Er lernte es, zunächst einmal ein Liter des schwersten Weines zu trinken, ohne einen Rausch zu bekommen oder auffällig zu lallen. George Harwell staunte über seine Nüchternheit und verwünschte ihn als einen Tugendbold.
Das Tabakrauchen war leichter. Obwohl der Rauch aus einem Tonkopf beißender ist, so war der Virginiatabak doch besser, als er erwartet hatte. Er kroch den langen Stiel herauf und wirkte beruhigend, ohne den Gaumen zu ätzen.
Big Tom konstruierte je eine Zahnbürste für ihn und Lydia nach einem Muster, das Fenton auf ein Stück Papier zeichnete und sechsmal sorgfältig erklärte.
Aber dies kam erst später. Es muß leider gesagt werden, daß seine offizielle Anordnung im Haushalt Tumult und beinahe einen Aufruhr verursachte.
Dieser Tumult brach am 13. Mai aus, einen Tag nachdem er Sir John Gilead aufgesucht hatte, um mit ihm über den halb mit Kloakenwasser angefüllten Keller zu reden. George, der am Abend zuvor zum Essen erschienen war, erklärte ihm die Sache.
»Mein Güte!« rief George. »Wo steckt denn da die Schwierigkeit? Eine kleine Bestechung. Weiter nichts.«
Fenton, mehr Historiker als Haushaltungsvorstand, wollte sich gewisse Dinge bestätigen lassen, die ihm von seinen Studien her bekannt waren.
»Ich muß also jeden bestechen?«
»Nicht die Ladenbesitzer oder Händler, meiner Treu! Aber wenn es sich um eine Gunst, eine höhere Stellung oder eine Arbeit handelt, die einem Verwaltungsbüro unterliegt, na, dann laß deinen Geldsack auf den Tisch plumpsen, und damit basta!«
»Mit anderen Worten also: ein ganz anständiger Brauch, wie?«
»Für alle, die nicht gar zu gewissenhaft sind, ja.« George zuckte die Achseln. »Mein Vater. hm! Wir wollen lieber keine Namen nennen. Jedenfalls werde ich dir verraten, wie man mit Sir John Gilead redet.«
Sir John Gileads Büro lag im Schatzamt auf der Westseite der King Street. Von dem kleinen, nach hinten liegenden Raum hatte Fenton einen Blick auf ein Haus mit roten Ziegelwänden und weißgestrichenem, abgeflachtem Spitzdach, das sich lebhaft von dem hellen Grün in St.-James-Park abhob. Dort wohnte Mylord Schatzkanzler, der Graf von Danby. Fenton erfuhr zu seiner Überraschung, daß sowohl Sir Nicks Vater als auch Sir Nick selbst eng mit dem Schatzkanzler befreundet waren, der ein Finanzgenie und selbst ein Meister in der Bestechungskunst war, wenn es galt, Parlamentsmitglieder für die Hofpartei zu gewinnen.
Hierdurch erklärte sich zweifellos die große Höflichkeit, mit der Sir John Gilead Fenton willkommen hieß und ihm zuhörte. »Und das ist mein Problem«, schloß Fenton und nahm aus einem großen Lederkoffer am Boden einen mit Goldstücken gefüllten und oben fest zugeschnürten Segeltuchsack, der weit mehr Geld enthielt, als sein Projekt erforderte. Gleichgültig legte er den Sack auf den Tisch.
»Hm!« sagte Sir John und legte gewichtig einen Finger an seine Lippe. »Da fällt mir tatsächlich ein guter Plan ein.« Es skizzierte dann einen Plan, wonach ein Rohr unter Fentons Hintergarten und der tiefliegenden Gartenmauer hergeleitet werden sollte, so daß das Kloakenwasser unter den zur Mall führenden Terrassen »absickern« würde.
»Potz Geck!« rief Fenton, der sich den Ausdruck von George angeeignet hatte. »Dies erscheint mir nicht gerade zweckmäßig. Der Gestank wird allen in die Nase steigen, besonders Seiner Majestät, wenn er in seinem eigenen Park promeniert. Und was passiert, wenn das Wasser die Mall erreichen sollte?«
»Zweifellos ergeben sich Schwierigkeiten.«
»Was haltet Ihr von meinem ersten Plan, eine dreihundert Meter lange Leitung zu einem Hauptabzugskanal zu legen?«
»Das wäre kostspielig, mein lieber Herr. Sehr kostspielig.« Fenton langte abermals in den Koffer am Boden, holte einen zweiten Segeltuchsack hervor, der noch etwas größer war als der erste, und legte ihn ebenfalls auf den Tisch.
»Hm ! « meinte Sir John, scheinbar ohne davon Kenntnis zu nehmen. »Nun, mein Herr«, fügte er nach einer Weile hinzu, »nach reiflicher Erwägung bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß sich die Sache machen läßt.« Er erhob sich und strahlte Fenton durch seine Brillengläser an. »Und für einen Freund von Mylord Danby, dem obersten Minister des Königs, soll die Sache unverzüglich in Angriff genommen werden.«
Und so geschah es; gleich am nächsten Morgen.
