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»Ja.«

»Wirklich. Ich dachte, du würdest keine …«

»Ja, ich habe sie getötet. Und ich werde nachlesen, wie ich das gemacht habe.«

Per Vollan holte tief Luft. »Gut. Es gibt bei dem Mord gewisse Details, die du dir einprägen solltest.«

»Okay.«

»Man hat ihr … der obere Teil des Kopfes wurde abgetrennt. Der Täter muss eine Säge benutzt haben, ist das angekommen?«

Den Worten folgte langes Schweigen. Per Vollan war kurz davor, sich zu übergeben. Aber das wäre allemal besser gewesen, als diese Worte auszusprechen. Er musterte den Jungen. Was bestimmte ein Leben? Bestand es nur aus einer Reihe von Zufällen, die man nicht beherrschen konnte, oder wurde man von einer Art kosmischen Schwerkraft übermächtig an einen bestimmten Ort gezogen? Er zupfte wieder an dem neuen, seltsam steifen Kragen herum, verdrängte die Übelkeit und gab sich einen Ruck. Es stand viel auf dem Spiel.

Dann stand er auf.

»Falls du Kontakt zu mir aufnehmen willst, ich wohne zurzeit im Hospiz am Alexander Kiellands plass.«

Er sah den fragenden Blick des jungen Mannes.

»Nur vorübergehend«, er lachte kurz. »Meine Frau hat mich rausgeschmissen, und ich kenne die Leute im Hospiz, weshalb die mich …«

Er hielt abrupt inne. Ihm war plötzlich klargeworden, warum so viele Häftlinge zu Sonny gingen, um sich alles von der Seele zu reden. Es war die Stille. Das lockende Vakuum eines Menschen, der nur zuhörte, ohne zu reagieren oder zu urteilen. Der einem, scheinbar mühelos, Worte und Geheimnisse entlockte. Genau das hatte er als Pastor auch versucht, aber die meisten Häftlinge hatten gleich durchschaut, dass er andere Absichten verfolgte. Sie wussten nicht, welche, hatten aber gespürt, dass er ihre Geheimnisse zu seinem Vorteil nutzen würde und mit dem Zugang zu ihren Seelen nur punkten wollte.

Der Pastor beobachtete, wie der junge Mann die Bibel aufschlug. Es war so klassisch, dass es beinahe schon wieder komisch war; in den Seiten war ein Hohlraum, in dem die Papiere mit den Instruktionen steckten, die er für sein Geständnis brauchte. Und drei kleine Briefchen Heroin.

Kapitel 2

Arild Franck rief ein knappes »Herein!«, ohne von den Papieren auf seinem Schreibtisch aufzusehen.

Gleich darauf hörte er die Tür gehen. Seine Sekretärin Ina hatte ihm den Besuch bereits angekündigt, und einen Augenblick lang hatte Arild überlegt, sie zu bitten, den Gefängnispastor aus Zeitgründen abzuwimmeln. Im Grunde nicht einmal eine Lüge, denn in einer halben Stunde hatte er einen Termin beim Polizeipräsidenten im Präsidium. Aber Per Vollan war in der letzten Zeit nicht so stabil gewesen, wie sie sich das wünschten. Es konnte also nicht schaden, einen Blick auf ihn zu werfen und zu überprüfen, ob er noch im Lot war. Bei diesem Fall gab es keinen Spielraum, keiner von ihnen durfte jetzt einen Fehler ­machen.

