunkelheit stets dem Licht weicht und der Tod nur die eine Hälfte der Schöpfung regiert - und das Leben die andere.

Jetzt nur mehr sechs, sieben Meter von ihr entfernt, fragte der Killer: »Wo ist der Junge? Der Junge! Wo steckt er?«

Laura spürte Chris hinter ihrem Rücken, wo er im Schatten zwischen ihr und der Steilwand kauerte, die den Abschluß des Arroyos bildete. Sie fragte sich, ob ihr Körper ihn vor den Kugeln schützen und dieser Mann abziehen würde, nachdem er sie erschossen hatte, ohne zu merken, daß Chris in der dunklen Nische hinter ihr noch lebte.

Der Zeitschalter des Zylinders klickte. Aus der Düse strömte unter hohem Druck Nervengas mit reichem Aprikosenduft und dem widerlichen Geschmack eines Gemischs aus Zitronensaft und saurer Milch.

Klietmann sah nichts aus dem Behälter ausströmen, aber er hörte etwas wie das Zischen Dutzender von Schlangen.

Im nächsten Augenblick hatte er das Gefühl, eine Hand habe sich durch seine Bauchdecke gebohrt, mit eisenharten Fingern seinen Magen umklammert und ihn herausgerissen. Er krümmte sich zusammen und erbrach sich explosiv in den Sand und auf seine nackten Füße. Mit einem schmerzhaften Aufblitzen, das seine Augen von innen versengte, schien etwas in seinen Stirnhöhlen zu zerplatzen, ein Blutstrom schoß ihm aus der Nase. Während er auf dem Boden der Arroyos zusammenbrach, betätigte er reflexartig den Abzug der Uzi; weil er wußte, daß er starb und dabei jegliche Körperbeherrschung verlor, bemühte er sich mit letzter Willensanstrengung, auf die der Frau zugewandte Seite zu fallen, um sie durch diesen abschließenden Feuerstoß mit sich in den Tod zu nehmen.

Kurz nachdem Stefan den engsten aller Nebenarme betreten hatte, dessen Wände schräg nach innen geneigt zu sein schienen, anstatt wie in den anderen Schluchten oben auseinanderzuweichen, hörte er ganz in der Nähe einen langen Feuerstoß aus einer MP und hastete verzweifelt weiter. Er stolperte mehrmals, prallte von den Erdwänden ab, aber er folgte dem verwickelten Korridor bis zum Ende, wo er auf den durch Vexxon getöteten SS-Führer stieß.

Zehn Schritte dahinter hockte Laura mit gespreizten Beinen im Sand, hatte den Gasbehälter zwischen ihren Schenkeln und hielt ihn mit blutenden Händen umklammert. Ihr Kopf hing herab, ihr Kinn ruhte auf der Brust; sie wirkte schlaff und leblos wie eine Stoffpuppe.

»Laura, nein«, sagte er mit einer Stimme, die er kaum als seine erkannte. »Nein, nein!«

Sie hob den Kopf, starrte ihn blinzelnd an, fuhr zusammen und lächelte endlich schwach. Sie lebte.

»Chris?« fragte er und stieg über den Toten hinweg. »Wo ist Chris?«

Sie stieß den noch immer zischenden Nervengasbehälter von sich weg und rückte zur Seite.

Chris lugte aus der dunklen Nische hinter ihr und erkundigte sich: »Alles okay, Stefan? Du siehst beschissen aus. Entschuldigung, Mom, aber das stimmt wirklich.«

Zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren - oder zum ersten Mal seit über fünfundsechzig Jahren, wenn man die mitzählte, der er übersprungen hatte, um in Lauras Gegenwart zu kommen, weinte Stefan Krieger. Er staunte über seine Tränen, denn er hatte geglaubt, durch sein Leben im Dritten Reich unfähig geworden zu sein, jemals wieder um etwas oder jemanden zu weinen. Und was noch erstaunlicher war - diese ersten Tränen seit Jahrzehnten waren Freudentränen.

Bis an ihr seliges Ende

1

Als die Polizei über eine Stunde später vom Tatort des MP-Überfalls auf den Streifenpolizisten entlang der Staatsstraße 111 weiter nach Norden vorrückte, als sie den von Kugeln durchlöcherten Toyota fand und am Rand des Arroyos blutige Spuren im Sand und Schiefergrund sah, als sie die weggeworfene Uzi entdeckte und Laura und Chris in der Nähe des Buick mit den Nissan-Kennzeichen erschöpft aus der Schlucht heraufklettern sah, erwartete sie, die nähere Umgebung mit Leichen übersät vorzufinden, und wurde nicht enttäuscht. Die ersten drei lagen ganz in der Nähe auf dem Boden der Schlucht, die vierte fand sich in einem entfernten Nebenarm, zu dem die erschöpfte Frau sie führte.

An den darauffolgenden Tagen schien Laura mit den zuständigen Stellen der Ort-, Staats- und Bundespolizei rückhaltlos zusammenzuarbeiten - und trotzdem war keine von ihnen davon überzeugt, daß sie die volle Wahrheit sagte. Nach ihrer Aussage hatten die Drogenhändler, die vor einem Jahr ihren Mann erschossen hatten, nun auch sie durch angeheuerte Killer ermorden lassen wollen, weil sie offenbar fürchteten, sie könnten von ihr identifiziert werden. Lauras Haus bei Big Bear war so brutal überfallen worden, daß sie hatte flüchten müssen, und sie war nicht zur Polizei gegangen, weil sie befürchtet hatte, dort nicht ausreichend Schutz für sich und ihren Sohn zu finden. Seit jenem MP-Überfall am 10. Januar, dem ersten Jahrestag der Ermordung ihres Mannes, war sie 15 Tage lang auf der Flucht gewesen; trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hatten die Killer sie in Palm Springs aufgespürt, auf der Staatsstraße 111 verfolgt, von der Fahrbahn in die Wüste abgedrängt und zu Fuß durch die Arroyos gehetzt, wo es Laura schließlich gelungen war, sie zu erledigen.