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Wieder lehnte sich Fenton mit dem Rücken ans Geländer. »Im Augenblick, Mylord, gehört Ihr zum Rat Seiner Majestät, dem höchsten und geheimsten im Land. Ihr haltet Euch für zu mächtig, um daraus entlassen zu werden. Aber in genau neun Tagen - neun Tage, Mylords und Gentlemen! - wird man Euch aus dem Rat entlassen, wie man einen Hund mit einem Fußtritt vom Stuhl befördert, und Euch aus London jagen!« Bei diesen Worten entstand ein Aufruhr, und dreißig Paar Augen wurden von Sekunde zu Sekunde drohender. Der alte Mr. Reeve faßte mit der Rechten nach seinem Degengriff. Doch Mylords leiseste Geste hielt sie immer noch im Zaum.

»Nun, möchtet Ihr wohl eine Wette darauf eingehen, Sir Nicholas?«

»Ich wette um mein Leben«, erklärte Fenton. »Wenn Ihr am 19. Mai nicht entlassen werdet, verspreche ich, allein und unbewaffnet auf irgendein beliebiges Feld außerhalb Londons zu gehen, das Ihr zu nennen geruhen wollt. Merkt Euch das Datum: der 19. Mai.«

»Sorgt dafür, daß es notiert wird, guter Bucks.«

»Und dann«, schleuderte ihm Fenton ins Gesicht, »wenn Ihr Euren Kampf gegen den König verloren habt, werdet Ihr wahrlich alt und geistig zerrüttet sein. Ihr werdet Euren dürren Arm schütteln und rufen: >Ich habe zehntausend flotte Kerle zu meiner Verfügung.< Aber es wird niemand auf Euch hören. Ihr werdet allein sein, ohne Freunde und aller Macht beraubt.«

Tödliches Schweigen. Denn alle hatten einen Blick auf Mylords Gesicht geworfen.

»Aller Macht beraubt!« Außer Fenton und Mylord Shaftesbury konnte keiner im Raum die Bedeutung dieser Worte ermessen. Mylord Shaftesbury, obwohl von durchaus echtem Haß gegen die katholische Kirche erfüllt, verlangte nach Macht, grenzenloser Macht. Und um diese zu erlangen, scheute er vor keiner Handlung zurück, mochte es sich um eine kleine Lüge oder um Massenmord handeln.

Plötzlich erhob er sich hinter seinem Tisch und schlug mit dem Spitzentüchlein auf die Kante. Gelassen, als wollte er seinen grünen Rock zurechtzupfen, wandte er sich zur Seite. Doch durch die Fensterscheiben hindurch sah er den abgetrennten Kopf, der ihm von der Stange über Temple Bar ins Gesicht grinste. Die ganze Zeit über hatte dieser, leicht hin und her schwankend, in den Raum gestiert. Mylord Shaftesbury drehte sich rasch wieder um und setzte sich hin.

»Nun, Sir Nicholas«, meinte er mit einem fröhlichen Lachen, »Ihr habt in der Tat großes Zutrauen zu Eurer Wahrsagekunst.«

»Nein, Mylord!« sagte Fenton rasch. »Ich bin kein Wahrsager. Meine Fähigkeit, die Ereignisse vorauszusagen, beruht auf einer natürlichen Ursache, auf mir bekannten Tatsachen.«

»Ich möchte Euch nun gern«, sagte Mylord, »mit allen meinen guten Freunden hier bekannt machen. Leider ist das nicht möglich. Aber einer ist sicherlich darunter, dem ich Euch vorstellen muß!«

Sofort neigte sich Bucks' Perücke zu Shaftesbury hinüber. Bucks flüsterte ihm etwas zu und schüttelte protestierend den Kopf. Andere Perücken krochen zum erhöhten Tisch, und es begann ein großes Geflüster. Einmal schnappte Fenton zwei Worte auf: »Keinen Krawall.« Und eine andere Stimme stieß ihre Zischlaute so kräftig hervor, daß die Lauscher verstehen konnten, was gesagt wurde.

»Daß Euch die Pest! Ihr spielt Eueren Trumpf zu früh aus!«

»Sei vorsichtig«, murmelte George und stieß Fenton seinen linken Ellbogen in die Rippen.

»Ei ja«, brummte Mr. Reeve. »Es wird hier noch ein Blutbad geben!«

Fenton, der seinem Gegner die versprochene Lektion erteilt hatte, wartete gelassen ab.

Doch Mylord Shaftesbury hörte nicht auf die Einwendungen der anderen. Er flüsterte ihnen etwas zu, was sie zu befriedigen schien, und sie schlichen sich auf leisen Sohlen an ihre Tische zurück. »Also nun!« rief Mylord und deutete auf einen runden Tisch zu Fentons Linken. Mit einer energischen Handbewegung veranlaßte er einen der Männer, aufzustehen.