»Sie brauchen sich gar nicht erst zu setzen«, sagte der stellvertretende Gefängnisleiter, unterzeichnete ein Schreiben und stand auf. »Erzählen Sie mir unterwegs, um was es geht.« Er ging zur Tür, nahm die Uniformmütze von der Garderobe und hörte den schlurfenden Gang des Pastors hinter sich. Arild Franck rief Ina kurz zu, dass er in anderthalb Stunden wieder zurück sein würde, und drückte den Zeigefinger auf den Fingerabdrucksensor an der Tür, die ins Treppenhaus führte. Das Gefängnis hatte zwei Etagen und kam ohne Aufzüge aus. Aufzüge bedeuteten Aufzugschächte, die wiederum mögliche Fluchtwege darstellten und im Brandfall geschlossen werden mussten. Feuer und eine damit verbundene chaotische Evakuierung waren eine der vielen Gelegenheiten, die intelligente Häftlinge zum Ausbruch nutzten. Aus demselben Grund waren alle elektrischen Leitungen, ­Sicherungskästen und Wasserrohre außer Reichweite der Häftlinge unter Putz oder an den Außenseiten verlegt worden. Im Staten hatten sie an alles gedacht. Im Staten hatte er an alles gedacht. Schon in der Planungsphase des Gefängnisses hatte er mit Architekten und internationalen Experten zusammengesessen. Ihr Vorbild war das Gefängnis in Lenzburg gewesen, im Schweizer Kanton Aargau. Hypermodern, aber einfach und mit dem Fokus auf Sicherheit und Effektivität statt auf Komfort. Arild Franck war dieses Gefängnis, und umgekehrt. Deshalb wurmte es ihn gewaltig, dass nicht er, sondern dieser idiotische Emporkömmling aus dem Gefängnis in Halden von der bescheuerten Personalkommission zum Direktor gewählt worden war. Klar, er war manchmal recht kantig und nicht gerade der Typ, der den Politikern nach dem Mund redete und jeder neuen, ach so tollen Reform des Gefängniswesens applaudierte – lange bevor die vorherige überhaupt umgesetzt war. Aber er verstand sein Handwerk und ließ niemanden entkommen, ohne dass deshalb jemand krank wurde oder starb oder zu einem noch schlechteren Menschen wurde. Und er war loyal denen gegenüber, die seine Loyalität verdienten. Diese Leute konnten sich auf ihn verlassen. Das war mehr, als man über die bis ins Mark korrupten Politiker sagen konnte, von denen sie abhängig waren. Früher, bevor er übergangen worden war, hatte Arild Franck davon geträumt, bei seiner Pensionierung mit einer Büste im Foyer des Gefängnisses geehrt zu werden, und das, obwohl seine Frau meinte, sein halsloser Torso und sein Bulldoggengesicht mit den schütteren Haaren eigneten sich nicht sonderlich als Büste. Wenn man nicht bekam, was man verdiente, musste man es sich halt nehmen, lautete Arilds Lebensmotto seither.

»Ich kann das nicht mehr«, sagte Per Vollan hinter ihm, während sie über den Flur liefen.

»Was?«

»Ich bin Pastor. Was wir diesem Jungen antun … er soll für etwas büßen, was er gar nicht gemacht hat! Für einen Ehemann sitzen, der …«

»Leise!«

Vor dem Kontrollraum – den Franck gerne als »Die Brücke« bezeichnete – begegneten sie einem älteren Mann, der gerade Pause hatte und Franck freundlich zulächelte. Johannes war der älteste Insasse des Gefängnisses und ein Mann ganz nach Francks Geschmack. Eine freundliche Seele, die irgendwann im letzten Jahrhundert Drogen geschmuggelt hatte, seither aber so gründlich indoktriniert, klientifiziert und passivisiert worden war, dass ihm jetzt nur noch vor dem Tag graute, an dem er das Gefängnis verlassen musste. Wobei solche Häftlinge natürlich nicht die Herausforderung boten, nach denen ein Gefängnis wie das Staten förmlich verlangte.

»Haben Sie ein schlechtes Gewissen, Vollan?«

»Ja, ja, das habe ich, Arild.«

Franck konnte nicht mehr genau sagen, seit wann seine Kol­legen ihn als Vorgesetzten mit Vornamen ansprachen. Oder seit wann Gefängnisdirektoren in Zivil statt in Uniform herumliefen. In manchen Anstalten trugen jetzt sogar die Wachleute Zivil. Bei der Gefängnisrevolte im Francisco-de-Mar-Gefängnis in São Paulo waren Beamte mit Tränengas beschossen worden, weil Wächter und Gefangene nicht zu unterscheiden waren.

»Ich will raus aus der Sache«, fauchte der Pastor.

»Ach ja?« Franck lief eilig die Treppe nach unten. Für jemanden, der in nur zehn Jahren pensioniert werden sollte, war er in guter Form. Weil er trainierte. Eine weitere vergessene Tugend in einer Branche, in der Übergewicht bald die Regel und längst nicht mehr die Ausnahme war. Früher, als seine Tochter noch schwamm, hatte er sogar die Jugendmannschaft trainiert und damit auch in der Freizeit seinen Beitrag für die Gesellschaft geleistet, die so vielen so vieles gab. »Und wie schlimm sind Ihre Gewissensbisse, wenn es um die kleinen Jungs geht, an denen Sie sich vergangen haben, Vollan?« Franck drückte den Zeigefinger auf den Sensor der nächsten Tür. Dahinter lag der Flur, der in westlicher Richtung in den Zellentrakt und in östlicher zu den Angestelltengarderoben und dem Ausgang zum Parkplatz führte.

»Ich denke, Sie sollten sich klarmachen, dass Sonny Lofthus auch für Ihre Sünden büßt, Vollan.«