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Die Passagiere des »Simon Bolivar« übrigens, die etwa den Wunsch hegten, den Strom vom hydrographischen oder vom geographischen Gesichtspunkte aus näher kennen zu lernen, hätten sich nur an die Herren Miguel, Felipe und Varinas zu wenden brauchen, um über alles Auskunft zu erhalten. Die gelehrten Herren waren ja jeden Augenblick bereit zu den eingehendsten Mittheilungen über die Uferortschaften, über alle vom Strome aus sichtbaren Dörfer, wie über die Nebenflüsse und die verschiedenen nomadischen oder seßhaften Volksstämme der Gegend. An gewissenhaftere und mehr unterrichtete Ciceroni hätte man sich gar nicht wenden können - die Herren waren ja stets bereit, sich den Passagieren bezüglich solcher Fragen völlig zur Verfügung zu stellen.

Die größte Menge der Fahrgäste auf dem »Simon Bolivar« hatte es freilich kaum nöthig, noch etwas über den Orinoco zu lernen, denn sie waren auf diesem schon viele Mal stromauf oder stromab gefahren, die einen bis zu den Mündungen des Apure, die andern bis zu dem Flecken San-Fernando de Atabapo. Die meisten waren Kaufleute oder einfache Händler, die ihre Waaren nach dem Innern schafften oder solche den östlichen Häfen zuführten. Die gewöhnlichsten Handelsartikel bestanden hier aus Cacao, Fellen, Rinder- und Hirschhäuten, Kupfererzen, Holzwaaren, Farbstoffen, Tonkabohnen, Kautschuk, Sarsaparille und endlich aus lebendem Vieh; die Aufzucht von Vieh bildet die Hauptbeschäftigung der Ilaneros auf den weiten Ebenen.

Venezuela gehört in seiner ganzen Ausdehnung zur Tropenzone. Seine Mitteltemperatur liegt zwischen vierundzwanzig und dreißig Grad Celsius. Sie wechselt aber, wie das ja in allen Gebirgsgebieten der Fall ist. Zwischen den Anden der Küste und denen im Westen erreicht die Wärme die höchsten Grade; hier hat man die Gebiete zu suchen, die das Bett des Orinoco durchschneidet und nach denen Seewinde niemals Eingang finden. Sogar die Hauptwinde, die aus Norden und Osten kommenden Passate, werden durch die Höhen an der Küste aufgehalten und tragen nur sehr wenig zur Mäßigung der Wärme bei.

Heute sah der bedeckte Himmel etwas regendrohend aus und die Passagiere litten nicht allzusehr von der Hitze. Der Wind wehte von Westen, also der Bewegung des Schiffes entgegen, so daß sich dessen Passagiere dabei recht wohl befanden.

Der Sergeant Martial und Jean, die beide auf dem Spardeck lagen, betrachteten aufmerksam die beiden Ufer des Stromes. Ihre Reisebegleiter schienen von dem Schauspiel weniger angezogen zu werden. Nur das Geographentrio ließ sich keine Einzelheit entgehen und besprach alles mit einer gewissen Lebhaftigkeit.

Hätte sich Jean an dasselbe gewendet, so würde er ja über Alles verläßliche Auskunft erhalten haben. Einerseits aber würde der eifersüchtige und strenge Sergeant Martial keinem Fremden gestattet haben, mit dem Neffen ein Gespräch zu beginnen, und andrerseits brauchte dieser wirklich niemand, um »Schritt für Schritt« alle Dörfer, Inseln und Windungen des Stromes zu erkennen. Er besaß einen sichern Führer in dem Berichte über zwei Reisen, die Chaffanjon im Auftrage des französischen Ministers des Unterrichts unternommen hatte. Die erste im Jahre 1884 umfaßte den Unterlauf des Orinoco zwischen Ciudad-Bolivar und der Mündung des Caura, wobei auch dieser bedeutende Nebenfluß untersucht wurde; die zweite, in den Jahren 1886 und 1887, erstreckte sich über den ganzen Lauf des Stromes von Ciudad-Bolivar bis zu dessen Quellen. Der Bericht des französischen Reisenden zeichnet sich durch die äußerste Verläßlichkeit aus, und Jean hoffte ihn noch häufig mit Vortheil zu benützen.

Der Sergeant Martial war natürlich mit einer hinreichenden Geldsumme - in Piastern - versehen, um alle Unkosten der

Reise bestreiten zu können. Er hatte sich auch mit einer gewissen Menge von Tauschgegenständen versorgt, wie mit Stoffen, Messern, Spiegeln, Glas- und Kunstwaaren, sowie mit andern hübschen Sachen von geringem Werthe, die den Verkehr mit den Indianern der Ilanos erleichtern helfen sollten. Der ganze Vorrath füllte zwei Kisten, die mit dem übrigen Gepäck in der Cabine des Onkels neben der seines Neffen standen.

