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Er hielt die Luft an. Wollte mit der Pistole das Glas einschlagen, als die Tür aufging.

Simon wirbelte mit der Pistole in der Hand herum. Aber er war nicht so schnell, wie er es sonst war. Chancenlos. Das heißt, er wäre chancenlos gewesen, hätte der Mann, der vor ihm in der Tür stand, eine Waffe gehabt.

»Guten Abend«, sagte der Mann ganz einfach.

»Guten Abend«, erwiderte Simon und versuchte, die Fassung wiederzugewinnen. »Polizei.«

»Womit kann ich Ihnen dienen?« Der Mann öffnete weit die Tür. Er war vollständig angezogen. Enge Jeans. T-Shirt. Nackte Füße. Keine Stelle, an der er eine Waffe verbergen konnte.

Simon steckte die Granate in die Tasche und zeigte seinen Ausweis. »Ich muss Sie bitten, vors Haus zu treten und sich an die Wand zu stellen. Jetzt.«

Der Mann zuckte ruhig mit den Schultern und tat, was Simon sagte.

»Wie viele Leute sind im Haus, abgesehen von den Mädchen?«, fragte Simon, während er bei einer raschen Durchsuchung feststellte, dass der Mann unbewaffnet war.

»Was für Mädchen? Ich bin allein. Worum geht es denn?«

»Zeigen Sie mir, wo sie sind«, sagte Simon, legte dem Mann Handschellen an, schob ihn vor sich her und signalisierte Kari, dass sie mitkommen sollte. Der Mann sagte etwas.

»Was?«, fragte Simon.

»Ihre Kollegin darf gerne mit ins Haus kommen, ich habe nichts zu verbergen.«

Simon blieb hinter dem Mann stehen. Starrte auf seinen ­Nacken und sah das leichte Zittern, wie bei einem nervösen Pferd.

»Kari?«, rief Simon.

»Ja?«

»Bleiben Sie doch draußen. Ich gehe allein rein.«

»Okay.«

Simon legte eine Hand auf die Schulter des Mannes. »Gehen Sie langsam ins Haus. Keine schnellen Bewegungen, ich habe eine Waffe auf Ihren Rücken gerichtet.«

»Was ist denn …«

»Finden Sie sich damit ab, dass wir Sie vorerst für einen Kri­minellen halten, auf den geschossen werden darf, eine vorbehaltlose Entschuldigung von uns können Sie später noch kriegen.«

Der Mann ging ohne weitere Proteste über den Flur. Simon registrierte automatisch die Dinge, die darauf hinweisen konnten, was ihn erwartete. Vier Paar Schuhe auf dem Boden. Also wohnte der Mann nicht allein im Haus. Eine Plastikschale mit Wasser und ein kleiner Teppich neben der Küchentür.

»Was ist mit dem Hund?«, fragte Simon.

»Welchem Hund?«

»Trinken Sie aus dem Napf?«

Der Mann antwortete nicht.

»Hunde haben die Angewohnheit zu bellen, wenn sich Fremde dem Haus nähern. Also ist das entweder ein schlechter Wachhund oder …«

»Er ist im Zwinger. Wohin wollen Sie denn?«

Simon sah sich um. Die Fenster waren nicht vergittert, und die Eingangstür hatte nur ein einfaches Schloss und eine Klinke auf der Außenseite. Hier wurde niemand gefangen gehalten.

»In den Keller«, sagte Simon.

Der Mann zuckte mit den Schultern. Ging weiter über den Flur. Simon war klar, dass er ins Schwarze getroffen hatte, als der Mann zwei Schlösser aufschloss.

Der Geruch, den Simon schon auf der Treppe wahrnahm, bestätigte, was er schon wusste. Hier hielten sich Menschen auf. Viele Menschen. Er umklammerte seine Pistole noch fester.

Aber es war niemand da.

»Wozu haben Sie die hier?«, fragte Simon, als sie an den Kellerverschlägen vorbeigingen, die anstelle von Holzwänden Stahlgitter hatten.

»Ach, nicht für viel«, sagte der Mann. »Der Hund wohnt manchmal hier unten. Und wie Sie sehen, bewahren wir hier ein paar Matratzen auf.«

Der Geruch war unten noch stärker. Die Mädchen mussten also noch bis vor kurzem hier gewesen sein. Verflucht, sie kamen zu spät. Andererseits musste es möglich sein, aus den Ma­tratzen biologische Spuren zu gewinnen. Nur was bewies das? Dass jemand die Matratzen benutzt hatte, bevor sie in den Keller gebracht worden waren?

