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Unbeweglich, die Augen starr, drohend auf den Gegner gerichtet – so stand er einen Moment im Dickicht, dann aber verschwanden plötzlich die beiden leuchtenden Punkte. Die Zweige knackten, das Laub raschelte noch einige Augenblicke, bis jedes Geräusch aufhörte.

»Er ist fort«, sagte Carmaux aufatmend. »Gott sei Dank! Mögen ihn die Krokodile verschlingen!«

»Es ist wahrscheinlicher, daß er die Krokodile frißt, Gevatter«, sagte der Neger.

Der Korsar verharrte noch einigen Minuten an seinem Platze, ohne den Degen zu senken. Als sich nichts mehr hören ließ, steckte er die Waffe ruhig wieder ein, hüllte sich von neuem in seinen Mantel und legte sich nochmals nieder.

»Ruft mich, wenn er wiederkommt!« sagte er wie selbstverständlich.

Carmaux und der Neger setzten sich wachehaltend hinter das Feuer. Sie verdoppelten jetzt ihre Aufmerksamkeit; denn sie waren überzeugt, daß das Raubtier nicht endgültig verschwunden war.

Um zehn Uhr weckten sie Stiller und den Katalonier und benachrichtigten sie von der Nähe des Jaguars. Dann aber legten sie sich neben dem Korsaren nieder, der so friedlich schlief, als ob er sich in seiner Kabine auf der »Fólgore« befände.

Die zweite Hälfte der Wache verlief ruhiger als die erste, obwohl Stiller und sein Gefährte das Heulen des Jaguars noch mehrere Male im dunklen Walde gehört hatten.

Um Mitternacht stieg der Mond empor. Der Korsar, der bereits wach war, gab das Zeichen zum Abmarsch, weil er hoffte, seinen Todfeind schon am nächsten Morgen zu treffen.

Das nächtliche Gestirn erstrahlte in wunderbarer Pracht am klaren Himmel und übergoß mit seinem Silberschein den großen Wald. Doch drang nur wenig Licht in das Dickicht hinein. Trotzdem konnten die Flibustier rasch vorwärtsschreiten und die sich ihnen in den Weg stellenden Hindernisse erkennen.

Den von den Begleitern des Gouverneurs gebahnten Pfad hatten sie verloren, was sie aber nicht störte, da sie jetzt wußten, daß der Weg nach Gibraltar nach Süden weiterging. Mit Hilfe des Kompasses verfolgten sie die Richtung und hofften so von einem Augenblick zum andern, den kleinen Weg wieder zu erreichen.

Eine Viertelstunde lang wanderten sie mühsam über riesige, den ganzen Boden bedeckende Wurzeln hinweg, durch Zweige und Lianen hindurch, als der Katalonier, der jetzt an der Spitze der kleinen Schar marschierte, plötzlich stehenblieb.

»Was gibt's?« fragte der Korsar hinter ihm.

»Schon das dritte Mal dringt ein verdächtiges Geräusch an mein Ohr. Mir scheint, als ginge jemand gleichzeitig mit uns durch das Dickicht.«

»Was bringt dich auf die Vermutung?«

»Ein Knacken von Zweigen und Blätterrascheln.«

»Sollte uns jemand verfolgen?«

»Aber wer? Es wagt doch keiner, des Nachts zu dieser Stunde durch den Urwald zu gehen«, meinte der Spanier.

»Ob es vielleicht ein Begleiter des Gouverneurs sein könnte?«

»Die müssen aber längst weiter sein!«

»Oder ein Indianer?«

»Vielleicht. Halt! Habt ihr gehört?«

»Ja«, bestätigten die Flibustier. »Neben uns knackte ein Zweig.«

»Wenn nur der Wald nicht so dicht wäre, würde man besser beobachten können, wer uns verfolgt«, meinte der Korsar, der schon seinen Degen gezogen hatte. »Unsere Kleider aber würden auf anderm Weg in den Dornen hängenbleiben!«

»Was sollen wir tun, Kapitän?«

»Mit dem Schwerte in der Hand weitergehen. Ich will nicht, daß wir uns der Gewehre bedienen.«

Langsam und vorsichtig schritt der kleine Trupp vorwärts. Er gelangte an einen engen Durchgang, der durch hohe Palmen führte, die mit einem Lianennetz verbunden waren. Da plötzlich warf sich eine schwere Masse auf den an der Spitze marschierenden Spanier und riß ihn zur Erde.

Der Angriff erfolgte so überraschend, daß die Flibustier zuerst glaubten, ein riesiger Baum wäre auf den Unglücklichen gefallen. Aber ein rauhes Gebrüll belehrte sie, daß es sich um ein wildes Tier handelte.

Der Soldat hatte einen Schrei des Entsetzens ausgestoßen. Dann versuchte er, sich von dem Ungeheuer, das ihn am Boden festhielt, zu befreien.

»Zu Hilfe!« schrie er. »Die Bestie reißt mich in Stücke!«

Da eilte der Kapitän mit gezücktem Degen hinzu. Wie der Blitz stieß er die Waffe in den Körper des Tiers. Als dieses sich verwundet fühlte, ließ es von seinem Opfer ab und stürzte sich nun auf seinen neuen Gegner.

