Er war außer Übung und spielte so ungeschickt, daß Minuten verstrichen, ehe man die Melodie erkannte. Der erste, der plötzlich daraus klug wurde, war Mylord Shaftesbury selbst, und zwar gerade, als er sein Weinglas zum Munde führen wollte. Er stellte es leise wieder auf den Tisch und schob es von sich. Alle Bewegung erstarrte. Ein Weinkrug fiel klirrend zu Boden. Seine Gnaden von Bucks ergriffen als erster das Wort.
»Sir Nicholas«, begann er in seiner tönenden, nicht unfreundlichen Stimme, »wenn Ihr gekommen seid, um Euch einer Gesellschaft guter Patrioten anzuschließen -nun, so macht's Euch bequem und seid willkommen! Aber.«
Perücken neigten sich zueinander, und Bucks, wie man den Herzog von Buckingham allgemein nannte, sprach nun in schärferem Ton: »Mylord Shaftesbury wünscht zu wissen, warum Ihr hier seid.«
Fenton erwiderte in der gewaltigen Stimme, die Sir Nick in der »Gemalten Kammer« gebraucht hatte: »Dann soll Mylord die Frage selber stellen.« Shaftesbury blickte auf. Bei oberflächlicher Betrachtung schien sein Gesicht fröhlich zu sein trotz einer gewissen Schärfe, bedingt durch die lange Nase, das spitze Kinn und die großen hungrigen Augen. Nach den Begriffen jener Zeit galt er als alter Mann; er war vierundfünfzig. Er besaß viel Charme. Mit seiner beredten Zunge und seiner Schlauheit hatte er drei Frauen gewonnen, die er nur aus politischen Gründen heiratete. Stets trug er eine undurchdringliche Miene zur Schau.
Im Augenblick hielt er ein Spitzentüchlein in der Hand, das er in die Luft warf und wieder fing. Dies wiederholte er zwei- oder dreimal, als suchte er in seinem Gedächtnis nach einem Namen, der ihm nicht geläufig war. »Hm . Sir Nicholas Fenton?«
»Mylord. Shaftesbury?«
Ein Knarren ging plötzlich durch den ganzen Raum, als würden Stühle und Bänke ein wenig zurückgeschoben, als hätten sich Beinmuskeln gestrafft. Mylord hatte den ersten Pfeil geworfen, und der war ihm direkt wieder ins Gesicht geflogen. Aber er schien nichts zu bemerken und spielte weiterhin mit seinem Taschentuch.
»Nun, Sir Nicholas«, sagte er mit einem nachsichtigen Blick, »Ihr seid, wie es scheint, ein hoffnungsvoller und, soweit ich sehen kann, sehr ingeniöser junger Mann. Was kann ich für Euch tun?«
»Zunächst, Mylord, möchte ich Euch über Eure zweite Lektion Bericht erstatten.«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Bei Eurer ersten Lektion, wo Ihr mir in einem einsamen Feld drei Spitzbuben auf den Hals jagtet, blieben zwei von ihnen, furcht' ich, auf der Strecke, während der dritte entkam. Ich habe die Sache damals weiter nicht beachtet. Aber jetzt.« Fenton reichte George die Zither, der sie an Mr. Reeve weitergab, und zog aus seiner linken Tasche einen zerknüllten Hut mit einem grünen Band. Er glättete ihn mit der Hand.
»Dieser Hut«, begann er von neuem, während er ihn mit einem Ruck über die Perücken schleuderte, so daß er vor Lord Shaftesbury auf dem Tisch landete, »gehörte dem ersten Bully von Alsatia, den Ihr am Vormittag auf mich gehetzt habt. Der Mann liegt jetzt, mit einem Degenstich vom Hals bis zum Gehirn, auf ein paar Feuereimern.«
Mylord warf nur sein Taschentuch in die Höhe und fing es wieder.
»Und diese falschen Zähne hier«, fuhr Fenton fort. Unter den aufmerksamen Blicken aller zog er die falschen Zähne aus der Tasche, die jetzt noch abstoßender aussahen als vorher. Er warf sie zu Mylord Shaftesbury hinüber. Sie landeten jedoch, in tausend Stücke zerbrechend, auf dem Tisch eines anderen Lords, der entsetzt auf die Füße sprang.
»Sie wurden von dem zweiten Verbrecher getragen«, bemerkte Fenton, »mit dem sich mein Freund hier, Lord George Harwell, befaßte. Diesem Schurken habe ich einen Hieb versetzt, der ihm hoffentlich den Garaus machen wird.« Mit veränderter Stimme fügte er hinzu. »Mylord, Eure Aufmerksamkeiten werden mir allmählich lästig.«
Shaftesbury zog die Augenbrauen hoch.
