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schon unterm Tisch und wurde zornig mit Füßen malträtiert. Er jaulte und versuchte freizukommen, wurde jedoch immer wieder zurückgestoßen. »Wag's noch mal, die eignen Leute zu beklauen! Wag's noch mal!«

Jetzt kam ein buckliger Alter zur Tür herein. Einen Moment lang blieb er auf der Schwelle stehen, sah sich um, den Buckel hin und her wendend, und humpelte dann, flink die Krücken gebrauchend, auf eine Ecke zu. Ein massiges Kreuz an patinierter Kette, dazu ein grobes Gehänge aus rasselnden Blechsternen baumelten um den Hals des Invaliden. Ächzend ließ der Alte sich an einem Tisch nieder. Ein gutes Plätzchen: die Wand im Rücken, gesittete Nachbarschaft. Rechts saß ein blinder Bettler, aus trüben Pupillen ins Leere starrend, mit malmenden Kinnladen beim Abendessen. Zur Linken hatte ein Mädchen den schwarzen Schopf auf die Tischplatte gelegt; das halbleere Schnapsglas umklammernd, schien sie im Tiefschlaf. Man mochte annehmen, daß sie zu einem der »Füchse« gehörte: Sie war besser gekleidet als die übrigen Huren, trug Ohrringe mit Türkisen, und vor allem wagte es keiner, sie anzumachen. Man wußte, warum. Wenn der Mensch müde ist, schläft er. Wenn er munter wird, trinkt er.

Der Kellner kam heran und fragte mißtrauisch: »Wo kommstn du her, Alter? Dich hab ich hier noch nie gesehen.«

Der Bucklige fletschte die fauligen Zähne und ließ die Sätze nur so hervorrasseln: »Wo ich herkomm? Mal von da und mal von woanders. Mal vom Mannaschlecken, mal vom Stiefellecken. Bring dem alten Mann ein Schnäpschen, mein Baron. Ich hatte einen schweren Tag, mußt du wissen. Hab mich krumm gemacht vor den Leuten. Penunze ist genug da, glaub nur ja nicht!« Er klingelte mit dem Kupfer in den Taschen. »Das fromme Volk hat Mitleid mit dem armen Krüppel!«

Zwinkernd holte der muntere Alte unter den Schultern seines Wamses eine Lage Watte hervor, reckte und straffte sich. Der Buckel war verschwunden.

»Was klemmen die Knochen vom bösen Malochen, joi-joi-joi ... Jetzt noch ein Brötchen, und der Jungfer ans Schötchen ... «

Der Witzbold lehnte sich nach links hinüber und stieß die Schlafende an.

»He, Matroschka Dreigroschka! Wen machst du heute glücklich? Küßchen für den alten Mann?«

Und so ging es weiter. Der Kellner grunzte nur. Ein Spaßvogel, der Alte.

»Von der Fiska laß die Finger«, riet er ihm. »Das ist nicht deine Kragenweite. Wenn du was zum Grabbeln brauchst, geh dort hinten die Stiege rauf. Zutritt mit 'nem halben Rubel und 'nem Viertelliter.«

Der Alte bekam seinen Schnaps, doch nach oben zu gehen, hatte er es nicht eilig. Hier unten fand er es wohl auch ganz nett. Er schmiß ein Glas um, maunzte mit dünnem Stimmchen ein Lied und schoß derweil aus flinken, für sein Alter kräftig blitzenden Äuglein Pfeile durch den Raum. Im Handumdrehn hatte er die anwesende Gesellschaft erfaßt, wobei er sich bei den »Füchsen« ein wenig länger aufhielt; alsdann wandte er sich zum Tresen, wo der Kneipenwirt Abdul, ein ruhiger, sehniger Tatare, den die ganze Chitrowka kannte und fürchtete, halblaut mit einem hausierenden Trödler verhandelte. Letzterer war anscheinend der Gesprächigere; die Entgegnungen des Wirtes, der mit seinem dreckigen

Lappen betulich an einem Trinkglas herumrieb, kamen um so einsilbiger und unlustiger. Der graubärtige Trödler in solidem Nankingmantel und Galoschen über den Stiefeln ließ indes nicht locker, hatte, über den Tresen gebeugt, immer noch etwas zu wispern und tippte in Abständen an den 77

Spankorb, den sein Begleiter, ein kleiner, mißtrauisch umheräugender Kirgise, über der Schulter hängen hatte.

