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»So ist’s aber gewesen ...«

»Aber es nimmt Ihnen keiner ab! Die Cops glauben dann eher, Sie hätten den Junkie erschossen. Da Sie keine Waffe besitzen - zumindest keine amtlich registrierte -, werden sie sich fragen, ob Sie den Kerl mit einer illegalen Waffe erschossen und die Waffe dann weggeworfen haben, bevor Sie sich diese verrückte Story von dem geheimnisvollen Rächer ausdachten, der reingekommen sein und Sie gerettet haben soll.«

»Ich habe einen guten Ruf als Geschäftsmann.«

In den Blick des Unbekannten trat ein seltsam trauriger, fast gequälter Ausdruck. »Bob, Sie sind ein netter Kerl - aber manchmal ein bißchen naiv.«

»Was wollen Sie damit ...?«

Der Blonde hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Wenn’s zum Schwur kommt, ist ein guter Ruf immer weniger wert, als man denkt. Die meisten Menschen sind gutherzig und bereit, im Zweifelsfall für den Angeklagten zu entscheiden, aber einige Böse legen es darauf an, andere zu ruinieren.« Seine Stimme war zu einem Flüstern geworden, und obwohl er Bob weiter ansah, schienen vor seinem inneren Auge andere Orte, andere Menschen zu stehen. »Aus Neid, Bob. Der Neid frißt sie auf. Wären Sie reich, würden sie Ihnen Ihr Geld neiden. Aber da Sie keines haben, neiden sie Ihnen Ihre hübsche, intelligente, liebenswerte Tochter. Sie sind auf Sie neidisch, nur weil Sie glücklich sind. Sie sind neidisch auf Sie, weil Sie auf niemanden neidisch sind. Zu den größten Tragödien der menschlichen Existenz gehört die Tatsache, daß manche Menschen ihr Glück nur im Elend anderer finden.«

Den Vorwurf der Naivität konnte Bob nicht zurückweisen, und er wußte, daß der Unbekannte die Wahrheit sagte. Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken.

Nach kurzem Schweigen wurde der gequälte Blick des Mannes wieder drängend. »Und wenn die Cops denken, daß Ihre Story von dem Einzelgänger, der Sie gerettet haben soll, ein Lügenmärchen ist, werden Sie sich fragen, ob der Junkie vielleicht gar keinen Raubüberfall verüben wollte, sondern Sie ihn vielleicht gekannt und Streit mit ihm gehabt haben und daraufhin vielleicht einen Mord planten und als Raubüberfall zu tarnen versuchten. So denken die Cops, Bob! Selbst wenn sie Ihnen nichts nachweisen können, werden sie’s so hartnäckig versuchen, daß sie Ihr ganzes Leben damit ruinieren. Wollen Sie Laura das antun?«

»Nein.«

»Dann halten Sie sich an meine Story.«

Bob nickte zögernd. »Gut, ich halte mich daran. Aber wer sind Sie, verdammt noch mal?«

»Das spielt keine Rolle. Für Erklärungen ist ohnehin keine Zeit.« Er trat hinter die Ladentheke und beugte sich zu Laura hinunter. »Hast du verstanden, was ich deinem Vater erzählt habe? Wenn die Polizei dich fragt ...«

»Sie sind mit diesem Mann zusammen gewesen«, sagte Laura und nickte zu dem Toten hinüber.

»Richtig!«

»Sie sind sein Freund gewesen«, fuhr sie fort, »aber dann haben Sie sich meinetwegen mit ihm gestritten. Ich weiß aber nicht, warum, weil ich nichts getan hatte ...«

»Der Grund spielt keine Rolle, Schatz«, versicherte der Unbekannte ihr.

Laura nickte. »Und dann haben Sie ihn erschossen und sind mit unserem ganzen Geld rausgelaufen und mit dem Auto weggefahren, und ich hab’ große Angst gehabt.«

Der Mann sah zu Bob auf. »Acht Jahre alt, was?«

»Sie ist ein kluges Mädchen.«

»Trotzdem wär’s am besten, wenn die Cops sie nicht allzu eingehend vernehmen würden.«

»Das lasse ich nicht zu.«

»Falls sie’s doch tun«, warf Laura ein, »weine und weine ich, bis sie aufhören.«

Der Unbekannte lächelte Laura so liebevoll an, daß Bob unbehaglich dabei wurde. Aber er benahm sich ganz anders als der Kerl, der sie in den Lagerraum hatte schleppen wollen. Aus seinem Gesichtsausdruck sprach zärtliche Zuneigung. Und als er jetzt ihre Wange berührte, schimmerten überraschenderweise Tränen in seinen Augen. Er richtete sich blinzelnd auf. »Stecken Sie das Geld weg, Bob. Denken Sie daran, daß ich damit geflüchtet bin.«

Bob merkte erst jetzt, daß er das Bündel Geldscheine noch immer in der Hand hielt. Er stopfte es in die Hosentasche, und seine lose Schürze verdeckte die Ausbuchtung.