»Meine Aufmerksamkeiten!« fragte er leise. »Ich fürchte, da schmeichelt Ihr Euch zu sehr. Und selbst, wenn dem so wäre! Wollt Ihr, ein bescheidener Baronet, auf Rache gegen mich sinnen?«
»Nein, Mylord. Ich bin hier nur, um Euch etwas über die Zukunft zu erzählen.«
Ein höhnisches Lächeln erschien auf allen Gesichtern, das jedoch seltsamerweise bald erstarb.
»Ei der Daus! Könnt Ihr weissagen?« wollten seine Gnaden der Herzog von Bucks wissen, der sich interessiert vorbeugte. Doch Shaftesbury brachte ihn mit einer kurzen Geste zum Schweigen.
»Ein Wahrsager also?« spottete er. »Bitte, sprecht!«
»Seine Majestät, Mylord, ist der Vater seines Volkes oder zumindest einer großen Zahl davon. Von seinen illegitimen Kindern wimmelt, es nur so. Aber er hat keine legitimen Kinder, weil Königin Catherine keine gebären kann. Nichts auf der Welt kann ihn dazu bewegen, sich von ihr scheiden zu lassen. Sein Erbe ist daher sein Bruder, der Herzog von York.
Und der Herzog von York, so heißt es, ist katholisch geworden. Euer erster Schritt wird sein, Seine Gnaden den Herzog von York durch eine Parlamentsakte vom Thron auszuschließen. Euer nächster Schritt wird sein, König Charles selbst zu vertreiben, hauptsächlich durch Euer Losungswort.«
»Nieder mit den Papisten!« schrie einer der Lords und schlug mit seinem Krug auf den Tisch.
Andere griffen diesen Ruf auf, und er drang bis unten in das Schankzimmer, wo ein donnerähnliches Getöse von »Nieder mit den Papisten! Nieder mit den Papisten!« an die Wände schlug und sie fast zum Bersten brachte. Zapfkellner rannten die Treppe auf und ab, um mehr Getränke für die Großen herbeizuschaffen. Bucks schluckte in einem Zug über ein halbes Liter Wein. Mylord Shaftesbury wartete selbstgefällig, bis der Lärm sich legte. Fenton lehnte sich inzwischen nachlässig an das ziemlich niedrige Treppengeländer. Auf seinen Zügen lag ein heiteres, zuversichtliches Lächeln. Der Führer der Grünbebänderten sprach ironisch: »Ihr erzählt uns also die Geschichte von Vater Adam und Mutter Eva.«
»Halt! Es geht noch weiter.« Fenton richtete sich auf. »In einigen Jahren, Mylord, werdet Ihr in diesem Lande zu ungeheurer Macht gelangen. Ihr werdet in die Geschichte eingehen« - hier leuchteten Mylords Augen unter den gesenkten Lidern befriedigt auf - »als der erste große Parteiführer, als der Vater der Wahlkampagnen-Bered-samkeit und der >Flüsterkampagne<, der die mobile Partei, die wankelmütige Masse<, in den gefürchteten Mob verwandelte.
Hört zu, es kommt noch mehr! In drei Jahren wird ein gemeiner Lügner auftreten mit dem falschen Gerücht von einer >papistischen Verschwörung<, und Ihr werdet dies benutzen, um die Stadt in Angst und Schrecken zu versetzen. Blut wird in Strömen fließen, Flammen werden aufsteigen, und viele Morde werden von dem Henker begangen. Und am Ende .«
Bei diesen Worten schmunzelte Mylord Shaftesbury. Sanft schwenkte er das Spitzentüchlein hin und her. »Und am Ende?« fragte er.
Fentons Stimme ertönte wie Sir Nicks in der »Gemalten Kammer.«
»Am Ende werdet Ihr versagen«, entgegnete er. »Der König wird Euch - nachdem er Euch genug Spielraum gegeben hat, um ins Verderben zu rennen - zunächst überlisten und dann in seiner Faust zermalmen.«
Ein heiseres Gelächter, das an einem Tisch erschallte, wurde von Mylord mit einer leichten Geste unterdrückt. Er schien - beinahe - ungerührt. »Dies sind alles Hirngespinste«, wandte er ein. »>Einige Jahre<! Warum nicht fünfzig? Oder gar hundert? Könnt Ihr nichts voraussagen, was in etwas näherer Zukunft liegt?«
»Wahrlich, Mylord, das kann ich. Was meint Ihr zu . neun Tagen?«
»Na, das ist schon besser! Nun?«