Sein Buch vor den Augen, verfolgte Jean gewissenhaft die beiden Stromufer, die sich entgegengesetzt der Richtung des »Simon Bolivar« scheinbar dahin bewegten. Sein Landsmann hatte bei jener Fahrt die Reise freilich unter ungünstigeren Umständen, nämlich in einem, oft nur durch Ruder fortbewegten Segelschiffe zurücklegen müssen, während jetzt Dampfboote bis zur Apuremündung verkehren. Von hier aus mußten sich der Sergeant Martial und Jean indeß ebenfalls mit derselben unvollkommenen Beförderungsmethode begnügen, da der Strom gar zu viele Hindernisse bietet, die den Reisenden arge Unbequemlichkeiten verursachen.

Noch am frühen Morgen kam der »Simon Bolivar« in Sicht der Insel Orocopiche vorüber, deren Bodenerzeugnisse die Hauptstadt der Provinz reichlich mit dem Nöthigsten versehen. Hier engt sich das Bett des Orinoco bis auf neunhundert Meter ein, verbreitert sich aber ein wenig stromaufwärts wieder um das Dreifache. Von dem Oberdeck aus konnte Jean die umgebenden, nur von isolierten Cerros unterbrochenen Ebenen auf weite Strecken hm übersehen.

Im Laufe des Vormittags vereinigten sich die Passagiere - im Ganzen etwa zwanzig - zum Frühstück im Salon, wo Herr Miguel und seine beiden Collegen die ersten waren, die ihre Plätze einnahmen. Der Sergeant Martial ließ sich jedoch kaum überholen; er schleppte dabei auch seinen Neffen mit sich, auf den er in so barschem Tone sprach, daß es Herrn Miguel gar nicht entgehen konnte.

»Ein recht bärbeißiger Kerl, dieser Franzose, bemerkte er gegen den neben ihm sitzenden Herrn Varinas.

- O, ein Soldat, das sagt ja Alles!« erwiderte der Vertheidiger des Guaviare.

Das Auftreten des alten Unterofficiers war eben militärisch genug, daß niemand darüber in Zweifel bleiben konnte.

Der Sergeant Martial hatte sich schon vor dem Frühstück »die Kehle geputzt«, indem er einen Anisado, einen Branntwein aus Zuckerrohr und mit Anis vermischt, verschluckte. Jean, der solche starke Getränke nicht zu lieben schien, bedurfte keines derartigen Reizmittels, um der Mahlzeit alle Ehre anzuthun. Er hatte neben seinem Onkel am Ende des Salons Platz genommen, und der Gesichtsausdruck des Brummbärs war so abstoßend, daß niemand versucht wurde, sich an seine Seite zu setzen.

Die Geographen nahmen die Mitte der Tafel ein und führten daran auch das Wort. Da es bekannt war, in welcher Absicht sie diese Reise unternommen hatten, interessierten sich die andern Fahrgäste natürlich für alles, was die Herren sagten, und selbst der Sergeant Martial schien nichts dagegen zu haben, daß sein Neffe ihren Worten lauschte.

Die Speisekarte enthielt zwar mancherlei Gerichte, doch nur von geringer Güte; auf den Dampfern des Orinoco darf man indeß keine hohen Ansprüche machen. Immerhin wäre es gewiß wünschenswerth gewesen, während der Fahrt auf dem Oberlaufe des Stromes solche Bistecas zu haben - obgleich diese von einem Kautschukbaume herzurühren schienen -solche Ragouts, die in safrangelber Sauce schwammen, solche Eier, wenn sie auch so hart waren, daß man sie hätte an den Bratspieß stecken können, oder solch aufgewärmtes Geflügel, das nur durch sehr langes Kochen einigermaßen weich geworden war. Von Früchten gab es unter andern Bananen in Ueberfluß, entweder im Naturzustande oder durch Einlegen in Melissesyrup zu einer Art Consitüre verwandelt. Ferner recht gutes Brod, natürlich Maisbrod, selbst Wein, doch leider nur recht theuern und schlechten.

Das war also das Almerzo, das Frühstück, das übrigens recht schnell erledigt wurde.

Am Nachmittag kam der »Simon Bolivar« an der Insel Bernavelle vorbei. Zahlreiche Inseln und Eilande verengten hier das Bett des Orinoco, und das Rad mußte mit doppelter Kraft arbeiten, um die heftige Strömung zu überwinden. Der Kapitän erwies sich dabei so geschickt in der Führung des Schiffes, daß er gewiß auch durch diese gefährlicheren Stellen glücklich hindurch kam.