Einstweilen lief alles nach Plan. Fandorin wußte, daß Gruschin einen Händler vorstellte, der umständehalber an einen kompletten Satz gediegenen Werkzeugs gekommen war, wie es für einen fachgerechten Einbruch benötigt wird, und der nun nach einem guten, kundigen Käufer Ausschau hielt. Die Idee war nicht übel, doch die gespannte Aufmerksamkeit, die der Trödler und sein Gefährte bei den »Füchsen« im Hintergrund des Schankraums erregten, gab Fandorin sehr zu denken. Waren die beiden etwa durchschaut worden? Wie und weswegen? Gruschins Tarnung war virtuos - es gab keinen Schwachpunkt.

Masa schien das dräuende Unheil gleichfalls zu gewahren: Aufrecht stand er da, die Hände tief in den Taschen, die buschigen Wimpern halb über die Augen gesenkt. In seinem Ärmel steckte einen Dolch, und die Pose verhieß Bereitschaft zur Abwehr eines Angriffs von jedweder Seite.

»He, Schlitzauge!« brüllte einer der »Füchse« und erhob sich. »Von welchem Volksstamm bist du?«

Der Trödler drehte sich auf dem Absatz herum.

»Er ist Kirgise, guter Mann!« sagte er höflich, doch mit fester Stimme. »Ein armer Waisenknabe, dem die Muselmanen die Zunge abgeschnitten haben. Was mir ja nur recht ist!« Gruschin tat eine verschlagene Geste. »Wer Weiches pascht und Schnee schiebt, kann Plaudertaschen nicht gebrauchen!«

Masa, im Bilde jetzt, von welcher Seite die wirkliche Gefahr drohte, hatte sich ebenfalls umgedreht. Mit dem Rücken zum Tresen stand er da, die Augen nun beinahe ganz geschlossen, doch unter den Wimpern blitzte es.

Die »Füchse« blickten einander an. Irgendwie schienen die undurchsichtigen Auskünfte des Trödlers beruhigend auf sie zu wirken. Fandorin fiel ein Stein vom Herzen: Gruschin ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Mit einem Seufzer der Erleichterung zog der junge Detektiv die Hand unter dem Tisch hervor, die schon am Griff des Herstal gelegen hatte.

Das hätte er lieber nicht tun sollen.

Der Wirt nutzte die Gelegenheit, daß die beiden Männer mit dem Rücken zu ihm standen, nahm blitzschnell ein Zweipfundwägestück vom Tresen, ergriff den daranhängenden Bindfaden und schleuderte es mit einer federleicht aussehenden, in ihrer Wirkung verheerenden Kreiselbewegung gegen den runden Hinterkopf des »Kirgisen«. Ein widerliches Knacken war zu hören, und Masa ging wie ein Sack zu Boden, während der feige Tatare das wirbelnde Gewicht behende - man sah ihm die Übung an - dem herumschnellenden Gruschin gegen die Schläfe prallen ließ.

Ohne recht eigentlich zu begreifen, was vorging, warf Fandorin den Tisch um und riß den Revolver hervor.

»Keine Bewegung!« schrie er mit wilder Stimme. »Polizei!«

Einer der »Füchse« fuhr mit der Hand unter den Tisch, und Fandorin feuerte, ohne zu zögern. Der Bursche brüllte auf, griff sich mit beiden Händen an die Brust, fiel um und zappelte in Krämpfen. Die anderen erstarrten.

»Wer zuckt, wird erschossen!«

Während Fandorin die Mündung seiner Waffe in einem fort zwischen den »Füchsen« und dem Kneipier hin- und hergehen ließ, überlegte er fieberhaft, ob genug Patronen für alle im Magazin steckten und was nun zu tun war. Ein Arzt mußte her! Auch wenn die Schläge mit dem Wägestück so furchtbar gewesen sein mochten, daß ein Arzt kaum mehr nötig war. Fandorin ließ den Blick durch den Schankraum gehen. Hinter ihm war die Wand, längsseits schien auch Ruhe zu herrschen: Der Blinde saß, wo er saß, drehte nur unruhig den Kopf, und seine leeren Augäpfel flackerten; das Mädchen war von dem Schuß aufgewacht, hob sein hübsches, nur leider versoffenes Gesicht mit den glänzenden schwarzen Augen einer Zigeunerin.