Der Unbekannte schloß die Ladentür auf und ließ das Rollo nach oben gleiten. »Passen Sie gut auf sie auf, Bob. Sie ist was Besonderes.« Dann lief er in den Regen hinaus, ohne die Tür hinter sich zu schließen, und stieg in den Buick. Die Reifen quietschten, als er anfuhr.

Das Radio war noch immer eingeschaltet, und Bob nahm es zum ersten Mal wieder wahr, seit »The End of the World« erklungen und der Junkie erschossen worden war. Jetzt sang Shelley Fabares »Johnny Angel«.

Plötzlich hörte er auch den Regen wieder - nicht nur als dumpf brausendes Hintergrundgeräusch, sondern wie er gegen die Schaufenster und auf das Dach der Wohnung über dem Laden trommelte. Trotz des durch die offene Tür kommenden Schwalls frischer Luft war der Blut- und Uringestank plötzlich viel schlimmer als noch im Augenblick zuvor, und Bob wurde ebenso plötzlich klar - als sei er aus einer Trance des Schrek-kens wieder zu vollem Bewußtsein erwacht -, in welcher schrecklichen Gefahr seine kostbare Laura geschwebt hatte. Er schloß sie in die Arme, hob sie hoch, wiederholte ihren Namen und strich ihr übers Haar. Er vergrub sein Gesicht an ihrer Schulter, roch den süßen Duft ihrer Haut, spürte den Puls an ihrem Hals und dankte Gott dafür, daß sie noch lebte.

»Ich liebe dich, Laura.«

»Ich liebe dich auch, Daddy. Ich liebe dich wegen Sir Keith Kröterich und wegen einer Million anderer Gründe. Aber wir müssen jetzt die Polizei anrufen.«

»Ja, natürlich«, sagte er und setzte sie widerstrebend ab. Seine Augen standen voller Tränen. Er war so entnervt, daß er nicht mehr wußte, wo das Telefon stand.

Laura hatte bereits den Hörer abgenommen. Sie hielt ihn ihrem Vater hin. »Ich kann sie auch anrufen, Daddy. Die Nummer steht hier auf der Wählscheibe. Soll ich sie anrufen?«

»Nein, das mach’ ich selbst, Baby.« Er wischte sich die Tränen aus den Augen und setzte sich auf den alten Holzhocker hinter der Registrierkasse.

Laura legte ihm eine Hand auf den Arm, als wisse sie, daß er ihre Nähe brauchte.

Janet war innerlich sehr stark gewesen. Aber Lauras Kraft und Selbstbeherrschung waren für ihr Alter ungewöhnlich, und Bob Shane wußte nicht recht, woher sie diese Kräfte hatte. Vielleicht war sie als Halbwaise selbständiger als andere in ihrem Alter .

»Daddy?« Laura tippte mit einem Finger aufs Telefon. »Vergiß die Polizei nicht!«

»Ja, richtig«, sagte Bob. Er bemühte sich, den Todesgestank zu ignorieren, der den Laden erfüllte, und wählte die Notrufnummer der Polizei.

Kokoschka saß gegenüber von Bob Shanes kleinem Laden in einem Auto und betastete nachdenklich den Schmiß auf seiner Backe.

Es regnete nicht mehr. Die Polizei war wieder weggefahren. Mit Einbruch der Dunkelheit waren Neonreklamen und Straßenlampen aufgeflammt, aber der Asphalt glänzte trotz dieser Beleuchtung schwarz, als sauge er das Licht auf, anstatt es zu reflektieren.

Kokoschka war zugleich mit Stefan, dem blonden, blauäugigen Verräter, in dieser Straße angekommen. Er hatte den Schuß gehört, Stefan mit dem Auto des Toten flüchten gesehen, sich beim Eintreffen der Polizei unter die Neugierigen gemischt und so ziemlich alles erfahren, was im Laden passiert war.

Er ließ sich natürlich nicht von Bob Shanes lächerlicher Story täuschen, die Stefan als zweiten Räuber hinstellte. Stefan war kein Gangster, sondern ein selbsternannter Beschützer, der natürlich Interesse daran hatte, daß seine wahre Identität geheim blieb.

Laura war erneut gerettet worden.

Aber weshalb?

Kokoschka versuchte sich vorzustellen, welche Rolle das Mädchen in den Plänen des Verräters spielen könnte, aber er kam zu keinem Ergebnis. Er wußte, es wäre zwecklos, die Kleine zu verhören, denn sie war zu jung, als daß es Sinn gehabt hätte, sie einzuweihen. Der Grund für ihre Rettung war ihr wohl ebenso rätselhaft wie Kokoschka.