Es erhob sich die seltsamste Figur, die Fenton je gesehen hatte. Der Mann war noch größer und hagerer als Freund Langbein in der Totenmannsgasse. Doch damit hörte alle Ähnlichkeit auf. Er trug eine enorme Perücke, größer als alle anderen im Raum, noch dazu mit Gold bestäubt: eine Mode, die König Ludwig XIV. eingeführt hatte. Sein langes Gesicht war entweder sehr blaß oder stark gepudert, und auf jeder Wange lag unverkennbar ein Tüpfelchen Rouge. Er trug einen weißen, mit goldenen Lilien verzierten Rock, eine dunkelblaue Weste mit Goldknöpfen, weiße enganliegende Kniehosen, rote Strümpfe und weiße Schuhe mit hohen roten Absätzen.

Doch niemand im Raum, Fenton selbst nicht ausgenommen, ließ sich durch das Äußere täuschen.

Viele der tapfersten Degen, die sich verzweifelt bemühten, die Mode mitzumachen, äfften das weibische Gebaren einiger kleiner Lords oder Schauspieler nach. Aber in diesem maskulinen Zeitalter war es meistens nur Mache. Hinter allem lauerte ein tödlicher Degenarm. In der Pracht steckte oft ein so männliches Wesen wie König Charles selbst.

Mylord Shaftesburys säuselnde Stimme ließ sich vernehmen. »Darf ich Euch bekannt machen«, sagte er, »mit Captain Duroc, vordem persönlicher Begleiter des französischen Königs.«

»Tod und Verdammnis!« flüsterte George. Seine rechte Hand ließ den Degengriff los und schlüpfte links unter den Rock, wo der Dolch unter seinem Arm in der Scheide hing. »Ruhig Blut!« mahnte Fenton und wandte sich nach links, um Captain Duroc gegenüberzutreten, von dem er so viel gehört hatte.

Captain Duroc kam in seiner weißen Pracht langsam auf ihn zu. Seine harte, langfingerige linke Hand ruhte leicht auf dem goldenen Knopf eines Degens, der nach französischer Sitte an einem Degengehenk befestigt war, das unter dem Rock von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte reichte.

Immer noch herrschte tiefes Schweigen, während die Zuschauer mit aufmerksamen, amüsierten Blicken die Szene verfolgten. Manche blieben sitzen, viele standen auf, und andere blickten über die Schulter ihrer Gefährten.

Captain Duroc blieb in zwei Meter Entfernung vor Fenton stehen. »Monsieur!« sagte er fast zärtlich.

Ein Lächeln erhellte seine dunklen, schwimmenden Augen. Er legte einen Arm über die Brust und machte eine tiefe Verbeugung, so daß einige Goldstäubchen von seiner Perücke rieselten. Fenton erwiderte die Verbeugung mit ernstem Gesicht, ohne zu sprechen.

»Ach«, sagte Captain Duroc, der sich, die Hand auf dem Herzen, wie ein Schauspieler aufrichtete, »es ist sehr bedauerlich, daß wir beide verschiedener Meinung sein müssen, nicht wahr?« Du bist kein Franzose, dachte Fenton. Deine Aussprache ist fürchterlich. Du bist wahrscheinlich irgendein Bastardprodukt aus Mitteleuropa.

»Aber es darf hier keinen Krawall geben«, fuhr Captain Duroc mit schockiertem Blick fort. »Nein, nein, nein, nein! Nur die kleine Beleidigung, die Wahl der Sekundanten, des Ortes, der Stunde . heute, morgen? Wann Sie wollen. Tout à fait comme il faut, n'est-ce-pas?«

Captain Duroc kam ein wenig näher.

»Helas!« hauchte er. »Nun zu dem Streit. Er darf nicht sein von politischer Natur. Nein, nein, nein!« Durocs schwimmende Augen wurden pfiffig. »Wir werden sein wie Ritter aus alter Zeit, ja? Ich nun stelle eine Frage!«

Hier stieß er seine lange Nase Fenton fast ins Gesicht. Das Rouge leuchtete förmlich auf seinen Wangen.

»Wer ist die Schönste im ganzen Land?« fragte Duroc. »Schnell! Wer ist es?«

»Meine Frau!« entgegnete Fenton hitzig. Diese Antwort löste einen Sturm von Gelächter aus.

In den Ohren dieser Generation - das wurde ihm sofort klar - mußte sie höchst töricht klingen. Die Green-Ribbon-Leute schrien und hämmerten mit ihren Krügen auf die Tische und riefen: »Bravo!« oder hoben die Krüge, als wollten sie einen Toast ausbringen.

Captain Duroc, der einen meisterhaften Komödienschauspieler abgegeben hätte, wandte sich langsam seinem Publikum zu, zog die Schultern bis zum Hals an und spreizte die Hände, während seine Augen kummervoll dreinblickten.