»Aber Ihr habt nicht mit ihm gesprochen?«
»Ich . glaube nicht.«
»Erst vor einigen Monaten, so höre ich, habt Ihr jedermann in Erstaunen gesetzt durch eine Rede im Parlament, die Mylord Shaftesbury großen Schaden zufügte. Nun! Seid Ihr am nächsten Tage etwa nach Whitehall gegangen, um von Seiner Majestät ein Wort des Lobes zu ernten?«
»Nein!« erwiderte Fenton instinktiv. Er wußte nicht, ob es stimmte, hatte aber das Gefühl, Sir Nick hätte es nicht getan. Er selbst wäre jedenfalls nicht hingegangen. »Und weshalb nicht?«
»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte Fenton ganz ehrlich. »Nun, dann will ich's Euch sagen«, erklärte Mr. Reeve. »Es lag an Eurem grimmigen Stolz. Ihr wolltet beim König nicht den Eindruck erwecken, als hättet Ihr es getan, um eine Sprosse höher zu klettern auf der schmierigen Leiter, die sie alle erklimmen. Eher würdet Ihr Seiner Majestät selber den Rücken kehren. Habe ich recht?«
Fenton, der sich eine kurze Bank herangezogen und sich zu dem alten Kavalier gesetzt hatte, schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht; ich kann's nicht sagen.«
»Nun!« meinte Mr. Reeve grimmig. »Es gibt eben gewisse Dinge, die ein Mann nicht tun kann, selbst wenn er weiß, daß er im Recht ist. Besteht zwischen Euch und mir nicht eine große Ähnlichkeit?«
Fentons Hand, die verstohlen zur Geldtasche greifen wollte, hielt auf halbem Wege inne.
»Einen Augenblick, bitte«, mischte sich George ein, der krebsrot im Gesicht war. »Ich möchte nicht unhöflich sein. Doch warum seid Ihr hier? Sicherlich seid Ihr kein Sp.« George brach verlegen ab.
»Nanu!« schmunzelte Mr. Reeve. »Könnt Ihr ein ehrliches Wort wie Spion nicht in den Mund nehmen? Ich bin einer - auf meine bescheidene Art. Ich sammle hie und da ein Krümchen für Mr. Chiffinch oder gar Sir Robert Southwell, die beide zur nächsten Umgebung des Königs gehören. Ich verabscheue diese Green-Ribbon-Brut, obwohl sie die gesegnete Staatskirche wie ehrliche Männer preisen. Nicht wahr, mein junger Freund?«
Während des ganzen Gesprächs hatte Fenton seltsamerweise an Lydia gedacht. In den Schwaden des Tabakrauchs sah er sie, die Puritanerin auf Grund ihrer Erziehung, aber nicht aus dem Gefühl heraus. Er mußte daran denken, wie sehr Lydia den Mann liebte, für den sie ihn hielt; und er war gar nicht dieser Mann. Er erinnerte sich an das aufrichtige Gebet, das er am Morgen gesprochen hatte, als er Lydia zum erstenmal verließ.
»O Herr«, hatte er gebetet, »wenn doch ein alter steifer Kauz in der Gestalt eines jungen Menschen sich dieser Liebe würdig erweisen könnte!«
Nun, er würde es versuchen.
»Ich fürchte, unsere Unterhaltung muß enden«, sagte er. »Aber wollt Ihr mir einen Dienst erweisen, Mr. Reeve? Dann leiht mir Eure Zither für eine kleine Weile.«
»Die Zither? Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte Mr. Reeve und schob sie über den Tisch. Sie war etwa einen Meter lang und hatte viele glänzende Saiten. »Aber zu welchem Zweck?«
»Ich gehe nach oben zum Rat des Green-Ribbon-Klubs.« Der alte Herr zeigte keine Überraschung, als Fenton aufstand, die Zither unter dem linken Arm.
»Oh, Ihr werdet es schon wagen«, brummte er, nachdem er einen Blick in Fentons Augen und einen auf das getrocknete Blut an seinen Händen geworfen hatte. »Und ich glaube, aus reinem Pläsier werde ich mit Euch gehen.«
»Nein, sachte!« rief George. »Ihr verliert ja Euren Platz als. als.«
»Pah!« höhnte die schnaufende Stimme.
Mit ungeheurer Anstrengung stellte sich Mr. Reeve auf seine geschwollenen Beine, schwankte ein wenig und stand dann fest. Seine Gestalt war fast so rund wie ein Ballon. Zärtlich klopfte er auf seinen Kavalierdegen.