Am selben Morgen kehrte Fenton in seinem braunen, mit scharlachrotem Mohn bestickten Schlafrock ziemlich früh aus Lydias Zimmer in sein eigenes Gemach zurück. Sein Gang war federnd; seine Augen strahlten, und aus seiner Haltung sprach feste Zuversicht. »He, Frechdachs!« bellte er Giles an, wobei er allerdings lächelte. »Vom heutigen Tage an weht ein frischer Wind durch dieses alte Gemäuer.«
»Wollt Ihr, daß ich die Betten umstelle, Sir? Es wäre doch bequemer, wenn .«
Fenton brachte ihn zum Schweigen und erklärte, daß er, Giles, ausgehen müsse, um die beste Badewanne zu kaufen, die für Geld zu haben sei, selbst wenn sie eigens angefertigt werden müsse. Sie sollte groß und nach Möglichkeit mit Porzellan ausgeschlagen sein. Dann sollte sie in diesem Stockwerk installiert werden, und zwar in einem Raum, aus dem sämtliche Möbel außer ein paar Stühlen zu entfernen seien und der künftighin schlichtweg als Badezimmer bezeichnet werde.
Giles machte gewisse Bemerkungen, und Fenton warf ihm einen schweren Reitstiefel an den Kopf.
Aber das war noch nicht alles. In einem Nebenraum der Küche sollte auch eine Badewanne für die Dienstboten aufgestellt werden. Nur ein Bad in der Woche sei erforderlich. Dies verursachte eine wahre Revolte unter der Dienerschaft, zu der sechs Personen gehörten, die er noch nie gesehen hatte.
Er konnte nicht verstehen, warum sie sich so heftig sträubten. Zweimal schickte er Giles als Abgesandten zu ihnen, um nach ihren Gründen zu fragen.
»Sir, sie sagen, es sei ein unsauberer Brauch.«
»Unsauber?«
»Ich kann nur wiederholen, was sie gesagt haben, Sir.«
Durch einen Gegenzug brach Fenton ihren Widerstand. Ein guter Hausherr bewilligte seinen niedrigeren Dienstboten jährlich einen Mantel, einen Anzug oder ein Kleid. Fenton bot ihnen nun zwei Anzüge im Jahr und außerdem einen Sonntagsanzug. Die Dienstboten, die diesen neuen Sir Nick verehrten, weil er nicht duldete, daß sie mißhandelt wurden, gaben ihre Zustimmung jedoch nur unter gewissen Bedingungen.
»Sir«, meldete Giles, »unter Ächzen und Stöhnen haben sie sich dazu bereit erklärt, ein Bad zu nehmen, aber nur einmal im Monat. Euch zu Gefallen wollen sie hingegen jede Woche die Unterwäsche wechseln und das saubere Linnen anziehen, das Ihr ihnen versprochen habt.«
»Topp!« sagte Fenton sofort, und so wurde die Angelegenheit geregelt, ohne daß selbst die Nachbarn etwas davon erfuhren. Denn Sir Nick hatte wenige Freunde, da die meisten ihn für einen griesgrämigen, blutrünstigen Kerl hielten.
Das Bad im oberen Stock wurde als erstes eingerichtet. Da es nicht möglich war, eine Pumpe zu installieren, schleppte Big Tom täglich eimerweise das heiße Wasser nach oben. Und wie stellte sich Lydia dazu?
Die Vorstellung eines täglichen Bades brachte sogar sie zunächst ein wenig aus der Fassung. Fenton war sich bewußt, daß er - allerdings mit der äußersten Vorsicht -die unsinnigen Ideen ausrotten mußte, die man ihr durch ihre Erziehung eingepflanzt hatte. Mit Hilfe seiner Kenntnisse von lateinischen sowie französischen Autoren des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts machte er sie darauf aufmerksam, daß ein Bad nicht nur den Zwecken der Reinlichkeit zu dienen brauche, wenn zwei Personen es teilten. Sie war im Glauben erzogen, daß zu vieles Waschen der Gesundheit nicht zuträglich, sondern ebenso schädlich wie die Nachtluft sei, und außerdem eine Sünde, da es den Körper enthüllte. Aber als Fenton ihr gewisse Dinge erklärte, änderten sich ihre Gefühle im Handumdrehen.
Er war jetzt geradezu vernarrt in sie und hatte auch alle Ursache dazu. Es schien ihm, als sei eine Ewigkeit vergangen seit der Nacht ihrer ersten Begegnung, als sie mit ihrem von Schminke entstellten Gesicht und glanzlosen Augen vor ihn hintrat. Tag für Tag konnte er die Veränderung beobachten, die mit ihr vorging. Ihre Augen waren jetzt strahlend blau und funkelten vor Heiterkeit. Ihr hellbraunes Haar wurde weicher, üppiger und glänzender, seitdem das Arsenik aus den Haarwurzeln verschwunden war. Ihre blasse Haut hatte die rosaweiße Tönung angenommen, die von strotzender Gesundheit zeugt. Ihr ganzes Wesen hatte sich verwandelt. An einem klaren blauen Nachmittag, als die Linden in der Pall Mall in üppigem Blätterschmuck prangten, ritten Lord George Harwell und Mr. Reeve auf guten Pferden bei Fentons Haus vor. Sobald die Tiere in den Stall gebracht waren, führte Fenton seine Gäste in das lange, dunkle Speisezimmer, wo viele auf Holz gemalte Bilder von Nicks Vorfahren hingen. Eines der schönsten war ein Porträt von Sir Nicks Vater, dessen Küraß und Schwert darunter aufgehängt waren.