Eigentlich wäre es seltsam, wenn man an alten Matratzen keine DNA fand. Sie hatten also nichts. Nur einen nicht genehmigten Einsatz. Verdammter Mist. Verdammter …

Simon sah einen kleinen Schuh ohne Schnürsenkel neben einer Tür auf dem Boden liegen.

»Wohin führt diese Tür?«

Der Mann zuckte mit den Schultern. »Nur zum Parkplatz.«

Nur. Dieser Mann wollte ihm einreden, wie unbedeutend diese Tür war. Ebenso beiläufig hatte er vorgeschlagen, dass Kari mit ins Haus kam.

Simon ging zu der Tür, öffnete sie und starrte auf die weiße Seite eines Lieferwagens. Er stand auf der asphaltierten Straße zwischen dem Haus und seinem Nachbarhaus.

»Wozu brauchen Sie den?«, fragte Simon.

»Ich bin Elektriker«, sagte der Mann.

Simon ging ein paar Schritte zurück. Bückte sich und hob den Turnschuh vom Kellerboden auf. Größe sechsunddreißig, vielleicht. Kleiner als Elses Schuhe. Er schob die Hand hinein, der Schuh war noch warm. Seine Besitzerin konnte ihn erst vor wenigen Minuten verloren haben. Im selben Moment hörte er ein Geräusch. Gedämpft, wie aus einem verschlossenen Raum, aber eindeutig. Bellen. Simon starrte auf den Lieferwagen. Als er sich aufrichten wollte, bekam er einen Tritt in die Seite und stürzte zu Boden. Der Mann schrie: »Fahr! Fahr los!«

Simon gelang es, sich umzudrehen. Er richtete die Pistole auf den Mann, aber sein Gegenüber hatte sich bereits auf die Knie fallen lassen und die Hände hinter den Kopf gelegt, lieferte sich widerstandslos aus. Der Motor des Wagens startete, die Drehzahl nahm zu, die Reifen quietschten. Simon wandte sich in die andere Richtung und sah Köpfe im Fahrerhäuschen. Vermutlich waren sie vorher abgetaucht, um nicht gesehen zu werden.

»Stopp! Polizei!« Simon versuchte, sich aufzurappeln, aber er hatte fürchterliche Schmerzen, der Kerl musste ihm eine Rippe geprellt haben. Und noch ehe Simon seine Waffe in Anschlag hatte, fuhr der Wagen los und war aus seiner Position nicht mehr zu sehen. Verdammte Scheiße!

Dann knallte es. Glas splitterte.

Das Heulen des Motors verstummte.

»Sie bleiben hier«, sagte Simon, kam stöhnend auf die Beine und taumelte durch die Tür.

Der Lieferwagen war stehen geblieben. Aus dem Inneren kamen Schreie und wildes Hundegebell.

Was sich jedoch in Simons Netzhaut einbrannte, befand sich vor dem Lieferwagen. Kari Adel in einem langen schwarzen ­Ledermantel, im Schweinwerferlicht des Lieferwagens ohne Windschutzscheibe. Den Schaft der Flinte in der Achselhöhle, Unterhandgriff, während aus dem Lauf noch immer Rauch quoll.

Simon trat an die Seite des Wagen und riss die Fahrertür auf: »Polizei!«

Der Mann auf dem Fahrersitz antwortete nicht, sondern starrte schockiert nach vorn, während das Blut ihm aus dem Haaransatz sickerte. Sein Schoß lag voller Glassplitter. Simon unterdrückte seine Schmerzen und zog den Mann nach draußen. »Gesicht auf den Boden und Hände über den Kopf! Sofort!«

Simon ging um den Wagen herum, holte den ebenso apathischen Mann auf dem Beifahrersitz aus dem Wagen und beorderte ihn ebenfalls auf den Boden.

Anschließend stellten Simon und Kari sich vor die Seitentür des Laderaums. Sie hörten das Knurren und Bellen des Hundes. Simon packte den Türgriff, und Kari stellte sich mit angelegter Schrotflinte neben ihn.

»Der hört sich groß an«, sagte Simon. »Vielleicht sollten Sie einen Meter zurücktreten.«

Sie nickte und tat, was er sagte. Dann öffnete er.

Das weiße Monster schoss aus dem Wagen und flog mit weit aufgerissener Schnauze auf Kari zu. Das alles geschah so schnell, dass sie es nicht schaffte, die Waffe abzufeuern, trotzdem schlug das Tier vor ihr auf den Boden und blieb liegen.