Der Korsar war ihm aber geschickt ausgewichen, indem er die blitzende Degenspitze der Bestie vorhielt und mit rascher Gebärde seinen Mantel um den linken Arm wickelte.

Noch einen Augenblick zögerte das Raubtier, dann aber sprang es mutig zuerst auf Stiller, den es zu Boden warf, dann auf den daneben stehenden Carmaux, den es mit einem Schlag seiner mächtigen Pranke zu Boden riß.

Als der Kommandant seine Flibustier in Gefahr sah, stürmte er zum zweiten Male auf die Bestie ein und durchbohrte sie mit Schwertstößen. Doch wagte er sich dabei nicht allzu dicht heran, um nicht von ihren Klauen zerrissen zu werden.

Brüllend wich das Raubtier zurück, um Raum für einen neuen Sprung zu gewinnen. Aber der Korsar rückte ihm wieder zu Leibe. Erschreckt und vielleicht auch schwer verletzt, drehte es sich um und sprang auf einen nahen Baum, indem es tiefe, lang anhaltende Töne ausstieß: Uh-uh!

»Zurück!« schrie Ventimiglia, einen neuen Angriff befürchtend.

»Verflucht!« rief Stiller, der sofort wieder aufgestanden war, ohne die kleinste Schramme davongetragen zu haben. »Man wird es niederschießen müssen, um endlich seinen Hunger nach uns zu stillen!«

»Nein, keiner darf feuern!« erwiderte der Korsar.

»Ich hätte ihm den Kopf zerschmettert!« sagte eine Stimme hinter ihm.

»Du lebst noch?« rief der Kommandant erstaunt.

»Ja, das verdanke ich nur dem Büffelfellpanzer, den ich unter meiner Jacke trage«, sagte der Spanier. »Sonst hätte es mir die Brust mit einem Prankenschlag zerrissen!«

»Achtung!« rief Carmaux in diesem Augenblick. »Das verdammte Vieh holt wieder zum Sprunge aus!«

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als das Tier sich wieder auf sie stürzte und eine Parabel von sechs bis sieben Meter beschrieb. Es fiel beinahe dem Korsaren zu Füßen, konnte aber keinen zweiten Angriff mehr versuchen. Der Degen des Flibustiers war ihm in die Brust gedrungen und hatte es niedergestreckt, worauf der Neger ihm den Schädel mit seinem schweren Gewehrkolben zerschmetterte.

»Geh zum Teufel!« rief Carmaux und gab ihm noch einen kräftigen Fußtritt, um sich zu überzeugen, ob es diesmal auch wirklich tot sei. »Was für ein Tier war das eigentlich?«

»Das werden wir gleich erfahren!« sagte der Spanier, ergriff die Bestie bei dem langen Schwänze und zog sie zu einer freien, vom Monde beleuchteten Stelle. »Schwer ist sie nicht! Aber was für Pranken hat sie! Wenn wir in Gibraltar sind, werde ich der Madonna von Guadeloupe für meine Rettung eine Wachskerze anzünden!«

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Das schwankende Moor

Das Tier, das mit solcher Kühnheit angegriffen hatte, erinnerte in den Formen an die Löwinnen Afrikas. Es war aber viel kleiner, hatte die Länge von 1,15-1,20 Meter und eine Höhe von siebzig cm, von der Schulter an gemessen. Es besaß einen runden Kopf, einen länglichen, aber kräftigen Körper mit über einen halben Meter langem Schwanz und lange scharfe Krallen. Sein Fell war dicht, aber kurz, von gelblich rötlicher Farbe, auf dem Rücken etwas dunkler, unter dem Bauche heller, fast weiß und auf dem Schädel grau.

Der Katalonier und der Korsar hatten auf den ersten Blick erkannt, daß es sich um eins jener in Spanisch-Amerika Mizgli genannten Tiere handelte. Sie heißen auch Kuguare, Puma oder amerikanische Löwen und sind noch heutzutage in Süd- und Nordamerika zahlreich. Verhältnismäßig klein, sind sie doch mutig und wild. Gewöhnlich halten sie sich in den Wäldern auf, wo sie eine Menge Affen vertilgen, da auch sie mit Leichtigkeit auf die höchsten Bäume klettern können. Zuweilen wagen sie sich an bewohnte Ortschaften heran, wo sie unter Schafen, Kälbern, Ochsen und sogar Pferden großen Schaden anrichten. In einer einzigen Nacht können sie fünfzig Stück Vieh töten, indem sie die Halsschlagader der Opfer durchbeißen und das warme Blut trinken. Wenn sie nicht Hunger haben, fliehen sie den Menschen, wohl wissend, daß sie ihm gegenüber nicht immer siegreich sind. Nur wenn die Not sie zwingt, greifen sie ihn mit verzweifeltem Mut an. Sogar verwundet werfen sie sich auf ihre Gegner, auch wenn diese in der Überzahl sind.