»Ich bin etwas schwach in den Beinen für eine Degenfechterei«, meinte er schmunzelnd. »Aber ich weiß noch ein paar Tricks, die den ersten Mann in Spitzenpantalons erwarten, der sich mit diesen Waffen einläßt.«
»Folgt mir, wenn Ihr wollt«, entgegnete Fenton. Im Gänsemarsch bewegten sie sich auf die Treppe zu: Fenton voran, dann George und zum Schluß Mr. Reeve. Am Fuße der Treppe sprang ihnen ein Zapfkellner mit dem dichten schwarzen Haarwuchs eines Wilden in den Weg.
»Bedaure, Sir. Ihr könnt nicht hinauf.« Fenton blickte ihn mit gefährlich blitzenden Augen an. »Ich bin Sir Nicholas Fenton«, sagte er und sah, wie bei dem Namen die Furcht in den Augen des Zapfkellners aufsprang. »Ihr werdet bei guter Gesundheit bleiben, wenn Ihr beiseite tretet.«
Der Zapfkellner wich zurück, hob jedoch den Kopf, als wolle er etwas nach oben rufen. Fentons rechte, von der Zither verborgene Hand fuhr nach dem Degengriff, und die Klinge sprang ein Stück heraus. Der Zapfkellner sah, daß es Fenton mit seiner Drohung ernst war.
»Ich werde meinen Mund halten, Sir«, flüsterte er.
Ungezwungen gingen die drei nach oben; Mr. Reeve keuchte allerdings etwas und zog seine geschwollenen Beine nach. Die Wand war zu ihrer Rechten. Fenton, der den Kopf ein wenig zur Seite gewandt hatte, hielt die Zither so, daß sie weithin sichtbar war. Die jetzt brüllende Menge im unteren Raum schwankte zwischen teil weiser und gänzlicher Betrunkenheit. Mehr als achtzig Augenpaare richteten sich neidisch auf die Treppe. Aber sie sahen nur ein Musikinstrument für die Unterhaltung der Großen und wandten sich ohne weiteres Interesse wieder Pfeife, Krug und Karte zu.
Normalerweise fand man im oberen Stockwerk eines Wirtshauses nur private Gasträume. Aber das »Königshaupt« hatte, wie Fenton entdeckte, als sein Kopf über die Höhe des Fußbodens ragte, nur einen einzigen langen Raum, der der unteren Schankstube entsprach. Seine Decke wurde von schwarzen Säulen mit Galgenarmen getragen. Das Licht drang nur mit Mühe durch die rußigen Scheiben der Gitterfenster. Etwa dreißig Herren und einige edle Lords saßen in ernster Beratung beisammen. Abgesehen von dem Rauch, der von unten her nach oben zog, war hier die Luft nicht verqualmt; es brannten nur ein paar Pfeifen. Die glanzvolle Pracht der Röcke, Westen und goldenen Kniebänder und die größeren und besser gelockten Perücken unter den breiten Hüten zeigten an, daß hier Männer von Rang oder zumindest Männer von Wohlstand saßen.
Er herrschte fast gänzliche Stille. Obgleich sie die Schritte auf der Treppe hören mußten, gaben sie in recht affektierter Weise vor, nichts bemerkt zu haben, und schienen sich nur für ihr eigenes Geflüster zu interessieren.
Das Treppengeländer lief hier oben parallel zu der entfernten Schmalseite des Raumes. Dort stand ein langer Tisch, der einem Beratungstisch glich, und daran saßen nur zwei Männer mit dein Gesicht zum Geländer.
Ich kenne dich, dachte Fenton. Nur zu gut kenne ich dich aus deinen Porträts. Wollen mal sehen, ob du auf Sticheleien reagierst, wie es heißt.
Links hinter dem hohen Tisch saß Mylord Shaftesbury. Er hielt den Kopf mit der ungeheuren flachsenen Perücke gesenkt, so daß sein Gesicht nicht zu sehen war. Er hatte ein kleines Weinglas vor sich stehen. Einige der aufgesteckten Köpfe über Temple Bar waren der Fleet Street zugekehrt, und einer stierte über Mylords linker Schulter zum Fenster herein.
Rechts saß der große, untersetzte, rotgesichtige George Villiers, der zweite Herzog von Buckingham, der auf Ende Vierzig zuschritt und nicht mehr viel Sinn hatte für Streitigkeiten und Degenfechterei. Für ihn war die Politik, wie so vieles andere, nur ein Spielzeug. Er trug wein-farbene Seide. Seine braune Perücke war reich gewellt und gelockt. Ein Literkrug stand vor ihm auf dem Tisch.
Fenton ging ein Stück weit am Treppengeländer entlang, lehnte sich nachlässig mit dem Rücken dagegen und hob die Zither an die Brust. George und Mr. Reeve stellten sich rechts von ihm auf. Immer noch rührte sich keiner, und niemand blickte auf. Fentons Finger glitten mit einem schnarrenden Ton über die Saiten. Er versuchte, eine Melodie zu zupfen, und jeder Ton drang allen laut, klar und mißtönend in die Ohren.