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Er konnte es durchaus verstehen, dachte Philippos, wenn man einen Monatssold beim Würfeln verspielte oder in Wetten bei einem Wagenrennen steckte. Auch eine schöne Hetaire war es wert, daß man sich großzügig zeigte. Doch wie man sein Silber für Ton- oder Elfenbeinfigürchen ausgeben konnte, die eine Nachbildung der mit Stierhoden behängten Artemis darstellten, das würde er niemals begreifen! Und doch konnte man überall in der Stadt kleine Skulpturen der Göttin kaufen oder auch kostbare, rotfigurige Amphoren und Schalen erwerben, die Szenen aus dem Leben der Göttin zeigten.

Es war etwas anderes, wenn man ein schönes Weihgeschenk kaufte und es der Göttin stiftete. Er selbst hatte dies vor einigen Wochen erst getan, und Philippos war sicher, daß die Göttin schon wußte, daß er nicht dem seltsamen Irrglauben der Epheser anhing. Einen halben Monatslohn hatte er für eine silberne Fibel ausgegeben, die als Gewandschmuck der Göttin dienen mochte. So, wie man einen Herrscher beschenkte, um sich seiner Gunst zu vergewissern, so war es auch bei den Göttern klüger, nie geizig und selbstherrlich zu erscheinen. Sie waren launisch und vermochten einem das Leben durch allerlei Schicksalsschläge zu erschweren. Schließlich konnte allein Artemis wissen, wie lange der Hofstaat des Ptolemaios noch auf dem Gelände ihres Heiligtums Zuflucht suchen mußte. So wie die Dinge standen, würde der König nicht aus eigener Kraft, sondern nur mit Hilfe römischer Waffen seinen Thron zurückerobern können.

Philippos betrachtete die kleine Schar Ergebener, die Ptolemaios in den zwei Jahren, die er nun schon fern von Ägypten war, die Treue gehalten hatte. Es waren erschrek-kend wenige! Doch zum Glück gab es auch noch andere, die offenbar fest mit der Rückkehr des Herrschers rechneten. Vor ein paar Wochen erst war eine Gesandtschaft von Priestern aus einem Tempel tief im Süden des Landes nach Ephesos gekommen, um sich mit Ptolemaios zu beraten, und vor drei Tagen hatte eine Galeere kostbare Geschenke aus der Hafenstadt Tyros gebracht, mit der sich die dortigen Handelsherren der Neigung des Herrschers versichern wollten. Es lag allein bei Aulus Gabinius, dem römischen Proconsul von Syrien, ob Ptolemaios wieder in Alexandria herrschen würde. Noch wartete der Römer geduldig auf einen Befehl des Senats für diesen Feldzug, doch vielleicht würde schon bald die Verlockung des ägyptischen Goldes so groß werden, daß er es auch ohne diesen Befehl wagte, seine Legionen in Marsch zu setzen. Das war es, worauf der König hier in Ephesos wartete!

In der Nähe des Herrschers war Unruhe unter den Hofbeamten entstanden. Philippos konnte von seinem Platz aus nicht genau einsehen, was geschah. Es schien, als sei jemand gestürzt, und Batis, der nubische Leibwächter, baute sich schützend neben Ptolemaios auf. Es konnte keinen Zweifel mehr geben, daß es auf der Treppe zu einem Handgemenge gekommen war! Wild um sich schlagend bahnte sich einer der Hofbeamten seinen Weg zur Prozessionsstraße. Schon waren auch einige der Tempelsklaven, die an blumenumwundenen Stricken die Opferstiere führten, auf den Mann aufmerksam geworden.

Was zum Zeus ging dort vor sich! Philippos reckte den Hals, um den Mann besser erkennen zu können, der sich wie ein Besessener gebärdete. Wie fast alle Beamten trug auch er eine Perücke, dazu Goldschmuck und ein langes weißes Gewand.

Sein Gesicht jedoch war von Philippos abgewandt. So als sei er betrunken, taumelte der Ägypter hin und her. Mit wilden Schreien preßte er sich die Hände auf das Gesicht. Jetzt rempelte er einen der Tempelsklaven an. Einer der Stiere schnaubte unruhig. Man hatte den Tieren vor der Prozession ein wenig Schlafmohn unter das Futter gemischt, damit sie sich nicht vor dem Lärm und den Menschenmassen erschreckten, doch mit einer solchen Situation hatte keiner rechnen können.

Endlich konnte Philippos einen Moment lang das Gesicht des Tobenden sehen. Es war blutüberströmt, so als habe er sich die Haut von den Wangen gezogen. Offenbar konnte er nicht mehr sehen. Er taumelte direkt auf einen Stier zu und begann, mit seinen Fäusten auf den Rücken des Tieres einzuschlagen.

Wild schnaubend riß der Stier seinen Kopf hoch, und dem Sklaven, der ihn begleitete, glitt das Seil aus den Händen, an dem er das mächtige Tier geführt hatte. Ungestüm mit den Hufen auskeilend, verschaffte sich die Bestie Platz. Panik breitete sich unter den Tempelsklaven aus. Auch andere Stiere zerrten schon an ihren Halsschlingen. Das von dem Wahnsinnigen aufgescheuchte Tier verfiel in Trab und stürmte die Prozessionsstraße hinunter auf das Götterbild zu.

Philippos hielt den Atem an. Wenn der Stier das Bild der Artemis zum Stürzen brachte, dann hatten vermutlich alle Ägypter in der Stadt ihr Leben verwirkt! Diese Schmach würden die Göttin und die Epheser nicht ungestraft hinnehmen! Die Jubelrufe waren verstummt. Einige beherzte Männer versuchten, sich dem Stier in den Weg zu stellen. Der erste von ihnen wurde von den Hörnern der Bestie zu Boden geschleudert. Kreischend stoben die Tänzerinnen auseinander, die die Marschkolonne hinter der Artemisstatue bildeten. Keine zehn Schritt trennten den tobenden Stier jetzt noch von der Trage. Fünf oder sechs Männer hingen an seinem Hals, um das Ungetüm zum Stehen zu bringen.

Von weiter vorne waren jetzt einige Priesterinnen herbeigeeilt, und selbst der Lärm, den die Kureten an der Spitze des Zuges veranstaltet hatten, war mittlerweile verstummt. Endlich gelang es, den Stier aufzuhalten!

Eine riesige Gestalt drängte sich die Tempelstufen hinab und lief auf die Straße. Es war Batis, der Leibwächter des Königs! Der hünenhafte Nubier setzte dem Störenfried nach, während gleichzeitig von allen Seiten Männer aus der Menge herbeieilten, um den Wahnsinnigen zu ergreifen. Doch noch bevor einer von ihnen den Ägypter erreichte, brach der Wahnsinnige plötzlich in die Knie und schlug lang auf den Boden, so als habe ihn ein Donnerkeil des Zeus gefällt. Erschrocken wichen die Bürger und Kureten ein Stück vor ihm zurück. Nur Batis kniete sich an seiner Seite nieder und legte seine mächtige Hand auf die Brust des Wahnsinnigen.

Was mochte nur mit dem Mann los sein? Auch Pothei-nos, der oberste Eunuch des Pharaos, war inzwischen die Treppe des Tempels hinabgestiegen. Unterwürfig verbeugte er sich vor den Priestern und begann dann, gestikulierend auf die Kureten einzureden.

Ringsherum war das Lärmen der Bürger verstummt. Diejenigen, die den Ägypter aus der Nähe gesehen hatten, wirkten verstört. Andere wiederum hatten die Gesichter ängstlich zum Himmel erhoben, so als sähen sie in der Unterbrechung der feierlichen Prozession ein Vorzeichen der Artemis. Nur das schrille Kreischen der Möwen, die unablässig um den von himmelhohen Säulen getragenen Tempel der Göttin kreisten, und die Stimme des Potheinos waren zu hören.

Schließlich breitete einer der Kureten mit gebieterischer Geste die Arme aus. »Der Frevler ist tot! Die Ehre der Göttin ist wiederhergestellt. So rühmet nun die Artemesia Ephesia, die Herrin unserer Stadt!« Die Stimme des Mannes klang durch seine tönerne Daimonenmaske so dunkel und unheimlich, als spräche ein Bote des Hades.

Einen Augenblick noch währte Stille. Die Menschen konnten die Worte des Priesters kaum fassen. Dann rief irgendwo in der Menschenmenge eine Frau den Namen der Göttin, und als sei ein Bann gebrochen, stimmten Hunderte in ihren Jubelschrei ein.

Inzwischen hatte Batis den gestürzten Hofbeamten auf seine Arme genommen. Zwei Kureten geleiteten ihn an den Stufen des Tempels vorbei durch die Reihen der dichtgedrängten Zuschauer. Leblos hing der Körper des Hofbeamten in den Armen des Nubiers, und jetzt endlich konnte der Arzt das Gesicht des Mannes erkennen, der für die ganze Aufregung gesorgt hatte. Es war Buphagos, der Mundschenk des Pharaos. Der Makedone mit seinem runden Gesicht war Philippos nie sonderlich aufgefallen. Er war ein unscheinbarer Mann gewesen, und soweit der Grieche dies beurteilen konnte, war Buphagos auch nicht in die Intrigen am Königshof verwickelt. Was, bei den Göttern, mochte ihn nur dazu gebracht haben, sich wie ein Besessener zu gebärden und die Prozession zu stören? Die Epheser hatten dem König und seinem Hofstaat Asyl gewährt, nachdem Ptolemaios wegen der Morde an den Gesandten seiner Tochter Berenike gezwungen gewesen war, Italien zu verlassen. Doch würden sie ihn nach diesem Zwischenfall noch länger in ihrer Stadt dulden?